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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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catur würde dem Vergleich nicht widersprechen. Der Unterschied des geistigen
Gehalts und der zu Grunde liegenden Lebensanschauungen ist freilich ein un¬
ermeßlicher. Die Sucht, neben der Vorführung echten Lebens durch Paradoxien
und geistreiche Einfälle Effect zu machen, ist wiederum Grabbe verwandt, den
übrigens Büchner rasch überragt haben würde. Denn -- und darauf ist das
Hauptgewicht zu legen -- es steckte in diesem jugendlich brausenden revolutio¬
nären Poeten ein Stück von der unbarmherzigen Wahrheitsliebe und schlichten
Unmittelbarkeit des echten, gottbegnadeter Dichters, der das Leben darstellen
muß, wie er es sieht. Die "Tendenz" Büchners war ohne Zweifel eine Ver¬
herrlichung der Republik, er wollte die "große" Zeit von 1793 in leuchtenden
Bildern, mit lockenden Farben vor Augen stellen. Aber so tief er sich in die
verlogenen Verherrlichungen der Schreckenszeit hineingelesen hatte -- sein poeti¬
scher Sinn war rein und unbestechlich, ohne jede Idealisirung, mit vollem Leben
treten uns Danton in seiner genialen Verlumptheit und sanguinischen Zuversicht,
Robespierre, der "große Unbestechliche", in der impotenten Nüchternheit und der
essigsauren Tugend seines engen Wesen entgegen, mit fast erschreckender Nackt¬
heit und dem stärksten naturalistischen Cynismus wandelt sich in Büchners
Scenen das unsterbliche Volk von 1793 zum kreischenden, lastervollen, grotesken
Pöbel. Ein Tendenzdrama für die Revolution ist "Dantons Tod" nicht, man
müßte denn, wie der Dichter wahrscheinlich gethan hat, die bloße wilde und
farbenreiche Bewegung, den jähen Wechsel der Schicksale und den theatralischen
Prunk der Revolution für so anziehend und herzgewinnend, für eine so glück¬
liche Unterbrechung der Langenweile des Daseins betrachten, daß man vom
Wunsch nach Wiederholung und eigener Durchlebung der hier poetisch festge¬
haltenen Scenen erfüllt würde. Aber die poetischen Qualitäten des frühgeschie-
deueu Dichters wird niemand verkennen, und die Fähigkeit zu sehen und das
Gesehene zu gestalten, ist in der That eine so hervorstechende, daß die Verse
der pathetischen Widmung an die Manen Büchners, mit denen Georg Herwegh
ein Paar Jahre nach dem Tode des Dichters seine "Gedichte eines Lebendigen"
einleitete, keineswegs völlig als Phrasen erscheinen. Wie freilich, auch bei län¬
gerem Leben und völliger Reife, dies dramatische Talent unserer darniederlie¬
genden realen Bühne hätte zu Gute kommen sollen, ist nicht recht abzusehen,
und insofern mag der frühe Tod dem jungen Dichter manche herbe Erfahrung
erspart haben.




catur würde dem Vergleich nicht widersprechen. Der Unterschied des geistigen
Gehalts und der zu Grunde liegenden Lebensanschauungen ist freilich ein un¬
ermeßlicher. Die Sucht, neben der Vorführung echten Lebens durch Paradoxien
und geistreiche Einfälle Effect zu machen, ist wiederum Grabbe verwandt, den
übrigens Büchner rasch überragt haben würde. Denn — und darauf ist das
Hauptgewicht zu legen — es steckte in diesem jugendlich brausenden revolutio¬
nären Poeten ein Stück von der unbarmherzigen Wahrheitsliebe und schlichten
Unmittelbarkeit des echten, gottbegnadeter Dichters, der das Leben darstellen
muß, wie er es sieht. Die „Tendenz" Büchners war ohne Zweifel eine Ver¬
herrlichung der Republik, er wollte die „große" Zeit von 1793 in leuchtenden
Bildern, mit lockenden Farben vor Augen stellen. Aber so tief er sich in die
verlogenen Verherrlichungen der Schreckenszeit hineingelesen hatte — sein poeti¬
scher Sinn war rein und unbestechlich, ohne jede Idealisirung, mit vollem Leben
treten uns Danton in seiner genialen Verlumptheit und sanguinischen Zuversicht,
Robespierre, der „große Unbestechliche", in der impotenten Nüchternheit und der
essigsauren Tugend seines engen Wesen entgegen, mit fast erschreckender Nackt¬
heit und dem stärksten naturalistischen Cynismus wandelt sich in Büchners
Scenen das unsterbliche Volk von 1793 zum kreischenden, lastervollen, grotesken
Pöbel. Ein Tendenzdrama für die Revolution ist „Dantons Tod" nicht, man
müßte denn, wie der Dichter wahrscheinlich gethan hat, die bloße wilde und
farbenreiche Bewegung, den jähen Wechsel der Schicksale und den theatralischen
Prunk der Revolution für so anziehend und herzgewinnend, für eine so glück¬
liche Unterbrechung der Langenweile des Daseins betrachten, daß man vom
Wunsch nach Wiederholung und eigener Durchlebung der hier poetisch festge¬
haltenen Scenen erfüllt würde. Aber die poetischen Qualitäten des frühgeschie-
deueu Dichters wird niemand verkennen, und die Fähigkeit zu sehen und das
Gesehene zu gestalten, ist in der That eine so hervorstechende, daß die Verse
der pathetischen Widmung an die Manen Büchners, mit denen Georg Herwegh
ein Paar Jahre nach dem Tode des Dichters seine „Gedichte eines Lebendigen"
einleitete, keineswegs völlig als Phrasen erscheinen. Wie freilich, auch bei län¬
gerem Leben und völliger Reife, dies dramatische Talent unserer darniederlie¬
genden realen Bühne hätte zu Gute kommen sollen, ist nicht recht abzusehen,
und insofern mag der frühe Tod dem jungen Dichter manche herbe Erfahrung
erspart haben.




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[0511] catur würde dem Vergleich nicht widersprechen. Der Unterschied des geistigen Gehalts und der zu Grunde liegenden Lebensanschauungen ist freilich ein un¬ ermeßlicher. Die Sucht, neben der Vorführung echten Lebens durch Paradoxien und geistreiche Einfälle Effect zu machen, ist wiederum Grabbe verwandt, den übrigens Büchner rasch überragt haben würde. Denn — und darauf ist das Hauptgewicht zu legen — es steckte in diesem jugendlich brausenden revolutio¬ nären Poeten ein Stück von der unbarmherzigen Wahrheitsliebe und schlichten Unmittelbarkeit des echten, gottbegnadeter Dichters, der das Leben darstellen muß, wie er es sieht. Die „Tendenz" Büchners war ohne Zweifel eine Ver¬ herrlichung der Republik, er wollte die „große" Zeit von 1793 in leuchtenden Bildern, mit lockenden Farben vor Augen stellen. Aber so tief er sich in die verlogenen Verherrlichungen der Schreckenszeit hineingelesen hatte — sein poeti¬ scher Sinn war rein und unbestechlich, ohne jede Idealisirung, mit vollem Leben treten uns Danton in seiner genialen Verlumptheit und sanguinischen Zuversicht, Robespierre, der „große Unbestechliche", in der impotenten Nüchternheit und der essigsauren Tugend seines engen Wesen entgegen, mit fast erschreckender Nackt¬ heit und dem stärksten naturalistischen Cynismus wandelt sich in Büchners Scenen das unsterbliche Volk von 1793 zum kreischenden, lastervollen, grotesken Pöbel. Ein Tendenzdrama für die Revolution ist „Dantons Tod" nicht, man müßte denn, wie der Dichter wahrscheinlich gethan hat, die bloße wilde und farbenreiche Bewegung, den jähen Wechsel der Schicksale und den theatralischen Prunk der Revolution für so anziehend und herzgewinnend, für eine so glück¬ liche Unterbrechung der Langenweile des Daseins betrachten, daß man vom Wunsch nach Wiederholung und eigener Durchlebung der hier poetisch festge¬ haltenen Scenen erfüllt würde. Aber die poetischen Qualitäten des frühgeschie- deueu Dichters wird niemand verkennen, und die Fähigkeit zu sehen und das Gesehene zu gestalten, ist in der That eine so hervorstechende, daß die Verse der pathetischen Widmung an die Manen Büchners, mit denen Georg Herwegh ein Paar Jahre nach dem Tode des Dichters seine „Gedichte eines Lebendigen" einleitete, keineswegs völlig als Phrasen erscheinen. Wie freilich, auch bei län¬ gerem Leben und völliger Reife, dies dramatische Talent unserer darniederlie¬ genden realen Bühne hätte zu Gute kommen sollen, ist nicht recht abzusehen, und insofern mag der frühe Tod dem jungen Dichter manche herbe Erfahrung erspart haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/511>, abgerufen am 22.07.2024.