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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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den Plänen und Träumen deutsch-französischer UmWälzer vertraut geworden
sein, wenn er sich auch bis zu seiner Uebersiedlung nach der Universität Gießen
an ihnen nicht direct betheiligt hat. Vielleicht hielt ihn der wohlthätige Einfluß
einer schönen und liebenswürdigen Braut (Minna Jaegle) von der Gießner
Winkelpolitik und dem Frankfurter Pulses vom 3. April 1833 zurück, vielleicht
sah er aus der Straßburger Entfernung die Realität der Zustünde besser als
nachher in Gießen selbst.

Jedenfalls erscheint die Wandlung, welche in Büchners äußerem Verhalten
zu den revolutionären Plänen eintrat, höchst bemerkenswerth. "Schon als er
in Gießen anlangte," erzählt Franzos, "war er nicht mehr derselbe glückliche
Mensch, den wir bisher kennen gelernt. Nur selten ist es wohl einem Biogra¬
phen Pflicht gewesen, eine so radicale Wandlung seines Helden binnen gleich
kurzer Frist festzustellen und zu erläutern. Der Jüngling, der am Rhein stolz-
fröhlich im Glück der Liebe und der Freundschaft, in der Freude an seineu
Studien, im Zauber der Natur geschwelgt, der mit so ungemeiner Entschieden¬
heit auch eine ungemeine Klarheit der politischen Anschauungen (?) verbunden
und sich so schroff von revolutionären Kinderstreichen^ abgekehrt, derselbe Jüng¬
ling stürzt sich in Gießen, ein einsamer verbitterter Mensch, mit sich und der
Welt zerfallen kopfüber in dieselbe Bewegung, die er schon aus der Ferne so
richtig taxirt und obwohl ihn die Nähe nun handgreiflich gelehrt, was er in
die Ferne bloß geahnt. Es ist eine Wandlung, die auf den ersten Blick ver¬
blüffend wirkt."

Und doch -- vielleicht nicht so verblüffend, als der Biograph anzunehmen
scheint. Wie Georg Büchner geartet war, mußte ihn in dem stillen Gießen die
tödtlichste Langeweile und der tiefste Ekel an den umgebenden Verhältnissen
erfassen. Diese Langeweile und die Vereklung an einer einförmig matten, ärm¬
lich philiströsen Existenz, wie sie seit den Befreiungskriegen als normal galt,
hat damals tausende beschlichen und auf wunderliche Abwege geführt, und hilft
gewiß eine Menge literarischer wie politischer Erscheinungen jener Tage erklären.
Da es für Konservatismus galt, auch die schlechteste und jämmerlichste Einrich¬
tung, ja Gewohnheit als heilig und undiscutirbar zu betrachten, so erschien
naturgemäß schon das bloße Interesse an irgend welchen öffentlichen Dingen
und die leiseste Verbesserungslust als revolutionär. Büchner hatte aus Stra߬
burg gut vor revolutionären Kinderstreichen warnen können. Sobald er den
kleinlichen Verfolgungen, Chicanen und aufreizenden Brutalitäten der damaligen
Büreaukratie gegenüber stand, wallte sein heißes Blut auf und trieb ihn, dem
Verstände trotzend, vorwärts. Schon im Winter von 1833 auf 1834 war
Büchner tief in die geheimen Zettelungen verstrickt,' deren Mittelpunkt der
unglückliche Rector von Bntzbach und nachmalige Pfarrer Weidig bildete, und


den Plänen und Träumen deutsch-französischer UmWälzer vertraut geworden
sein, wenn er sich auch bis zu seiner Uebersiedlung nach der Universität Gießen
an ihnen nicht direct betheiligt hat. Vielleicht hielt ihn der wohlthätige Einfluß
einer schönen und liebenswürdigen Braut (Minna Jaegle) von der Gießner
Winkelpolitik und dem Frankfurter Pulses vom 3. April 1833 zurück, vielleicht
sah er aus der Straßburger Entfernung die Realität der Zustünde besser als
nachher in Gießen selbst.

Jedenfalls erscheint die Wandlung, welche in Büchners äußerem Verhalten
zu den revolutionären Plänen eintrat, höchst bemerkenswerth. „Schon als er
in Gießen anlangte," erzählt Franzos, „war er nicht mehr derselbe glückliche
Mensch, den wir bisher kennen gelernt. Nur selten ist es wohl einem Biogra¬
phen Pflicht gewesen, eine so radicale Wandlung seines Helden binnen gleich
kurzer Frist festzustellen und zu erläutern. Der Jüngling, der am Rhein stolz-
fröhlich im Glück der Liebe und der Freundschaft, in der Freude an seineu
Studien, im Zauber der Natur geschwelgt, der mit so ungemeiner Entschieden¬
heit auch eine ungemeine Klarheit der politischen Anschauungen (?) verbunden
und sich so schroff von revolutionären Kinderstreichen^ abgekehrt, derselbe Jüng¬
ling stürzt sich in Gießen, ein einsamer verbitterter Mensch, mit sich und der
Welt zerfallen kopfüber in dieselbe Bewegung, die er schon aus der Ferne so
richtig taxirt und obwohl ihn die Nähe nun handgreiflich gelehrt, was er in
die Ferne bloß geahnt. Es ist eine Wandlung, die auf den ersten Blick ver¬
blüffend wirkt."

Und doch — vielleicht nicht so verblüffend, als der Biograph anzunehmen
scheint. Wie Georg Büchner geartet war, mußte ihn in dem stillen Gießen die
tödtlichste Langeweile und der tiefste Ekel an den umgebenden Verhältnissen
erfassen. Diese Langeweile und die Vereklung an einer einförmig matten, ärm¬
lich philiströsen Existenz, wie sie seit den Befreiungskriegen als normal galt,
hat damals tausende beschlichen und auf wunderliche Abwege geführt, und hilft
gewiß eine Menge literarischer wie politischer Erscheinungen jener Tage erklären.
Da es für Konservatismus galt, auch die schlechteste und jämmerlichste Einrich¬
tung, ja Gewohnheit als heilig und undiscutirbar zu betrachten, so erschien
naturgemäß schon das bloße Interesse an irgend welchen öffentlichen Dingen
und die leiseste Verbesserungslust als revolutionär. Büchner hatte aus Stra߬
burg gut vor revolutionären Kinderstreichen warnen können. Sobald er den
kleinlichen Verfolgungen, Chicanen und aufreizenden Brutalitäten der damaligen
Büreaukratie gegenüber stand, wallte sein heißes Blut auf und trieb ihn, dem
Verstände trotzend, vorwärts. Schon im Winter von 1833 auf 1834 war
Büchner tief in die geheimen Zettelungen verstrickt,' deren Mittelpunkt der
unglückliche Rector von Bntzbach und nachmalige Pfarrer Weidig bildete, und


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[0507] den Plänen und Träumen deutsch-französischer UmWälzer vertraut geworden sein, wenn er sich auch bis zu seiner Uebersiedlung nach der Universität Gießen an ihnen nicht direct betheiligt hat. Vielleicht hielt ihn der wohlthätige Einfluß einer schönen und liebenswürdigen Braut (Minna Jaegle) von der Gießner Winkelpolitik und dem Frankfurter Pulses vom 3. April 1833 zurück, vielleicht sah er aus der Straßburger Entfernung die Realität der Zustünde besser als nachher in Gießen selbst. Jedenfalls erscheint die Wandlung, welche in Büchners äußerem Verhalten zu den revolutionären Plänen eintrat, höchst bemerkenswerth. „Schon als er in Gießen anlangte," erzählt Franzos, „war er nicht mehr derselbe glückliche Mensch, den wir bisher kennen gelernt. Nur selten ist es wohl einem Biogra¬ phen Pflicht gewesen, eine so radicale Wandlung seines Helden binnen gleich kurzer Frist festzustellen und zu erläutern. Der Jüngling, der am Rhein stolz- fröhlich im Glück der Liebe und der Freundschaft, in der Freude an seineu Studien, im Zauber der Natur geschwelgt, der mit so ungemeiner Entschieden¬ heit auch eine ungemeine Klarheit der politischen Anschauungen (?) verbunden und sich so schroff von revolutionären Kinderstreichen^ abgekehrt, derselbe Jüng¬ ling stürzt sich in Gießen, ein einsamer verbitterter Mensch, mit sich und der Welt zerfallen kopfüber in dieselbe Bewegung, die er schon aus der Ferne so richtig taxirt und obwohl ihn die Nähe nun handgreiflich gelehrt, was er in die Ferne bloß geahnt. Es ist eine Wandlung, die auf den ersten Blick ver¬ blüffend wirkt." Und doch — vielleicht nicht so verblüffend, als der Biograph anzunehmen scheint. Wie Georg Büchner geartet war, mußte ihn in dem stillen Gießen die tödtlichste Langeweile und der tiefste Ekel an den umgebenden Verhältnissen erfassen. Diese Langeweile und die Vereklung an einer einförmig matten, ärm¬ lich philiströsen Existenz, wie sie seit den Befreiungskriegen als normal galt, hat damals tausende beschlichen und auf wunderliche Abwege geführt, und hilft gewiß eine Menge literarischer wie politischer Erscheinungen jener Tage erklären. Da es für Konservatismus galt, auch die schlechteste und jämmerlichste Einrich¬ tung, ja Gewohnheit als heilig und undiscutirbar zu betrachten, so erschien naturgemäß schon das bloße Interesse an irgend welchen öffentlichen Dingen und die leiseste Verbesserungslust als revolutionär. Büchner hatte aus Stra߬ burg gut vor revolutionären Kinderstreichen warnen können. Sobald er den kleinlichen Verfolgungen, Chicanen und aufreizenden Brutalitäten der damaligen Büreaukratie gegenüber stand, wallte sein heißes Blut auf und trieb ihn, dem Verstände trotzend, vorwärts. Schon im Winter von 1833 auf 1834 war Büchner tief in die geheimen Zettelungen verstrickt,' deren Mittelpunkt der unglückliche Rector von Bntzbach und nachmalige Pfarrer Weidig bildete, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/507>, abgerufen am 22.07.2024.