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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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und selbst wenn Friedrich Wilhelm auf die Kunde vom Tode Peters, seines
besten Freundes, Thränen vergossen hat, hat er andererseits nicht selten Besorg¬
nisse über das Anwachsen der russischen Macht und des russischen Einflusses auf
die Angelegenheiten Westeuropas an den Tag gelegt. Der König von Preußen
hatte die Gewohnheit, zu sagen: "Ich liebe starke Freunde, aber nicht mächtige
Nachbarn." Diese Anschauungsweise bewog die preußische Regierung zu Hand¬
lungen, die den Gefühlen der Freundschaft und gegenseitigen Achtung, welche
die Souveräne vereinte, ebenso wenig entsprachen wie den wesentlichen Interessen
beider Staaten. Die vom Könige von Preußen gehegten Besorgnisse wurden
von Zeit zu Zeit Anlaß zu einer Erkaltung zwischen Rußland und Preußen,
die allerdings nur vorübergehender Art war. Merkwürdig ist, daß Befürch¬
tungen gleichen Charakters, die unter der Regierung der Kaiserin Elisabeth
Petrowna die russische Regierung ergriffen hatten, im Jahre 1757 zu einer
Kriegserklärung an Preußen führten. Der berühmte Kanzler Graf A. P. Bestu-
schew-Rjumin, welcher unter jener Kaiserin die russische Politik leitete, war über¬
zeugt, daß Friedrich der Große, "der nächste und mächtigste und daher auch
der gefährlichste Nachbar Rußlands", der Feind Rußlands sein und mithin ver¬
nichtet werden müsse. Diese Ueberzeugung veranlaßte die Theilnahme Rußlands
am siebenjährigen Kriege, welche der russischen Nation ungeheuere Opfer aufer¬
legte und ihr nicht den geringsten Vortheil eintrug.

Im Hinblick auf die Regierung der beiden großen Herrscher Peter I. und
Friedrich II., auf einen Zeitraum, wo Rußland und Preußen ihre politische
Macht zur Entwicklung brachten, begreift man leicht die Gefühle der Furcht
und selbst der Eifersucht, welche Vorurtheile, Gefahren und Mißverständnisse
entstehen ließen, deren Folge eine Erkaltung der gegenseitigen Beziehungen
und schließlich sogar der Krieg war. Unter der Herrschaft dieser Vorurtheile
und Besorgnisse vergessen beide Mächte auf Augenblicke, daß kein vernünftiger
Grund zu wechselseitiger Feindschaft vorhanden ist, kein Vortheil, welcher die
eine gegenüber der anderen bestimmen konnte, eine Angriffs- und Eroberungs¬
politik zu verfolgen, da keine wohlbegründete Ursache die Ausdehnung der Macht¬
sphäre der einen auf Kosten der anderen zu rechtfertigen vermag.

Die Geschichte der diplomatischen Verhandlungen unter der Regierung der
großen Kaiserin Katharina II. zeigt, daß die Beziehungen zwischen Rußland
und Preußen sich auf der festen Grundlage der Freundschaft und einer engen
Verknüpfung und gegenseitigen Achtung der beiderseitigen Interessen aufbauten,
obgleich die beiden Staaten mehr und mehr "nahe Nachbarn" wurden, obgleich
sie beständig ihre Besitzungen und ihre politische Macht weiter ausdehnten, und
obgleich sie sich immer häufiger auf dem Gebiete diplomatischer Verhandlungen
zur Lösung der großen internationalen Fragen begegneten. Katherina II. und


und selbst wenn Friedrich Wilhelm auf die Kunde vom Tode Peters, seines
besten Freundes, Thränen vergossen hat, hat er andererseits nicht selten Besorg¬
nisse über das Anwachsen der russischen Macht und des russischen Einflusses auf
die Angelegenheiten Westeuropas an den Tag gelegt. Der König von Preußen
hatte die Gewohnheit, zu sagen: „Ich liebe starke Freunde, aber nicht mächtige
Nachbarn." Diese Anschauungsweise bewog die preußische Regierung zu Hand¬
lungen, die den Gefühlen der Freundschaft und gegenseitigen Achtung, welche
die Souveräne vereinte, ebenso wenig entsprachen wie den wesentlichen Interessen
beider Staaten. Die vom Könige von Preußen gehegten Besorgnisse wurden
von Zeit zu Zeit Anlaß zu einer Erkaltung zwischen Rußland und Preußen,
die allerdings nur vorübergehender Art war. Merkwürdig ist, daß Befürch¬
tungen gleichen Charakters, die unter der Regierung der Kaiserin Elisabeth
Petrowna die russische Regierung ergriffen hatten, im Jahre 1757 zu einer
Kriegserklärung an Preußen führten. Der berühmte Kanzler Graf A. P. Bestu-
schew-Rjumin, welcher unter jener Kaiserin die russische Politik leitete, war über¬
zeugt, daß Friedrich der Große, „der nächste und mächtigste und daher auch
der gefährlichste Nachbar Rußlands", der Feind Rußlands sein und mithin ver¬
nichtet werden müsse. Diese Ueberzeugung veranlaßte die Theilnahme Rußlands
am siebenjährigen Kriege, welche der russischen Nation ungeheuere Opfer aufer¬
legte und ihr nicht den geringsten Vortheil eintrug.

Im Hinblick auf die Regierung der beiden großen Herrscher Peter I. und
Friedrich II., auf einen Zeitraum, wo Rußland und Preußen ihre politische
Macht zur Entwicklung brachten, begreift man leicht die Gefühle der Furcht
und selbst der Eifersucht, welche Vorurtheile, Gefahren und Mißverständnisse
entstehen ließen, deren Folge eine Erkaltung der gegenseitigen Beziehungen
und schließlich sogar der Krieg war. Unter der Herrschaft dieser Vorurtheile
und Besorgnisse vergessen beide Mächte auf Augenblicke, daß kein vernünftiger
Grund zu wechselseitiger Feindschaft vorhanden ist, kein Vortheil, welcher die
eine gegenüber der anderen bestimmen konnte, eine Angriffs- und Eroberungs¬
politik zu verfolgen, da keine wohlbegründete Ursache die Ausdehnung der Macht¬
sphäre der einen auf Kosten der anderen zu rechtfertigen vermag.

Die Geschichte der diplomatischen Verhandlungen unter der Regierung der
großen Kaiserin Katharina II. zeigt, daß die Beziehungen zwischen Rußland
und Preußen sich auf der festen Grundlage der Freundschaft und einer engen
Verknüpfung und gegenseitigen Achtung der beiderseitigen Interessen aufbauten,
obgleich die beiden Staaten mehr und mehr „nahe Nachbarn" wurden, obgleich
sie beständig ihre Besitzungen und ihre politische Macht weiter ausdehnten, und
obgleich sie sich immer häufiger auf dem Gebiete diplomatischer Verhandlungen
zur Lösung der großen internationalen Fragen begegneten. Katherina II. und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/491>, abgerufen am 22.07.2024.