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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Als später Enttäuschungen jeder Art Alfreds Stimmung verdüsterten, mit der Frische
seine Kraft erlahmte, und die Traurigkeit, welche er in dein berühmten Sonett so
ergreifend besungen, nur selten noch von seiner Seele wich, da stand Paul ihm zur
Seite wie Pylades dem furiengejagten Orest. Und so blieb er ihm auch treu und
hilfreich gesellt in jenen schrecklichen letzten achtzehn Monaten, von denen der Dich¬
ter singt:


Schon achtzehn Monde meine Todesstunde
Bon jeder Seit' im Ohre mir ertönt,
Schon achtzehn Monde, gramvoll schlafentwöhnt,
Fühl' ich mich nah dem offnen Grabesschlunde.
Aufreibt sich alle Kraft des Widerstandes,
Selbst in der Ruhe find' ich Ruhe nicht,
Und, wie ein Roß im Sturm des Wüstensandes,
Mein letzter Muth wehrlos zusammenbricht.*)

Der 2. Mai 1857 brachte dem Leidenden die Erlösung. Bald nach dem Tode
des Dichters trat an den Bruder eine Pietätspflicht heran, der er sich mit alter
Treue unterzog, George Sand hatte, als der Mund, dessen Widerspruch sie fürch¬
tete, für immer verstummt war, jenes traurige Buch: DAS ot Imi veröffentlicht,
in welchem sie, unter durchsichtiger Hülle die venetianischen Vorgänge wahrheits¬
widrig darstellend, die Schuld der unseligen Zerwürfnisse auf Musset abwälzt. Paul
de Musset wurde von diesem schnöden Angriff auf einen Todten nicht unerwartet
noch unvorbereitet getroffen. Auf seinem Sterbebette hatte Alfred, in richtiger
Schätzung des Charakters der ehemals geliebten, ein solches Attentat als möglich
vorausgesehen und seinen Bruder gebeten, in diesen: Falle die Verleumderin zu ent¬
larven. Ein günstiger Zufall ließ in dieser Zeit -- ich folge der Darstellung,
welche Paul de Musset in dem unten zu nennenden Buche giebt -- einige Briefe
auffinden, in welchen die Sand ihre Schuld offen eingesteht, offen, aber nicht ehr¬
lich, sondern voller Hintergedanken.**) Mit diesen Briefen ausgerüstet, schrieb nun
Paul: I^ni et Alle und traf die Sand mit der ganzen Wucht unwiderleglich be¬
zeugter Wahrheit so schwer, daß das schuldige Weib verstummte. Das Buch ist so
gut componirt, wie die enge Anlehnung an die Wirklichkeit irgend gestattet, es ist




*) Oeuvres xostknmss, S. 10 des Anhangs der Ausgabe in einem Bande.
**) Welchen Eindruck die Lesung dieser Briefe auf den Kranken gemacht hat, dafür
glaube ich ein merkwürdiges Zeugniß entdeckt zu haben. Musset fand unter jenen ver¬
gilbten Blättern einen Brief, der mit den Worten begann: "I-'neure <Zs in" mort oft en
train ne sonner. LI>a,<ins ^oui gui s'sponte frkppo un eoux, et äg,n8 ^u^tre,jours Is <Zer"
nier eonx vKiÄnIer", 1's.ir vital -mtour as owl. Der sterbende Dichter empfand an sich als
furchtbare Wahrheit, was in dem Briefe leere Worte waren, und schrieb, das I/neuve as
mort gleichsam zum Thema nehmend, daß oben übersetzte Gedicht:
I/Kenrs de ins, mort, dexnis nix-lMt wolf
Ds tous leg vlltös sonne K mes vrvillek ceo.
Wer fühlte nicht die namenlose Bitterkeit nach, mit denen der Unglückliche diese Zeilen ge¬
schrieben ?

Als später Enttäuschungen jeder Art Alfreds Stimmung verdüsterten, mit der Frische
seine Kraft erlahmte, und die Traurigkeit, welche er in dein berühmten Sonett so
ergreifend besungen, nur selten noch von seiner Seele wich, da stand Paul ihm zur
Seite wie Pylades dem furiengejagten Orest. Und so blieb er ihm auch treu und
hilfreich gesellt in jenen schrecklichen letzten achtzehn Monaten, von denen der Dich¬
ter singt:


Schon achtzehn Monde meine Todesstunde
Bon jeder Seit' im Ohre mir ertönt,
Schon achtzehn Monde, gramvoll schlafentwöhnt,
Fühl' ich mich nah dem offnen Grabesschlunde.
Aufreibt sich alle Kraft des Widerstandes,
Selbst in der Ruhe find' ich Ruhe nicht,
Und, wie ein Roß im Sturm des Wüstensandes,
Mein letzter Muth wehrlos zusammenbricht.*)

Der 2. Mai 1857 brachte dem Leidenden die Erlösung. Bald nach dem Tode
des Dichters trat an den Bruder eine Pietätspflicht heran, der er sich mit alter
Treue unterzog, George Sand hatte, als der Mund, dessen Widerspruch sie fürch¬
tete, für immer verstummt war, jenes traurige Buch: DAS ot Imi veröffentlicht,
in welchem sie, unter durchsichtiger Hülle die venetianischen Vorgänge wahrheits¬
widrig darstellend, die Schuld der unseligen Zerwürfnisse auf Musset abwälzt. Paul
de Musset wurde von diesem schnöden Angriff auf einen Todten nicht unerwartet
noch unvorbereitet getroffen. Auf seinem Sterbebette hatte Alfred, in richtiger
Schätzung des Charakters der ehemals geliebten, ein solches Attentat als möglich
vorausgesehen und seinen Bruder gebeten, in diesen: Falle die Verleumderin zu ent¬
larven. Ein günstiger Zufall ließ in dieser Zeit — ich folge der Darstellung,
welche Paul de Musset in dem unten zu nennenden Buche giebt — einige Briefe
auffinden, in welchen die Sand ihre Schuld offen eingesteht, offen, aber nicht ehr¬
lich, sondern voller Hintergedanken.**) Mit diesen Briefen ausgerüstet, schrieb nun
Paul: I^ni et Alle und traf die Sand mit der ganzen Wucht unwiderleglich be¬
zeugter Wahrheit so schwer, daß das schuldige Weib verstummte. Das Buch ist so
gut componirt, wie die enge Anlehnung an die Wirklichkeit irgend gestattet, es ist




*) Oeuvres xostknmss, S. 10 des Anhangs der Ausgabe in einem Bande.
**) Welchen Eindruck die Lesung dieser Briefe auf den Kranken gemacht hat, dafür
glaube ich ein merkwürdiges Zeugniß entdeckt zu haben. Musset fand unter jenen ver¬
gilbten Blättern einen Brief, der mit den Worten begann: „I-'neure <Zs in» mort oft en
train ne sonner. LI>a,<ins ^oui gui s'sponte frkppo un eoux, et äg,n8 ^u^tre,jours Is <Zer»
nier eonx vKiÄnIer», 1's.ir vital -mtour as owl. Der sterbende Dichter empfand an sich als
furchtbare Wahrheit, was in dem Briefe leere Worte waren, und schrieb, das I/neuve as
mort gleichsam zum Thema nehmend, daß oben übersetzte Gedicht:
I/Kenrs de ins, mort, dexnis nix-lMt wolf
Ds tous leg vlltös sonne K mes vrvillek ceo.
Wer fühlte nicht die namenlose Bitterkeit nach, mit denen der Unglückliche diese Zeilen ge¬
schrieben ?
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[0430] Als später Enttäuschungen jeder Art Alfreds Stimmung verdüsterten, mit der Frische seine Kraft erlahmte, und die Traurigkeit, welche er in dein berühmten Sonett so ergreifend besungen, nur selten noch von seiner Seele wich, da stand Paul ihm zur Seite wie Pylades dem furiengejagten Orest. Und so blieb er ihm auch treu und hilfreich gesellt in jenen schrecklichen letzten achtzehn Monaten, von denen der Dich¬ ter singt: Schon achtzehn Monde meine Todesstunde Bon jeder Seit' im Ohre mir ertönt, Schon achtzehn Monde, gramvoll schlafentwöhnt, Fühl' ich mich nah dem offnen Grabesschlunde. Aufreibt sich alle Kraft des Widerstandes, Selbst in der Ruhe find' ich Ruhe nicht, Und, wie ein Roß im Sturm des Wüstensandes, Mein letzter Muth wehrlos zusammenbricht.*) Der 2. Mai 1857 brachte dem Leidenden die Erlösung. Bald nach dem Tode des Dichters trat an den Bruder eine Pietätspflicht heran, der er sich mit alter Treue unterzog, George Sand hatte, als der Mund, dessen Widerspruch sie fürch¬ tete, für immer verstummt war, jenes traurige Buch: DAS ot Imi veröffentlicht, in welchem sie, unter durchsichtiger Hülle die venetianischen Vorgänge wahrheits¬ widrig darstellend, die Schuld der unseligen Zerwürfnisse auf Musset abwälzt. Paul de Musset wurde von diesem schnöden Angriff auf einen Todten nicht unerwartet noch unvorbereitet getroffen. Auf seinem Sterbebette hatte Alfred, in richtiger Schätzung des Charakters der ehemals geliebten, ein solches Attentat als möglich vorausgesehen und seinen Bruder gebeten, in diesen: Falle die Verleumderin zu ent¬ larven. Ein günstiger Zufall ließ in dieser Zeit — ich folge der Darstellung, welche Paul de Musset in dem unten zu nennenden Buche giebt — einige Briefe auffinden, in welchen die Sand ihre Schuld offen eingesteht, offen, aber nicht ehr¬ lich, sondern voller Hintergedanken.**) Mit diesen Briefen ausgerüstet, schrieb nun Paul: I^ni et Alle und traf die Sand mit der ganzen Wucht unwiderleglich be¬ zeugter Wahrheit so schwer, daß das schuldige Weib verstummte. Das Buch ist so gut componirt, wie die enge Anlehnung an die Wirklichkeit irgend gestattet, es ist *) Oeuvres xostknmss, S. 10 des Anhangs der Ausgabe in einem Bande. **) Welchen Eindruck die Lesung dieser Briefe auf den Kranken gemacht hat, dafür glaube ich ein merkwürdiges Zeugniß entdeckt zu haben. Musset fand unter jenen ver¬ gilbten Blättern einen Brief, der mit den Worten begann: „I-'neure <Zs in» mort oft en train ne sonner. LI>a,<ins ^oui gui s'sponte frkppo un eoux, et äg,n8 ^u^tre,jours Is <Zer» nier eonx vKiÄnIer», 1's.ir vital -mtour as owl. Der sterbende Dichter empfand an sich als furchtbare Wahrheit, was in dem Briefe leere Worte waren, und schrieb, das I/neuve as mort gleichsam zum Thema nehmend, daß oben übersetzte Gedicht: I/Kenrs de ins, mort, dexnis nix-lMt wolf Ds tous leg vlltös sonne K mes vrvillek ceo. Wer fühlte nicht die namenlose Bitterkeit nach, mit denen der Unglückliche diese Zeilen ge¬ schrieben ?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/430>, abgerufen am 22.07.2024.