Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.lagen der Ueberlieferung, der nationalen Anschauungen und der Vernunft war in Hervorgehoben sei schließlich noch die Förderung der finanziellen Controle, "Im Heere Eigenwille, Dünkel, Egoismus, Mangel an Opferfreudigkeit und lagen der Ueberlieferung, der nationalen Anschauungen und der Vernunft war in Hervorgehoben sei schließlich noch die Förderung der finanziellen Controle, „Im Heere Eigenwille, Dünkel, Egoismus, Mangel an Opferfreudigkeit und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146932"/> <p xml:id="ID_1241" prev="#ID_1240"> lagen der Ueberlieferung, der nationalen Anschauungen und der Vernunft war in<lb/> neuerer Zeit noch in keinem Staate versucht worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1242"> Hervorgehoben sei schließlich noch die Förderung der finanziellen Controle,<lb/> die stets eine der besten Seiten der Verwaltung Friedrich Wilhelms II. und Wöllners<lb/> sein wird, ferner die Thätigkeit auf dem Gebiete der Gesundheits- und Baupolizei.<lb/> Im Uebrigen bemerkt man nur Rückschritte in der Verwaltung. Schon am 19.<lb/> October 1788 wurde die freie Getreideausfuhr wegen schlechter Ernten wieder auf¬<lb/> gegeben. Unsicher und schwankend zeigte sich die preußische Zollpolitik, zurück¬<lb/> schreitend in jeder Beziehung. Das Regiment des Zwanges und Molestirens, das<lb/> Friedrich Wilhelm abgeschafft zu haben sich zum höchsten Ruhme anrechnete, wurde<lb/> wieder eingeführt und brachte doch nicht den alten Gewinn. Die Bemühungen,<lb/> dem preußischen Gewerbs- und Verkehrsleben durch Handelsverträge einen freien<lb/> Spielraum zu schaffen, blieben vergebens. Auch in den ländlichen Verhältnissen, wo<lb/> Reformen dringend nothwendig waren, kam es zu keinem Fortschritt. Noch lebte<lb/> der Bauer ohne eigene Bedeutung nur für den Edelmann oder Domänenpächter und<lb/> den Staat. Jenem mußte er seine Arbeitskraft, diesem sein Blut und seinen Ge¬<lb/> winn opfern. Wohl erkannte die Regierung die Dringlichkeit der Reform der land-<lb/> wirthschaftlichen Verhältnisse, aber sie vermochte sich nie über kleine Verbesserungen<lb/> und Abstellungen von Mißbrüuchen zu einem einzigen schöpferischen und energischen<lb/> Gedanken zu erheben. Unter erbitterten Kämpfen, in denen man auf der einen Seite<lb/> bis zum offenen Landesverrat!), auf der anderen bis zur Ungerechtigkeit schritt,, war<lb/> von den Hohenzollern in Brandenburg - Preußen die Souveränetät gegenüber dem<lb/> widerspenstigen Adel „zum rooner von dron^v stabilitirt"; jetzt ging Friedrich Wilhelm<lb/> ohne Noth von den consequent befolgten Grundsätzen seiner Ahnen ab und vertraute<lb/> die Communalverwaltung des flachen Landes und die Vertretung der provinziellen<lb/> Interesse ausschließlich dem Adel an. Der Provinzialparticnlarismus wurde künstlich<lb/> in demselben Preußen genährt, dessen Herrscher bis dahin in der gleichartigen Ver¬<lb/> schmelzung aller der weit »entlegenen Provinzen ihres Staates und in der Unter¬<lb/> ordnung aller Stände unter die absolute Macht des Staates ihre wichtigste Auf¬<lb/> gabe gesucht hatten! Schon Friedrich hatte den Adel überall bevorzugt, aber er<lb/> zog ihn zu strengem Dienst für den Staat heran. Der schwächere, gutmüthigere<lb/> Nachfolger duldete es, daß diese engen, drückenden Bande sich lockerten. Frivolität,<lb/> Habsucht, materielle Freuden, roher Uebermuth wurden im preußischen Adel immer<lb/> mehr herrschend.</p><lb/> <p xml:id="ID_1243" next="#ID_1244"> „Im Heere Eigenwille, Dünkel, Egoismus, Mangel an Opferfreudigkeit und<lb/> Hingabe an König und Vaterland, in der Beamtenwelt Streberthum, Bequemlichkeit,<lb/> Schlaffheit, Eifersucht, geringes Verständniß und noch weniger tüchtiger Wille; in<lb/> allen höheren Ständen der Wunsch zu genießen mit möglichst geringer Anstrengung,<lb/> vornehmes Absprechen und Kritisiren ohne eigene Kraft und Fähigkeit — das war<lb/> die Signatur des preußischen Wesens am Ende des 18. Jahrhunderts geworden.<lb/> Das strenge Pflichtgefühl, das Preußen groß gemacht hatte, war Herrscher und<lb/> Volk abhanden gekommen. Tüchtige und brauchbare Kräfte waren in dem letzteren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0427]
lagen der Ueberlieferung, der nationalen Anschauungen und der Vernunft war in
neuerer Zeit noch in keinem Staate versucht worden.
Hervorgehoben sei schließlich noch die Förderung der finanziellen Controle,
die stets eine der besten Seiten der Verwaltung Friedrich Wilhelms II. und Wöllners
sein wird, ferner die Thätigkeit auf dem Gebiete der Gesundheits- und Baupolizei.
Im Uebrigen bemerkt man nur Rückschritte in der Verwaltung. Schon am 19.
October 1788 wurde die freie Getreideausfuhr wegen schlechter Ernten wieder auf¬
gegeben. Unsicher und schwankend zeigte sich die preußische Zollpolitik, zurück¬
schreitend in jeder Beziehung. Das Regiment des Zwanges und Molestirens, das
Friedrich Wilhelm abgeschafft zu haben sich zum höchsten Ruhme anrechnete, wurde
wieder eingeführt und brachte doch nicht den alten Gewinn. Die Bemühungen,
dem preußischen Gewerbs- und Verkehrsleben durch Handelsverträge einen freien
Spielraum zu schaffen, blieben vergebens. Auch in den ländlichen Verhältnissen, wo
Reformen dringend nothwendig waren, kam es zu keinem Fortschritt. Noch lebte
der Bauer ohne eigene Bedeutung nur für den Edelmann oder Domänenpächter und
den Staat. Jenem mußte er seine Arbeitskraft, diesem sein Blut und seinen Ge¬
winn opfern. Wohl erkannte die Regierung die Dringlichkeit der Reform der land-
wirthschaftlichen Verhältnisse, aber sie vermochte sich nie über kleine Verbesserungen
und Abstellungen von Mißbrüuchen zu einem einzigen schöpferischen und energischen
Gedanken zu erheben. Unter erbitterten Kämpfen, in denen man auf der einen Seite
bis zum offenen Landesverrat!), auf der anderen bis zur Ungerechtigkeit schritt,, war
von den Hohenzollern in Brandenburg - Preußen die Souveränetät gegenüber dem
widerspenstigen Adel „zum rooner von dron^v stabilitirt"; jetzt ging Friedrich Wilhelm
ohne Noth von den consequent befolgten Grundsätzen seiner Ahnen ab und vertraute
die Communalverwaltung des flachen Landes und die Vertretung der provinziellen
Interesse ausschließlich dem Adel an. Der Provinzialparticnlarismus wurde künstlich
in demselben Preußen genährt, dessen Herrscher bis dahin in der gleichartigen Ver¬
schmelzung aller der weit »entlegenen Provinzen ihres Staates und in der Unter¬
ordnung aller Stände unter die absolute Macht des Staates ihre wichtigste Auf¬
gabe gesucht hatten! Schon Friedrich hatte den Adel überall bevorzugt, aber er
zog ihn zu strengem Dienst für den Staat heran. Der schwächere, gutmüthigere
Nachfolger duldete es, daß diese engen, drückenden Bande sich lockerten. Frivolität,
Habsucht, materielle Freuden, roher Uebermuth wurden im preußischen Adel immer
mehr herrschend.
„Im Heere Eigenwille, Dünkel, Egoismus, Mangel an Opferfreudigkeit und
Hingabe an König und Vaterland, in der Beamtenwelt Streberthum, Bequemlichkeit,
Schlaffheit, Eifersucht, geringes Verständniß und noch weniger tüchtiger Wille; in
allen höheren Ständen der Wunsch zu genießen mit möglichst geringer Anstrengung,
vornehmes Absprechen und Kritisiren ohne eigene Kraft und Fähigkeit — das war
die Signatur des preußischen Wesens am Ende des 18. Jahrhunderts geworden.
Das strenge Pflichtgefühl, das Preußen groß gemacht hatte, war Herrscher und
Volk abhanden gekommen. Tüchtige und brauchbare Kräfte waren in dem letzteren
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