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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Verfassung führten. Sodann erregt jene Zeit unser Interesse auch durch den Kampf,
der kurze Zeit nach dem Tode Friedrichs des Großen wider die verflachte, ersterbende
Aufklärung begann. Längst schon hatten phantasievollere und innerlichere Gemüther
an der trockenen Verständigkeit der rationalistischen Lehre und deren hausbackener
Moral keine Genüge mehr gefunden. Gerade im Widerspruche zu ihr fing man an,
sich in einer schrankenlosen Mystik und Gefühlsschwärmerei zu gefallen. Aus jener
Bewegung aber, die das Gefühl im Gegensatze zum Verstände, das Individuelle im
Gegensatze zum Allgemeinen, das Versenken in das Ich im Gegensatze zum Anschluß
und zur Unterordnung unter das Ganze betonte, ging die Sturm- und Drangperiode
der deutschen Poesie, gingen die gährenden, unklaren, durch einander wogenden
Bestrebungen hervor, die erst allmählich und in läuternder Beruhigung zu den schönsten
und herrlichsten Erzeugnissen des vaterländischen Dichtergeistes führen sollten. Der
Wettkampf der verschiedenen Richtungen, der damals im privaten wie im literarischen
Leben begann, machte sich bis in die höchsten Sphären des Staates aufs entschiedenste
geltend. So wurde die Frage, wie weit die Denk- und Preßfreiheit und die religiöse
Duldung sich ausdehnen ließen, zu einer brennenden und viel umstrittenen. Endlich
trat damals auch die große Aufgabe der Assimilirung weiter fremdartiger Erwer¬
bungen an die Regierung heran. Wie und mit welchem Erfolge sie derselben gerecht
geworden ist, ist sicherlich eine Frage von geschichtlicher Bedeutung; sie dürfte auch
für die Gegenwart, wo im Westen unseres Vaterlandes ähnliche Verhältnisse bestehen,
von Wichtigkeit sein.

Ehe Philippson an seine Aufgabe herantritt, giebt er ein zusammenfassendes
Bild von den außerordentlichen Leistungen Friedrichs des Großen wie den charak¬
teristischen Eigenthümlichkeiten seiner Regierungsweise. Friedrich hatte Preußen zu
einem ruhmreichen, festgefügten deutschen Staatswesen mit dem Charakter einer
europäischen Großmacht erhoben, er hatte Deutschland von fremden Einflüssen befreit
und dem deutschen Volke das längst verlorene Bewußtsein eigener Nationalität,
Kraft und Größe zurückgegeben, er hatte gegenüber den veralteten politischen Mächten,
der religiösen Bedrückung und der geistigen Stagnation den Sieg des modernen
Staatsbewußtseins und des individuellen Gewissens davongetragen, er war endlich
im Kampfe mit einem todten, entwicklungsunfähigen Conservativismus der ruhm¬
reiche Vertreter der im besten Sinne des Wortes revolutionären Kräfte gewesen.
Außerordentlich schwere Lasten hatte Friedrich seinen Unterthanen jedes Standes
aufgebürdet. Als Ersatz für ihre Leistungen hat er ihnen nicht viel mehr gegeben
als das befriedigende Gefühl, einem großen, geachteten Ganzen anzugehören und
für dasselbe zu wirken. Aber er hat auch wie kein anderer Fürst seine eigene Per¬
sönlichkeit dem Staate zum Opfer gebracht, keiner hat wie er, das Größte wie das
Kleinste durchschauert, Alles beherrschend, sein Interesse so völlig mit dem Staate
verknüpft.

Daß das System des aufgeklärten Despotismus, dem Friedrich anhing, seine
Schattenseiten hatte, kann freilich nicht geleugnet werden. Schon der große König
selbst konnte der Aufgabe, eine Art allwissende und allmächtige Vorsehung zu spielen,


Verfassung führten. Sodann erregt jene Zeit unser Interesse auch durch den Kampf,
der kurze Zeit nach dem Tode Friedrichs des Großen wider die verflachte, ersterbende
Aufklärung begann. Längst schon hatten phantasievollere und innerlichere Gemüther
an der trockenen Verständigkeit der rationalistischen Lehre und deren hausbackener
Moral keine Genüge mehr gefunden. Gerade im Widerspruche zu ihr fing man an,
sich in einer schrankenlosen Mystik und Gefühlsschwärmerei zu gefallen. Aus jener
Bewegung aber, die das Gefühl im Gegensatze zum Verstände, das Individuelle im
Gegensatze zum Allgemeinen, das Versenken in das Ich im Gegensatze zum Anschluß
und zur Unterordnung unter das Ganze betonte, ging die Sturm- und Drangperiode
der deutschen Poesie, gingen die gährenden, unklaren, durch einander wogenden
Bestrebungen hervor, die erst allmählich und in läuternder Beruhigung zu den schönsten
und herrlichsten Erzeugnissen des vaterländischen Dichtergeistes führen sollten. Der
Wettkampf der verschiedenen Richtungen, der damals im privaten wie im literarischen
Leben begann, machte sich bis in die höchsten Sphären des Staates aufs entschiedenste
geltend. So wurde die Frage, wie weit die Denk- und Preßfreiheit und die religiöse
Duldung sich ausdehnen ließen, zu einer brennenden und viel umstrittenen. Endlich
trat damals auch die große Aufgabe der Assimilirung weiter fremdartiger Erwer¬
bungen an die Regierung heran. Wie und mit welchem Erfolge sie derselben gerecht
geworden ist, ist sicherlich eine Frage von geschichtlicher Bedeutung; sie dürfte auch
für die Gegenwart, wo im Westen unseres Vaterlandes ähnliche Verhältnisse bestehen,
von Wichtigkeit sein.

Ehe Philippson an seine Aufgabe herantritt, giebt er ein zusammenfassendes
Bild von den außerordentlichen Leistungen Friedrichs des Großen wie den charak¬
teristischen Eigenthümlichkeiten seiner Regierungsweise. Friedrich hatte Preußen zu
einem ruhmreichen, festgefügten deutschen Staatswesen mit dem Charakter einer
europäischen Großmacht erhoben, er hatte Deutschland von fremden Einflüssen befreit
und dem deutschen Volke das längst verlorene Bewußtsein eigener Nationalität,
Kraft und Größe zurückgegeben, er hatte gegenüber den veralteten politischen Mächten,
der religiösen Bedrückung und der geistigen Stagnation den Sieg des modernen
Staatsbewußtseins und des individuellen Gewissens davongetragen, er war endlich
im Kampfe mit einem todten, entwicklungsunfähigen Conservativismus der ruhm¬
reiche Vertreter der im besten Sinne des Wortes revolutionären Kräfte gewesen.
Außerordentlich schwere Lasten hatte Friedrich seinen Unterthanen jedes Standes
aufgebürdet. Als Ersatz für ihre Leistungen hat er ihnen nicht viel mehr gegeben
als das befriedigende Gefühl, einem großen, geachteten Ganzen anzugehören und
für dasselbe zu wirken. Aber er hat auch wie kein anderer Fürst seine eigene Per¬
sönlichkeit dem Staate zum Opfer gebracht, keiner hat wie er, das Größte wie das
Kleinste durchschauert, Alles beherrschend, sein Interesse so völlig mit dem Staate
verknüpft.

Daß das System des aufgeklärten Despotismus, dem Friedrich anhing, seine
Schattenseiten hatte, kann freilich nicht geleugnet werden. Schon der große König
selbst konnte der Aufgabe, eine Art allwissende und allmächtige Vorsehung zu spielen,


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[0415] Verfassung führten. Sodann erregt jene Zeit unser Interesse auch durch den Kampf, der kurze Zeit nach dem Tode Friedrichs des Großen wider die verflachte, ersterbende Aufklärung begann. Längst schon hatten phantasievollere und innerlichere Gemüther an der trockenen Verständigkeit der rationalistischen Lehre und deren hausbackener Moral keine Genüge mehr gefunden. Gerade im Widerspruche zu ihr fing man an, sich in einer schrankenlosen Mystik und Gefühlsschwärmerei zu gefallen. Aus jener Bewegung aber, die das Gefühl im Gegensatze zum Verstände, das Individuelle im Gegensatze zum Allgemeinen, das Versenken in das Ich im Gegensatze zum Anschluß und zur Unterordnung unter das Ganze betonte, ging die Sturm- und Drangperiode der deutschen Poesie, gingen die gährenden, unklaren, durch einander wogenden Bestrebungen hervor, die erst allmählich und in läuternder Beruhigung zu den schönsten und herrlichsten Erzeugnissen des vaterländischen Dichtergeistes führen sollten. Der Wettkampf der verschiedenen Richtungen, der damals im privaten wie im literarischen Leben begann, machte sich bis in die höchsten Sphären des Staates aufs entschiedenste geltend. So wurde die Frage, wie weit die Denk- und Preßfreiheit und die religiöse Duldung sich ausdehnen ließen, zu einer brennenden und viel umstrittenen. Endlich trat damals auch die große Aufgabe der Assimilirung weiter fremdartiger Erwer¬ bungen an die Regierung heran. Wie und mit welchem Erfolge sie derselben gerecht geworden ist, ist sicherlich eine Frage von geschichtlicher Bedeutung; sie dürfte auch für die Gegenwart, wo im Westen unseres Vaterlandes ähnliche Verhältnisse bestehen, von Wichtigkeit sein. Ehe Philippson an seine Aufgabe herantritt, giebt er ein zusammenfassendes Bild von den außerordentlichen Leistungen Friedrichs des Großen wie den charak¬ teristischen Eigenthümlichkeiten seiner Regierungsweise. Friedrich hatte Preußen zu einem ruhmreichen, festgefügten deutschen Staatswesen mit dem Charakter einer europäischen Großmacht erhoben, er hatte Deutschland von fremden Einflüssen befreit und dem deutschen Volke das längst verlorene Bewußtsein eigener Nationalität, Kraft und Größe zurückgegeben, er hatte gegenüber den veralteten politischen Mächten, der religiösen Bedrückung und der geistigen Stagnation den Sieg des modernen Staatsbewußtseins und des individuellen Gewissens davongetragen, er war endlich im Kampfe mit einem todten, entwicklungsunfähigen Conservativismus der ruhm¬ reiche Vertreter der im besten Sinne des Wortes revolutionären Kräfte gewesen. Außerordentlich schwere Lasten hatte Friedrich seinen Unterthanen jedes Standes aufgebürdet. Als Ersatz für ihre Leistungen hat er ihnen nicht viel mehr gegeben als das befriedigende Gefühl, einem großen, geachteten Ganzen anzugehören und für dasselbe zu wirken. Aber er hat auch wie kein anderer Fürst seine eigene Per¬ sönlichkeit dem Staate zum Opfer gebracht, keiner hat wie er, das Größte wie das Kleinste durchschauert, Alles beherrschend, sein Interesse so völlig mit dem Staate verknüpft. Daß das System des aufgeklärten Despotismus, dem Friedrich anhing, seine Schattenseiten hatte, kann freilich nicht geleugnet werden. Schon der große König selbst konnte der Aufgabe, eine Art allwissende und allmächtige Vorsehung zu spielen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/415>, abgerufen am 22.07.2024.