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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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den Seeleneifer und den Brotneid, haben. Wenn Gladstone und Vright nicht
schon 1870 dazu verschritten sind, so unterließen sie es vermuthlich deshalb,
weil sie erst die Entwicklung der Neuerung in Irland abwarten wollten.

Die irische Frage selbst wurde damit nicht gelöst oder der Lösung ent¬
gegengeführt. Die Agitation der römischen Clerus nahm nicht ab, die centri-
fugalen, einer Lostrennung von England zustrebenden Parteien traten heftiger
und stärker auf als in den Jahren vorher, und zu gleicher Zeit mehrten sich
die agrarischen Verbrechen. Die Besoldungen der Geistlichkeit der irischen Staats¬
kirche betrugen zusammen nur eine halbe Million, die Einkünfte der protestan¬
tischen Engländer und Schotten dagegen, welche die Grundherren der irischen
Pachter waren, beliefen sich auf etwa 11 Millionen Pfund Sterling. Dies hatte
nach Krümmels Darstellung folgende Ursachen. Bis zu Ende des sechzehnten
Jahrhunderts gab es in Irland kein persönliches Eigenthum an Liegenschaften,
sondern die "Septa" oder der Clan verfügte zu gesammter Hand über den
Besitz. Die Häuptlinge genossen die Nutzung einer ansehnlichen Ackerflur;
da ihre Würde aber nicht erblich war und nach dem Tode auf das Haupt
einer anderen Familie übertragen zu werden pflegte, so konnten sich die unbe¬
weglichen Güter nie bei einem Hause befestigen, sondern wurden immer wieder
frisch ausgetheilt. Jakob I. bot den damals herrschenden Häuptlingen an, ihnen
das, was sie nur als Nutznießer besaßen, in Lehen zu verwandeln. Sie gingen
darauf ein und leisteten den Vasalleneid. Darauf aber ließen sie sich wieder
in Verschwörungen und Aufstände ein, und die Folge war, daß ihre Güter ein¬
gezogen wurden. So gelangte die Krone in den Besitz alles Grundeigenthums
auf der Insel, und aus ihrer, sowie später aus Cromwells Hand empfingen
wiederum englische und schottische Ansiedler die betreffenden Ländereien. Die
Iren betrachten dies als ein Unrecht, sie finden es unbillig, Grundbesitzern, die
durch Gewaltthat Stücke irischen Bodens erlangt haben und noch dazu nicht
unter ihnen leben, Pacht zu entrichten, und werden sie in Folge dessen von dein
erpachteten Lande vertrieben, so rächen sie sich durch Ermordung der Verwalter.
Vor etwa zehn Jahren kamen im Laufe von zwölf Monaten nicht weniger als
sieben solcher Morde vor, und seitdem haben sich die Zustände wenig gebessert.
Gesetz und Polizei sind in den meisten Fällen ohnmächtig, da die Verbrecher
äußerst selten verrathen werden und da sich, wenn man ihrer habhaft wird, keine
Zeugen zu ihrer Ueberführung finden. Das verfassungsmäßige Verfahren reicht
selbst in vergleichsweise ruhigen Zeiten nicht zum Schutze der von dem Vehm-
gerichte der "Ribbonmen" bedrohten Grundherren und Verwalter hin, und so
war man bis jetzt zu beständigen Aushebungen der Habeas-Corpus-Aete, d. h.
zur Erklärung des Belagerungszustaudes genöthigt.

Hierzu kommt aber noch, daß die irischen Farmer unverständig wirthschaften,


den Seeleneifer und den Brotneid, haben. Wenn Gladstone und Vright nicht
schon 1870 dazu verschritten sind, so unterließen sie es vermuthlich deshalb,
weil sie erst die Entwicklung der Neuerung in Irland abwarten wollten.

Die irische Frage selbst wurde damit nicht gelöst oder der Lösung ent¬
gegengeführt. Die Agitation der römischen Clerus nahm nicht ab, die centri-
fugalen, einer Lostrennung von England zustrebenden Parteien traten heftiger
und stärker auf als in den Jahren vorher, und zu gleicher Zeit mehrten sich
die agrarischen Verbrechen. Die Besoldungen der Geistlichkeit der irischen Staats¬
kirche betrugen zusammen nur eine halbe Million, die Einkünfte der protestan¬
tischen Engländer und Schotten dagegen, welche die Grundherren der irischen
Pachter waren, beliefen sich auf etwa 11 Millionen Pfund Sterling. Dies hatte
nach Krümmels Darstellung folgende Ursachen. Bis zu Ende des sechzehnten
Jahrhunderts gab es in Irland kein persönliches Eigenthum an Liegenschaften,
sondern die „Septa" oder der Clan verfügte zu gesammter Hand über den
Besitz. Die Häuptlinge genossen die Nutzung einer ansehnlichen Ackerflur;
da ihre Würde aber nicht erblich war und nach dem Tode auf das Haupt
einer anderen Familie übertragen zu werden pflegte, so konnten sich die unbe¬
weglichen Güter nie bei einem Hause befestigen, sondern wurden immer wieder
frisch ausgetheilt. Jakob I. bot den damals herrschenden Häuptlingen an, ihnen
das, was sie nur als Nutznießer besaßen, in Lehen zu verwandeln. Sie gingen
darauf ein und leisteten den Vasalleneid. Darauf aber ließen sie sich wieder
in Verschwörungen und Aufstände ein, und die Folge war, daß ihre Güter ein¬
gezogen wurden. So gelangte die Krone in den Besitz alles Grundeigenthums
auf der Insel, und aus ihrer, sowie später aus Cromwells Hand empfingen
wiederum englische und schottische Ansiedler die betreffenden Ländereien. Die
Iren betrachten dies als ein Unrecht, sie finden es unbillig, Grundbesitzern, die
durch Gewaltthat Stücke irischen Bodens erlangt haben und noch dazu nicht
unter ihnen leben, Pacht zu entrichten, und werden sie in Folge dessen von dein
erpachteten Lande vertrieben, so rächen sie sich durch Ermordung der Verwalter.
Vor etwa zehn Jahren kamen im Laufe von zwölf Monaten nicht weniger als
sieben solcher Morde vor, und seitdem haben sich die Zustände wenig gebessert.
Gesetz und Polizei sind in den meisten Fällen ohnmächtig, da die Verbrecher
äußerst selten verrathen werden und da sich, wenn man ihrer habhaft wird, keine
Zeugen zu ihrer Ueberführung finden. Das verfassungsmäßige Verfahren reicht
selbst in vergleichsweise ruhigen Zeiten nicht zum Schutze der von dem Vehm-
gerichte der „Ribbonmen" bedrohten Grundherren und Verwalter hin, und so
war man bis jetzt zu beständigen Aushebungen der Habeas-Corpus-Aete, d. h.
zur Erklärung des Belagerungszustaudes genöthigt.

Hierzu kommt aber noch, daß die irischen Farmer unverständig wirthschaften,


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[0411] den Seeleneifer und den Brotneid, haben. Wenn Gladstone und Vright nicht schon 1870 dazu verschritten sind, so unterließen sie es vermuthlich deshalb, weil sie erst die Entwicklung der Neuerung in Irland abwarten wollten. Die irische Frage selbst wurde damit nicht gelöst oder der Lösung ent¬ gegengeführt. Die Agitation der römischen Clerus nahm nicht ab, die centri- fugalen, einer Lostrennung von England zustrebenden Parteien traten heftiger und stärker auf als in den Jahren vorher, und zu gleicher Zeit mehrten sich die agrarischen Verbrechen. Die Besoldungen der Geistlichkeit der irischen Staats¬ kirche betrugen zusammen nur eine halbe Million, die Einkünfte der protestan¬ tischen Engländer und Schotten dagegen, welche die Grundherren der irischen Pachter waren, beliefen sich auf etwa 11 Millionen Pfund Sterling. Dies hatte nach Krümmels Darstellung folgende Ursachen. Bis zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts gab es in Irland kein persönliches Eigenthum an Liegenschaften, sondern die „Septa" oder der Clan verfügte zu gesammter Hand über den Besitz. Die Häuptlinge genossen die Nutzung einer ansehnlichen Ackerflur; da ihre Würde aber nicht erblich war und nach dem Tode auf das Haupt einer anderen Familie übertragen zu werden pflegte, so konnten sich die unbe¬ weglichen Güter nie bei einem Hause befestigen, sondern wurden immer wieder frisch ausgetheilt. Jakob I. bot den damals herrschenden Häuptlingen an, ihnen das, was sie nur als Nutznießer besaßen, in Lehen zu verwandeln. Sie gingen darauf ein und leisteten den Vasalleneid. Darauf aber ließen sie sich wieder in Verschwörungen und Aufstände ein, und die Folge war, daß ihre Güter ein¬ gezogen wurden. So gelangte die Krone in den Besitz alles Grundeigenthums auf der Insel, und aus ihrer, sowie später aus Cromwells Hand empfingen wiederum englische und schottische Ansiedler die betreffenden Ländereien. Die Iren betrachten dies als ein Unrecht, sie finden es unbillig, Grundbesitzern, die durch Gewaltthat Stücke irischen Bodens erlangt haben und noch dazu nicht unter ihnen leben, Pacht zu entrichten, und werden sie in Folge dessen von dein erpachteten Lande vertrieben, so rächen sie sich durch Ermordung der Verwalter. Vor etwa zehn Jahren kamen im Laufe von zwölf Monaten nicht weniger als sieben solcher Morde vor, und seitdem haben sich die Zustände wenig gebessert. Gesetz und Polizei sind in den meisten Fällen ohnmächtig, da die Verbrecher äußerst selten verrathen werden und da sich, wenn man ihrer habhaft wird, keine Zeugen zu ihrer Ueberführung finden. Das verfassungsmäßige Verfahren reicht selbst in vergleichsweise ruhigen Zeiten nicht zum Schutze der von dem Vehm- gerichte der „Ribbonmen" bedrohten Grundherren und Verwalter hin, und so war man bis jetzt zu beständigen Aushebungen der Habeas-Corpus-Aete, d. h. zur Erklärung des Belagerungszustaudes genöthigt. Hierzu kommt aber noch, daß die irischen Farmer unverständig wirthschaften,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/411>, abgerufen am 22.07.2024.