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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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die breiten Falten noch bis zum Knöchel des Fußes herabfallen. Die linke
Hand mit dem Unterarm ist, ganz im Mantel verborgen, auf den Rücken ge¬
legt. So entsteht auf dieser Seite eine größere Lebendigkeit des Faltenwurfs,
ein malerisches Spiel von tiefen Schatten und spitzen Lichtern, welches einen
wohl erwogenen Contrast zu den breiten, ruhigen Flächen des Mantels über
dein rechten, dem Spielbein bildet. Während das Standbein sich leicht an einen
Baumstamm lehnt, ist das andere etwas vorgeschoben, und dieser Richtung ist
auch das etwas nach rechts gekehrte Haupt des Dichters zugewendet.

Auf Halbkreisen vorgeschoben umgeben die drei oben erwähnten Gruppen
den auf drei Marmorstufen sich erhebenden Sockel, so daß zwei von ihnen,
rechts und links vom Dichter stehend, dem Beschauer je eine Profilansicht ge¬
währen, indes die dritte die Rückseite einnimmt. Die Lyrische Poesie ist eine
junge Maid mit lang herabwallenden Haar. In der Linken hält sie die Leier,
der sie eben noch holde Töne entlockt, und mit der Rechten umfaßt sie einen
jungen Eros, zu welchem sie mit einem unbeschreiblich süßen Lächeln herabblickt,
als wollte sie aus den Worten des klugen Kindes neue Inspirationen schöpfen.
Man wird bei diesem herrlichen Frauenbilde an die überschwenglichen Lobes¬
erhebungen erinnert, welche die Alten der kindischen Aphrodite zollten, ins¬
besondere an die begeisterte Schilderung Lucians, der von der Knidierin sagt:
<5"<s^ort x^ort ^ex^äp 6?r<>^Le<?to<s" (mit bezaubernden Lächeln ein klein wenig
lächelnd). Wie dieses bezaubernde Lächeln gewesen sein mag, ist uns jetzt klarer
geworden, seitdem uns Olympia den Hermes herausgegeben hat, der wenn auch
uicht mit völliger Sicherheit dem großen Praxiteles selber, so doch seiner Schule
zugeschrieben werden kann. Und wenn man die Zeugnisse, welche wir bei den
Alten über den Charakter praxitelischer Kunst finden, weiter durchblättern,
begegnen wir, merkwürdig genug, noch einem zweiten Berührungspunkte des
alten Meisters init dem modernen. Diodor sagt, Praxiteles war / x"r"^"L"5
"x^eos rvtx ^t^t"-ot5 ^/vtx r" rH? 7r"L^, (der dem todten Stein
seelische Bewegungen ausprägte) und daraufhin ist auch das ganze künstlerische
Streben Schapers gerichtet, welches nirgends ein höheres Ziel erreicht hat, als
in diesen Postamentsgruppen.

Die ernste Frau links vom Beschauer mit den edlen, tieftraurigen Zügen,
dem verhüllten Hinterhaupte und dem Griffel in der Linken ist die Personi-
fication der dramatischen Poesie, deren höchste Blüthe die Tragödie ist, und
darauf deutet auch der schlanke, dem Jünglingsalter nahe Genius zu ihrer
Rechten, der sich trauernd an sie lehnt. Die gesenkte Fackel in seinen Rechten
spricht aus, daß die endliche Lösung tragischer Conflicte nur in dem alles ver¬
söhnenden Tode zu suchen ist. Die Wissenschaft endlich, eine jugendliche Frauen¬
gestalt mit sorgfältig geordnetem und gescheitelten Haar, blickt, mit begeisterter


die breiten Falten noch bis zum Knöchel des Fußes herabfallen. Die linke
Hand mit dem Unterarm ist, ganz im Mantel verborgen, auf den Rücken ge¬
legt. So entsteht auf dieser Seite eine größere Lebendigkeit des Faltenwurfs,
ein malerisches Spiel von tiefen Schatten und spitzen Lichtern, welches einen
wohl erwogenen Contrast zu den breiten, ruhigen Flächen des Mantels über
dein rechten, dem Spielbein bildet. Während das Standbein sich leicht an einen
Baumstamm lehnt, ist das andere etwas vorgeschoben, und dieser Richtung ist
auch das etwas nach rechts gekehrte Haupt des Dichters zugewendet.

Auf Halbkreisen vorgeschoben umgeben die drei oben erwähnten Gruppen
den auf drei Marmorstufen sich erhebenden Sockel, so daß zwei von ihnen,
rechts und links vom Dichter stehend, dem Beschauer je eine Profilansicht ge¬
währen, indes die dritte die Rückseite einnimmt. Die Lyrische Poesie ist eine
junge Maid mit lang herabwallenden Haar. In der Linken hält sie die Leier,
der sie eben noch holde Töne entlockt, und mit der Rechten umfaßt sie einen
jungen Eros, zu welchem sie mit einem unbeschreiblich süßen Lächeln herabblickt,
als wollte sie aus den Worten des klugen Kindes neue Inspirationen schöpfen.
Man wird bei diesem herrlichen Frauenbilde an die überschwenglichen Lobes¬
erhebungen erinnert, welche die Alten der kindischen Aphrodite zollten, ins¬
besondere an die begeisterte Schilderung Lucians, der von der Knidierin sagt:
<5«<s^ort x^ort ^ex^äp 6?r<>^Le<?to<s« (mit bezaubernden Lächeln ein klein wenig
lächelnd). Wie dieses bezaubernde Lächeln gewesen sein mag, ist uns jetzt klarer
geworden, seitdem uns Olympia den Hermes herausgegeben hat, der wenn auch
uicht mit völliger Sicherheit dem großen Praxiteles selber, so doch seiner Schule
zugeschrieben werden kann. Und wenn man die Zeugnisse, welche wir bei den
Alten über den Charakter praxitelischer Kunst finden, weiter durchblättern,
begegnen wir, merkwürdig genug, noch einem zweiten Berührungspunkte des
alten Meisters init dem modernen. Diodor sagt, Praxiteles war / x«r«^»L«5
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seelische Bewegungen ausprägte) und daraufhin ist auch das ganze künstlerische
Streben Schapers gerichtet, welches nirgends ein höheres Ziel erreicht hat, als
in diesen Postamentsgruppen.

Die ernste Frau links vom Beschauer mit den edlen, tieftraurigen Zügen,
dem verhüllten Hinterhaupte und dem Griffel in der Linken ist die Personi-
fication der dramatischen Poesie, deren höchste Blüthe die Tragödie ist, und
darauf deutet auch der schlanke, dem Jünglingsalter nahe Genius zu ihrer
Rechten, der sich trauernd an sie lehnt. Die gesenkte Fackel in seinen Rechten
spricht aus, daß die endliche Lösung tragischer Conflicte nur in dem alles ver¬
söhnenden Tode zu suchen ist. Die Wissenschaft endlich, eine jugendliche Frauen¬
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[0383] die breiten Falten noch bis zum Knöchel des Fußes herabfallen. Die linke Hand mit dem Unterarm ist, ganz im Mantel verborgen, auf den Rücken ge¬ legt. So entsteht auf dieser Seite eine größere Lebendigkeit des Faltenwurfs, ein malerisches Spiel von tiefen Schatten und spitzen Lichtern, welches einen wohl erwogenen Contrast zu den breiten, ruhigen Flächen des Mantels über dein rechten, dem Spielbein bildet. Während das Standbein sich leicht an einen Baumstamm lehnt, ist das andere etwas vorgeschoben, und dieser Richtung ist auch das etwas nach rechts gekehrte Haupt des Dichters zugewendet. Auf Halbkreisen vorgeschoben umgeben die drei oben erwähnten Gruppen den auf drei Marmorstufen sich erhebenden Sockel, so daß zwei von ihnen, rechts und links vom Dichter stehend, dem Beschauer je eine Profilansicht ge¬ währen, indes die dritte die Rückseite einnimmt. Die Lyrische Poesie ist eine junge Maid mit lang herabwallenden Haar. In der Linken hält sie die Leier, der sie eben noch holde Töne entlockt, und mit der Rechten umfaßt sie einen jungen Eros, zu welchem sie mit einem unbeschreiblich süßen Lächeln herabblickt, als wollte sie aus den Worten des klugen Kindes neue Inspirationen schöpfen. Man wird bei diesem herrlichen Frauenbilde an die überschwenglichen Lobes¬ erhebungen erinnert, welche die Alten der kindischen Aphrodite zollten, ins¬ besondere an die begeisterte Schilderung Lucians, der von der Knidierin sagt: <5«<s^ort x^ort ^ex^äp 6?r<>^Le<?to<s« (mit bezaubernden Lächeln ein klein wenig lächelnd). Wie dieses bezaubernde Lächeln gewesen sein mag, ist uns jetzt klarer geworden, seitdem uns Olympia den Hermes herausgegeben hat, der wenn auch uicht mit völliger Sicherheit dem großen Praxiteles selber, so doch seiner Schule zugeschrieben werden kann. Und wenn man die Zeugnisse, welche wir bei den Alten über den Charakter praxitelischer Kunst finden, weiter durchblättern, begegnen wir, merkwürdig genug, noch einem zweiten Berührungspunkte des alten Meisters init dem modernen. Diodor sagt, Praxiteles war / x«r«^»L«5 «x^eos rvtx ^t^t»-ot5 ^/vtx r« rH? 7r«L^, (der dem todten Stein seelische Bewegungen ausprägte) und daraufhin ist auch das ganze künstlerische Streben Schapers gerichtet, welches nirgends ein höheres Ziel erreicht hat, als in diesen Postamentsgruppen. Die ernste Frau links vom Beschauer mit den edlen, tieftraurigen Zügen, dem verhüllten Hinterhaupte und dem Griffel in der Linken ist die Personi- fication der dramatischen Poesie, deren höchste Blüthe die Tragödie ist, und darauf deutet auch der schlanke, dem Jünglingsalter nahe Genius zu ihrer Rechten, der sich trauernd an sie lehnt. Die gesenkte Fackel in seinen Rechten spricht aus, daß die endliche Lösung tragischer Conflicte nur in dem alles ver¬ söhnenden Tode zu suchen ist. Die Wissenschaft endlich, eine jugendliche Frauen¬ gestalt mit sorgfältig geordnetem und gescheitelten Haar, blickt, mit begeisterter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/383>, abgerufen am 22.07.2024.