hat uns ihrer gleich zwei gebracht: Eucles Denkmal der Königin Louise für den Thiergarten und -- ein doppelter Trumpf -- Schapers Goethemonument.
1873 freilich war man mit der Entscheidung, welche die Jury getroffen, nicht sehr zufrieden. Man erkannte die Schönheit der Schaperschen Sockelgruppen willig an, aber mit seinem Goethe wollte sich Niemand befreunden. Mager und dürftig stand eine grämliche Gestalt in dem altfränkischen Costüm, welches die Glieder noch schlottriger macht und namentlich der monumentalen Würde ganz und gar entbehrt, auf einem runden Postament, welches von soviel Grazie, Jugend und Schönheit umgeben war, daß der Alte dort oben noch fataler wurde. Was ist aber heute aus diesem Entwürfe geworden? Jahre ernster Arbeit liegen dazwischen, welche den damals seiner selbst noch nicht völlig sicheren Künstler zum zielbewußter Manne gereift haben, und ein Zeugniß dieser Läute¬ rung, dieses unablässigen Ringens nach dem Höchsten ist das Goethedenkmal, wie es heute vollendet vor uns steht, in klarer, in sich selbst gefestigter Ruhe, in majestätischer Schönheit und in reizvoller Anmuth, ein Werk von seltener Originalität, daß sich nicht ängstlich an etwas vorhandenes anlehnt, sondern den überlieferten Typus in freier Umbildung giebt und zugleich den modernen Geist ohne classische Schulreminiscenzen treu wiederspiegelt.
Schayer sah bald ein, daß er seinen alten Goethe auf- und der öffentlichen Meinung nachgeben mußte. Er griff wieder auf die Trippelsche Büste von 1787 zurück, welche die Linien des Goethescher Angesichts ins Erhabene steigert und dem antiken Apollotypus nähert, setzte diesem Typus aber einige Züge reiferer Männlichkeit, namentlich die größere Energie der den Mund umgebenden Partieen und die reichere Fülle des Kinns an der Hand der Rauchschen Büste hinzu. So entstand eine äußerst harmonische Verbindung von jugendlicher Schönheit und männlicher Kraft, ein Ideal des Dichters der "Iphigenie" und des "Tasso", des gedankenvollen Naturforschers, auf dessen hoher, von keiner Falte gefurchten Stirn noch der verklärende Glorienschein ruht, der von dem be¬ geisterten und begeisternden Sänger der herrlichsten Liebeslieder des deutschen Volkes ausgeht. Und diese dreifache Ausstattung des großen Genius findet auch in den Gruppen des Fußgestells ihren körperlichen Ausdruck. Goethe tritt uns hier etwa im Alter von 45 Jahren entgegen.
Auch des Mantels konnte Schayer nicht entrathen, um der Figur einen wirksamen Hintergrund, eine hebende Folie zu verleihen. Aber dieses sonst so mißliche, viel bespöttelte Kleidungsstück ist dem Künstler keineswegs unbequem geworden. Er benutzt es nicht, um die altfränkische Tracht zu verdecken, sondern gewinnt ihm selbständige malerische Reize ab, welche dem Gescnnmteffekt zu Gute kommen. Mit der rechte" Hand, die überdies eine Rolle hält, hebt er den auf den Schultern ruhenden Mantel bis zur Weste empor, aber nur so hoch, daß
hat uns ihrer gleich zwei gebracht: Eucles Denkmal der Königin Louise für den Thiergarten und — ein doppelter Trumpf — Schapers Goethemonument.
1873 freilich war man mit der Entscheidung, welche die Jury getroffen, nicht sehr zufrieden. Man erkannte die Schönheit der Schaperschen Sockelgruppen willig an, aber mit seinem Goethe wollte sich Niemand befreunden. Mager und dürftig stand eine grämliche Gestalt in dem altfränkischen Costüm, welches die Glieder noch schlottriger macht und namentlich der monumentalen Würde ganz und gar entbehrt, auf einem runden Postament, welches von soviel Grazie, Jugend und Schönheit umgeben war, daß der Alte dort oben noch fataler wurde. Was ist aber heute aus diesem Entwürfe geworden? Jahre ernster Arbeit liegen dazwischen, welche den damals seiner selbst noch nicht völlig sicheren Künstler zum zielbewußter Manne gereift haben, und ein Zeugniß dieser Läute¬ rung, dieses unablässigen Ringens nach dem Höchsten ist das Goethedenkmal, wie es heute vollendet vor uns steht, in klarer, in sich selbst gefestigter Ruhe, in majestätischer Schönheit und in reizvoller Anmuth, ein Werk von seltener Originalität, daß sich nicht ängstlich an etwas vorhandenes anlehnt, sondern den überlieferten Typus in freier Umbildung giebt und zugleich den modernen Geist ohne classische Schulreminiscenzen treu wiederspiegelt.
Schayer sah bald ein, daß er seinen alten Goethe auf- und der öffentlichen Meinung nachgeben mußte. Er griff wieder auf die Trippelsche Büste von 1787 zurück, welche die Linien des Goethescher Angesichts ins Erhabene steigert und dem antiken Apollotypus nähert, setzte diesem Typus aber einige Züge reiferer Männlichkeit, namentlich die größere Energie der den Mund umgebenden Partieen und die reichere Fülle des Kinns an der Hand der Rauchschen Büste hinzu. So entstand eine äußerst harmonische Verbindung von jugendlicher Schönheit und männlicher Kraft, ein Ideal des Dichters der „Iphigenie" und des „Tasso", des gedankenvollen Naturforschers, auf dessen hoher, von keiner Falte gefurchten Stirn noch der verklärende Glorienschein ruht, der von dem be¬ geisterten und begeisternden Sänger der herrlichsten Liebeslieder des deutschen Volkes ausgeht. Und diese dreifache Ausstattung des großen Genius findet auch in den Gruppen des Fußgestells ihren körperlichen Ausdruck. Goethe tritt uns hier etwa im Alter von 45 Jahren entgegen.
Auch des Mantels konnte Schayer nicht entrathen, um der Figur einen wirksamen Hintergrund, eine hebende Folie zu verleihen. Aber dieses sonst so mißliche, viel bespöttelte Kleidungsstück ist dem Künstler keineswegs unbequem geworden. Er benutzt es nicht, um die altfränkische Tracht zu verdecken, sondern gewinnt ihm selbständige malerische Reize ab, welche dem Gescnnmteffekt zu Gute kommen. Mit der rechte« Hand, die überdies eine Rolle hält, hebt er den auf den Schultern ruhenden Mantel bis zur Weste empor, aber nur so hoch, daß
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den Thiergarten und — ein doppelter Trumpf — Schapers Goethemonument.
1873 freilich war man mit der Entscheidung, welche die Jury getroffen,
nicht sehr zufrieden. Man erkannte die Schönheit der Schaperschen Sockelgruppen
willig an, aber mit seinem Goethe wollte sich Niemand befreunden. Mager und
dürftig stand eine grämliche Gestalt in dem altfränkischen Costüm, welches die
Glieder noch schlottriger macht und namentlich der monumentalen Würde ganz
und gar entbehrt, auf einem runden Postament, welches von soviel Grazie,
Jugend und Schönheit umgeben war, daß der Alte dort oben noch fataler
wurde. Was ist aber heute aus diesem Entwürfe geworden? Jahre ernster
Arbeit liegen dazwischen, welche den damals seiner selbst noch nicht völlig sicheren
Künstler zum zielbewußter Manne gereift haben, und ein Zeugniß dieser Läute¬
rung, dieses unablässigen Ringens nach dem Höchsten ist das Goethedenkmal,
wie es heute vollendet vor uns steht, in klarer, in sich selbst gefestigter Ruhe,
in majestätischer Schönheit und in reizvoller Anmuth, ein Werk von seltener
Originalität, daß sich nicht ängstlich an etwas vorhandenes anlehnt, sondern
den überlieferten Typus in freier Umbildung giebt und zugleich den modernen
Geist ohne classische Schulreminiscenzen treu wiederspiegelt.
Schayer sah bald ein, daß er seinen alten Goethe auf- und der öffentlichen
Meinung nachgeben mußte. Er griff wieder auf die Trippelsche Büste von
1787 zurück, welche die Linien des Goethescher Angesichts ins Erhabene steigert
und dem antiken Apollotypus nähert, setzte diesem Typus aber einige Züge
reiferer Männlichkeit, namentlich die größere Energie der den Mund umgebenden
Partieen und die reichere Fülle des Kinns an der Hand der Rauchschen Büste
hinzu. So entstand eine äußerst harmonische Verbindung von jugendlicher
Schönheit und männlicher Kraft, ein Ideal des Dichters der „Iphigenie" und
des „Tasso", des gedankenvollen Naturforschers, auf dessen hoher, von keiner Falte
gefurchten Stirn noch der verklärende Glorienschein ruht, der von dem be¬
geisterten und begeisternden Sänger der herrlichsten Liebeslieder des deutschen
Volkes ausgeht. Und diese dreifache Ausstattung des großen Genius findet
auch in den Gruppen des Fußgestells ihren körperlichen Ausdruck. Goethe tritt
uns hier etwa im Alter von 45 Jahren entgegen.
Auch des Mantels konnte Schayer nicht entrathen, um der Figur einen
wirksamen Hintergrund, eine hebende Folie zu verleihen. Aber dieses sonst so
mißliche, viel bespöttelte Kleidungsstück ist dem Künstler keineswegs unbequem
geworden. Er benutzt es nicht, um die altfränkische Tracht zu verdecken, sondern
gewinnt ihm selbständige malerische Reize ab, welche dem Gescnnmteffekt zu Gute
kommen. Mit der rechte« Hand, die überdies eine Rolle hält, hebt er den auf
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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/382>, abgerufen am 25.01.2025.
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