Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.Dies wird man festhalten müssen, um manches Werk von Rauch und seinen Die unmittelbare poetische Empfindung, welche dem Altmeister Rauch abging, Dies wird man festhalten müssen, um manches Werk von Rauch und seinen Die unmittelbare poetische Empfindung, welche dem Altmeister Rauch abging, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146883"/> <p xml:id="ID_1103" prev="#ID_1102"> Dies wird man festhalten müssen, um manches Werk von Rauch und seinen<lb/> Schülern, welches durch Pedanterie und Trockenheit dem universelleren modernen<lb/> Geschmack mißfällt, nach Gebühr zu würdigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1104" next="#ID_1105"> Die unmittelbare poetische Empfindung, welche dem Altmeister Rauch abging,<lb/> besaßen manche seiner Schüler in hohem Grade. In erster Linie Friedrich Drake,<lb/> der namentlich in seinem schönen Relief am Denkmal Friedrich Wilhelms III.<lb/> im Berliner Thiergarten Tiefe des Gemüths und ein stark entwickeltes Gefühl<lb/> für seelenvolle Schönheit bekundet hat. Es ist gerade diese Fähigkeit, das Antlitz<lb/> zum Spiegel auch der feinsten und intimsten Regungen der Seele zu machen,<lb/> welche Rauch entweder nicht besaß oder über seinen anderen Zielen auszubilden<lb/> versäumte. Selbst wo es galt, dramatisch erregte Stimmungen plastisch zu ge¬<lb/> stalten, kam er nicht über den äußerlichsten, rein formalen Ausdruck, über das<lb/> Pathetische Hinalls. Hier war also ein weites Feld übrig, welches seine Schüler<lb/> cultiviren konnten. Noch mit größerem Erfolge als Drake war Rietschel nach<lb/> dieser Richtung hin thätig. Seine poetische Phantasie entkleidete die Rauchsche<lb/> Formensprache ihrer Herbheit und Strenge, ohne die monumentale Würde da¬<lb/> durch zu verletzen. Wenn man nach historischen Formeln sucht, um das Wesen<lb/> seiner Kunst zu charakterisiren, kann man sagen, daß er die melodische Weichheit,<lb/> die idyllische Anmuth des Thorvaldsenschen Stils mit der klaren und bestimmten<lb/> Energie der Rauchschen Portraitplastik zu einer höheren Einheit verschmolzen<lb/> hat. Ganz allgemein gesprochen: er hat das spezifisch Charakteristische durch<lb/> das absolut Schöne temperirt. Ihm ging dann auch die geheimnißvolle Schön¬<lb/> heit des Linienspiels im Gruppenumriß zu vollem Verständniß auf. Rauch und<lb/> die meisten seiner Schüler hielten streng auf den rein statuarischen Umriß der<lb/> Silhouette; jedes auch noch so bescheiden auftretende, malerische Element hielten<lb/> sie mit den Grundgesetzen der Plastik unvereinbar. Was aber dieses malerische<lb/> Spiel von einmüthig geschwungenen Linien, die bald in parallelen Curven neben<lb/> einander herlaufen, bald sich in spitzen Winkeln durchkreuzen, immer aber der<lb/> ästhetisch schönsten Linie, der Ellipse oder dem Oval zustreben, was dieses<lb/> wechselvolle Spiel für die Bildnerei bedeutet, zeigt keine Schöpfung der modernen<lb/> Plastik so deutlich, wie die vier herrlichen Gruppen von Johannes Schilling am<lb/> Aufgang der Brühlschen Terasse zu Dresden. Auf ihren formalen Werth be¬<lb/> trachtet, sind diese Gruppen im Rhythmus der Linien, im harmonischen Aufbau<lb/> und in der engen Wechselbeziehung der Figuren von höchster Vollkommenheit.<lb/> Nur soviel malerische Elemente sind eingeführt als sich mit der statuarischen<lb/> Geschlossenheit des Gruppenumrisses vertragen. Und welch' ein Reichthum<lb/> eelischen Lebens in den Köpfen, denen die symbolische Bedeutung ihrer Träger<lb/> als der vier Tageszeiten die Pflicht auferlegt, Stimmungen und Empfindungen<lb/> der mannigfaltigsten Art wiederzuspiegeln! Es ist gewiß kein zufälliges Zu-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0378]
Dies wird man festhalten müssen, um manches Werk von Rauch und seinen
Schülern, welches durch Pedanterie und Trockenheit dem universelleren modernen
Geschmack mißfällt, nach Gebühr zu würdigen.
Die unmittelbare poetische Empfindung, welche dem Altmeister Rauch abging,
besaßen manche seiner Schüler in hohem Grade. In erster Linie Friedrich Drake,
der namentlich in seinem schönen Relief am Denkmal Friedrich Wilhelms III.
im Berliner Thiergarten Tiefe des Gemüths und ein stark entwickeltes Gefühl
für seelenvolle Schönheit bekundet hat. Es ist gerade diese Fähigkeit, das Antlitz
zum Spiegel auch der feinsten und intimsten Regungen der Seele zu machen,
welche Rauch entweder nicht besaß oder über seinen anderen Zielen auszubilden
versäumte. Selbst wo es galt, dramatisch erregte Stimmungen plastisch zu ge¬
stalten, kam er nicht über den äußerlichsten, rein formalen Ausdruck, über das
Pathetische Hinalls. Hier war also ein weites Feld übrig, welches seine Schüler
cultiviren konnten. Noch mit größerem Erfolge als Drake war Rietschel nach
dieser Richtung hin thätig. Seine poetische Phantasie entkleidete die Rauchsche
Formensprache ihrer Herbheit und Strenge, ohne die monumentale Würde da¬
durch zu verletzen. Wenn man nach historischen Formeln sucht, um das Wesen
seiner Kunst zu charakterisiren, kann man sagen, daß er die melodische Weichheit,
die idyllische Anmuth des Thorvaldsenschen Stils mit der klaren und bestimmten
Energie der Rauchschen Portraitplastik zu einer höheren Einheit verschmolzen
hat. Ganz allgemein gesprochen: er hat das spezifisch Charakteristische durch
das absolut Schöne temperirt. Ihm ging dann auch die geheimnißvolle Schön¬
heit des Linienspiels im Gruppenumriß zu vollem Verständniß auf. Rauch und
die meisten seiner Schüler hielten streng auf den rein statuarischen Umriß der
Silhouette; jedes auch noch so bescheiden auftretende, malerische Element hielten
sie mit den Grundgesetzen der Plastik unvereinbar. Was aber dieses malerische
Spiel von einmüthig geschwungenen Linien, die bald in parallelen Curven neben
einander herlaufen, bald sich in spitzen Winkeln durchkreuzen, immer aber der
ästhetisch schönsten Linie, der Ellipse oder dem Oval zustreben, was dieses
wechselvolle Spiel für die Bildnerei bedeutet, zeigt keine Schöpfung der modernen
Plastik so deutlich, wie die vier herrlichen Gruppen von Johannes Schilling am
Aufgang der Brühlschen Terasse zu Dresden. Auf ihren formalen Werth be¬
trachtet, sind diese Gruppen im Rhythmus der Linien, im harmonischen Aufbau
und in der engen Wechselbeziehung der Figuren von höchster Vollkommenheit.
Nur soviel malerische Elemente sind eingeführt als sich mit der statuarischen
Geschlossenheit des Gruppenumrisses vertragen. Und welch' ein Reichthum
eelischen Lebens in den Köpfen, denen die symbolische Bedeutung ihrer Träger
als der vier Tageszeiten die Pflicht auferlegt, Stimmungen und Empfindungen
der mannigfaltigsten Art wiederzuspiegeln! Es ist gewiß kein zufälliges Zu-
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