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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Nachbarschaft. Zweifelten sie auch etwas an den alten Tugenden des deutschen
Volkes, so bemühten sie sich doch, die Producte der überreichen und oft etwas
confusen deutschen Gelehrsamkeit geklärt den Franzosen zu überliefern. Seit
die Deutschen aber über den Rhein gekommen sind, wie man ein Land von
Wilden betritt, mit der Prätension, es in ihre Cultur einzuweihen, empfinden
die tief verletzten Elsässer von Tage zu Tage lebhafter, was sie Frankreich
verdanken.

Was setzt man an die Stelle der Institutionen, die Elsaß französisch ge¬
macht haben, und die man ihm gewaltsam entreißt? Deutschland denkt über¬
haupt nicht an die Bedingungen der modernen Gesellschaft, sondern nur an die
des modernen Staates. Hegels Theorie, daß der Staat der Zweck der Gesell¬
schaft sei, paßt Preußen vortrefflich; denn Preußen ist weniger eine Nation als
ein System, das die Staatsraison zur Grundlage, die Kaserne, die Schule und
die Beamten, welche in der Vorstellung erzogen werden, daß die Menschheit
erst beim Baron anfange, zu Mitteln hat. Auch das gefällt den Elsässern nicht.
Laute Klagen sind zwar nicht ihre Sache; aber sie bringen, indem sie an ihren
Sympathien festhalten, die deutschen Beamten zur Verzweiflung. Diese com-
mandiren, wie man ein Regiment commandirt; c-'ost oorrsot, irmls roxus, ruäs
et oassant; oslg, maiuzuö as Knau, as klare, as Löäuotion, se Ah Aräcs.

Natürlich haben sie deshalb auch vor Allem die Frauen nicht gewinnen
können, die sich in allen ihren Empfindungen tief verletzt fühlen. Giebt es doch
fast nichts mehr, was das Dasein erheitert; überall Ueberdruß an der Gegen¬
wart, Furcht vor dem Morgen und die durch die unerbittlichen Maßregeln
gegen die Optanten und die Ueberstürzung, mit welcher das deutsche Militär¬
gesetz wenige Monate nach dem Frieden in Wirksamkeit gesetzt wurde, in das
Familienleben gebrachte Angst und Verwirrung. Deshalb, weil die erste That
des sentimentalen Deutschlands, welches in heuchlerischer Weise Anspruch auf
das Monopol der häuslichen Tugenden und des Familiencultus erhob, darin
bestand, die Familien von einander zu reißen, Unruhe und Elend in die Häu¬
ser zu bringen, sind die Frauen in der That ein ernstes Hinderniß für den
Erfolg seiner Politik in Elsaß-Lothringen geworden. Sie vor Allem treiben
die Ihren ins Exil, um nur nicht zugeben zu müssen, daß sie die preußische
Uniform anziehen. Noch immer stellt sich nur ein kleiner Theil der Militär-
Pflichtigen, etwa 10 Procent, freiwillig, während 1879 der Aufenthalt von mehr
als 10000 jungen Leuten aus der Classe vou 1859 unbekannt war. Viele
junge Männer werfen sich auf das Studium der Blasinstrumente, nur um als
Trompeter bei den Uhlanen der verhaßten preußischen Pickelhaube zu entgehen.

Der autonomistischen Partei hat es von vornherein an wahrem Patriotis¬
mus gefehlt, sonst hätte sie kein Programm aufstellen können, das, um verwirk-


Grenzboten II. 1380. 47

Nachbarschaft. Zweifelten sie auch etwas an den alten Tugenden des deutschen
Volkes, so bemühten sie sich doch, die Producte der überreichen und oft etwas
confusen deutschen Gelehrsamkeit geklärt den Franzosen zu überliefern. Seit
die Deutschen aber über den Rhein gekommen sind, wie man ein Land von
Wilden betritt, mit der Prätension, es in ihre Cultur einzuweihen, empfinden
die tief verletzten Elsässer von Tage zu Tage lebhafter, was sie Frankreich
verdanken.

Was setzt man an die Stelle der Institutionen, die Elsaß französisch ge¬
macht haben, und die man ihm gewaltsam entreißt? Deutschland denkt über¬
haupt nicht an die Bedingungen der modernen Gesellschaft, sondern nur an die
des modernen Staates. Hegels Theorie, daß der Staat der Zweck der Gesell¬
schaft sei, paßt Preußen vortrefflich; denn Preußen ist weniger eine Nation als
ein System, das die Staatsraison zur Grundlage, die Kaserne, die Schule und
die Beamten, welche in der Vorstellung erzogen werden, daß die Menschheit
erst beim Baron anfange, zu Mitteln hat. Auch das gefällt den Elsässern nicht.
Laute Klagen sind zwar nicht ihre Sache; aber sie bringen, indem sie an ihren
Sympathien festhalten, die deutschen Beamten zur Verzweiflung. Diese com-
mandiren, wie man ein Regiment commandirt; c-'ost oorrsot, irmls roxus, ruäs
et oassant; oslg, maiuzuö as Knau, as klare, as Löäuotion, se Ah Aräcs.

Natürlich haben sie deshalb auch vor Allem die Frauen nicht gewinnen
können, die sich in allen ihren Empfindungen tief verletzt fühlen. Giebt es doch
fast nichts mehr, was das Dasein erheitert; überall Ueberdruß an der Gegen¬
wart, Furcht vor dem Morgen und die durch die unerbittlichen Maßregeln
gegen die Optanten und die Ueberstürzung, mit welcher das deutsche Militär¬
gesetz wenige Monate nach dem Frieden in Wirksamkeit gesetzt wurde, in das
Familienleben gebrachte Angst und Verwirrung. Deshalb, weil die erste That
des sentimentalen Deutschlands, welches in heuchlerischer Weise Anspruch auf
das Monopol der häuslichen Tugenden und des Familiencultus erhob, darin
bestand, die Familien von einander zu reißen, Unruhe und Elend in die Häu¬
ser zu bringen, sind die Frauen in der That ein ernstes Hinderniß für den
Erfolg seiner Politik in Elsaß-Lothringen geworden. Sie vor Allem treiben
die Ihren ins Exil, um nur nicht zugeben zu müssen, daß sie die preußische
Uniform anziehen. Noch immer stellt sich nur ein kleiner Theil der Militär-
Pflichtigen, etwa 10 Procent, freiwillig, während 1879 der Aufenthalt von mehr
als 10000 jungen Leuten aus der Classe vou 1859 unbekannt war. Viele
junge Männer werfen sich auf das Studium der Blasinstrumente, nur um als
Trompeter bei den Uhlanen der verhaßten preußischen Pickelhaube zu entgehen.

Der autonomistischen Partei hat es von vornherein an wahrem Patriotis¬
mus gefehlt, sonst hätte sie kein Programm aufstellen können, das, um verwirk-


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[0373] Nachbarschaft. Zweifelten sie auch etwas an den alten Tugenden des deutschen Volkes, so bemühten sie sich doch, die Producte der überreichen und oft etwas confusen deutschen Gelehrsamkeit geklärt den Franzosen zu überliefern. Seit die Deutschen aber über den Rhein gekommen sind, wie man ein Land von Wilden betritt, mit der Prätension, es in ihre Cultur einzuweihen, empfinden die tief verletzten Elsässer von Tage zu Tage lebhafter, was sie Frankreich verdanken. Was setzt man an die Stelle der Institutionen, die Elsaß französisch ge¬ macht haben, und die man ihm gewaltsam entreißt? Deutschland denkt über¬ haupt nicht an die Bedingungen der modernen Gesellschaft, sondern nur an die des modernen Staates. Hegels Theorie, daß der Staat der Zweck der Gesell¬ schaft sei, paßt Preußen vortrefflich; denn Preußen ist weniger eine Nation als ein System, das die Staatsraison zur Grundlage, die Kaserne, die Schule und die Beamten, welche in der Vorstellung erzogen werden, daß die Menschheit erst beim Baron anfange, zu Mitteln hat. Auch das gefällt den Elsässern nicht. Laute Klagen sind zwar nicht ihre Sache; aber sie bringen, indem sie an ihren Sympathien festhalten, die deutschen Beamten zur Verzweiflung. Diese com- mandiren, wie man ein Regiment commandirt; c-'ost oorrsot, irmls roxus, ruäs et oassant; oslg, maiuzuö as Knau, as klare, as Löäuotion, se Ah Aräcs. Natürlich haben sie deshalb auch vor Allem die Frauen nicht gewinnen können, die sich in allen ihren Empfindungen tief verletzt fühlen. Giebt es doch fast nichts mehr, was das Dasein erheitert; überall Ueberdruß an der Gegen¬ wart, Furcht vor dem Morgen und die durch die unerbittlichen Maßregeln gegen die Optanten und die Ueberstürzung, mit welcher das deutsche Militär¬ gesetz wenige Monate nach dem Frieden in Wirksamkeit gesetzt wurde, in das Familienleben gebrachte Angst und Verwirrung. Deshalb, weil die erste That des sentimentalen Deutschlands, welches in heuchlerischer Weise Anspruch auf das Monopol der häuslichen Tugenden und des Familiencultus erhob, darin bestand, die Familien von einander zu reißen, Unruhe und Elend in die Häu¬ ser zu bringen, sind die Frauen in der That ein ernstes Hinderniß für den Erfolg seiner Politik in Elsaß-Lothringen geworden. Sie vor Allem treiben die Ihren ins Exil, um nur nicht zugeben zu müssen, daß sie die preußische Uniform anziehen. Noch immer stellt sich nur ein kleiner Theil der Militär- Pflichtigen, etwa 10 Procent, freiwillig, während 1879 der Aufenthalt von mehr als 10000 jungen Leuten aus der Classe vou 1859 unbekannt war. Viele junge Männer werfen sich auf das Studium der Blasinstrumente, nur um als Trompeter bei den Uhlanen der verhaßten preußischen Pickelhaube zu entgehen. Der autonomistischen Partei hat es von vornherein an wahrem Patriotis¬ mus gefehlt, sonst hätte sie kein Programm aufstellen können, das, um verwirk- Grenzboten II. 1380. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/373>, abgerufen am 22.07.2024.