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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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wendet in seinen Finanzen noch alle die alten fiscalischen Härten (riZusurs)
an, die in Frankreich schon unter Colbert verurtheilt worden sind. Die ver¬
schiedenen directen Steuern gemahnen an den Tribut, den Zehnten, die Kopf¬
steuer in. Sie machen den Staat gleichgiltig gegen den Wohlstand des Landes.
"Wenn derartige Finanzmaßregeln in der Gestalt von Matricularumlagen oder
analogen Schuldtiteln, welche der preußische Fiscus in Elsaß-Lothringen einge¬
führt hat, überall in Gebrauch kommen, verdorrt die Productionskraft des
Landes, ehe sie Früchte gezeitigt hat. Diese durch ihren Boden so reiche, durch
die Arbeit, Sparsamkeit und Einsicht ihrer Bewohner so gesegnete Provinz ist
in weniger als zehn Jahren in ein Gebiet umgewandelt worden, wo die indi¬
viduelle Expansionskraft überall auf entmuthigeude Hemmnisse stößt, die bald
durch die Staatsraison, bald durch deu Fiscus geschaffen werden.... Uebrigens
ist das so ziemlich die Geschichte des ganzen Reiches. Durch seinen Cultus sür
den Militarismus hat Deutschland, statt seine günstige Lage zu benutzen, um
durch Canalbauten, ein vernünftiges Zollsystem, eine dem Aufschwunge des soli¬
de" Credits förderliche Gesetzgebung die andere" Nationen zu überflügeln, sich
selbst zu Grunde gerichtet. cM vivre xar 1a Mes, s'su va, xar es tainvour."

Eisenbahnen freilich hat man genug gebaut: einen Meter xro Kopf in
Elsaß-Lothringen, mehr als in England und Belgien; aber sie dienen nur zu
Militärzwecken und sind im Uebrigen gänzlich steril. Die kleinen Bahnen,
welche angeblich das Interesse des Landbaues fordern sollen, sind in der That
nur strategische Linien, die dem Landesbudget aufgehalst werden. Eigentlich sind
es nur maskirte Wälle, die Bahnhöfe Forts und Schanzen. "Der Cultus des
Gemüses und der Blumen (um die Wärterhäuschen und Stationsgebäude her)
wiegt den Reisenden anfangs in süße Träume über die deutschen Sitten ein;
aber wenn die Gemüse- und Blumengärten immer ganz ähnlich wiederkehren,
ahnt er, daß dieser Lattich, diese Capuziuerkresse administrative Pflanzen sind,
bestimmt, wahre Wasserplätze zu verbergen."

4. Deutschland hat Elsaß-Lothringen schuldenfrei überkommen, nöthigt es
aber fortwährend, neue Schulden zu machen, um feine Ausgaben zu decken.
Die Schuldenfreiheit hätte die Steuern im Durchschnitt um 10--15 Franken
xrv Kopf verringern müssen; jetzt hat es durchschnittlich 49 Franken xro Kops
aufzubringen, ungerechnet die Zuschlagscentimes, welche diese Summe um 30 Proc.
erhöhen, währeud in Frankreich, abgesehen von den Zinsen der Milliardenschnld,
diese Quote 45, in Preußen 47,50 Franken beträgt. Außerdem ist Elsaß-Loth¬
ringen so verarmt und ausgesogen, daß es besser mit ihm stehen würde, wenn
es, bei Frankreich geblieben, seinen Antheil an den 26 Milliarden der Staats¬
schuld mittragen müßte.

Die Elsässer kannten Deutschland vor 1870 recht gut und hielten gute


wendet in seinen Finanzen noch alle die alten fiscalischen Härten (riZusurs)
an, die in Frankreich schon unter Colbert verurtheilt worden sind. Die ver¬
schiedenen directen Steuern gemahnen an den Tribut, den Zehnten, die Kopf¬
steuer in. Sie machen den Staat gleichgiltig gegen den Wohlstand des Landes.
„Wenn derartige Finanzmaßregeln in der Gestalt von Matricularumlagen oder
analogen Schuldtiteln, welche der preußische Fiscus in Elsaß-Lothringen einge¬
führt hat, überall in Gebrauch kommen, verdorrt die Productionskraft des
Landes, ehe sie Früchte gezeitigt hat. Diese durch ihren Boden so reiche, durch
die Arbeit, Sparsamkeit und Einsicht ihrer Bewohner so gesegnete Provinz ist
in weniger als zehn Jahren in ein Gebiet umgewandelt worden, wo die indi¬
viduelle Expansionskraft überall auf entmuthigeude Hemmnisse stößt, die bald
durch die Staatsraison, bald durch deu Fiscus geschaffen werden.... Uebrigens
ist das so ziemlich die Geschichte des ganzen Reiches. Durch seinen Cultus sür
den Militarismus hat Deutschland, statt seine günstige Lage zu benutzen, um
durch Canalbauten, ein vernünftiges Zollsystem, eine dem Aufschwunge des soli¬
de» Credits förderliche Gesetzgebung die andere» Nationen zu überflügeln, sich
selbst zu Grunde gerichtet. cM vivre xar 1a Mes, s'su va, xar es tainvour."

Eisenbahnen freilich hat man genug gebaut: einen Meter xro Kopf in
Elsaß-Lothringen, mehr als in England und Belgien; aber sie dienen nur zu
Militärzwecken und sind im Uebrigen gänzlich steril. Die kleinen Bahnen,
welche angeblich das Interesse des Landbaues fordern sollen, sind in der That
nur strategische Linien, die dem Landesbudget aufgehalst werden. Eigentlich sind
es nur maskirte Wälle, die Bahnhöfe Forts und Schanzen. „Der Cultus des
Gemüses und der Blumen (um die Wärterhäuschen und Stationsgebäude her)
wiegt den Reisenden anfangs in süße Träume über die deutschen Sitten ein;
aber wenn die Gemüse- und Blumengärten immer ganz ähnlich wiederkehren,
ahnt er, daß dieser Lattich, diese Capuziuerkresse administrative Pflanzen sind,
bestimmt, wahre Wasserplätze zu verbergen."

4. Deutschland hat Elsaß-Lothringen schuldenfrei überkommen, nöthigt es
aber fortwährend, neue Schulden zu machen, um feine Ausgaben zu decken.
Die Schuldenfreiheit hätte die Steuern im Durchschnitt um 10—15 Franken
xrv Kopf verringern müssen; jetzt hat es durchschnittlich 49 Franken xro Kops
aufzubringen, ungerechnet die Zuschlagscentimes, welche diese Summe um 30 Proc.
erhöhen, währeud in Frankreich, abgesehen von den Zinsen der Milliardenschnld,
diese Quote 45, in Preußen 47,50 Franken beträgt. Außerdem ist Elsaß-Loth¬
ringen so verarmt und ausgesogen, daß es besser mit ihm stehen würde, wenn
es, bei Frankreich geblieben, seinen Antheil an den 26 Milliarden der Staats¬
schuld mittragen müßte.

Die Elsässer kannten Deutschland vor 1870 recht gut und hielten gute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/372>, abgerufen am 22.07.2024.