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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Reich seine Münzen zu geringhaltig ausgeprägt hatte, hat dasselbe 30--40
Millionen Mark gewonnen; dagegen verliert allein die Baumwollenindustrie des
Oberelsaß dadurch jährlich etwa 8 Millionen Mark. Die Einführung des
Markgeldes hat außerdem den Preis aller Gegenstände, die in kleinem Gelde
bezahlt werden, um 20 Procent erhöht."

Die neue Zollgesetzgebung hat Deutschland aus dein Freihandelssystem, für
das es nicht reif war, plötzlich in ein improvisirtes und übelersonnenes Schutz¬
zollsystem geworfen zu rein fiscalischen Zwecken. Der neue Tarif ist für den
Producenten als wirksamer Schutz nicht genügend, ebenso wenig für den Staat
als Einnahmequelle; er dient nur dazu, den Verdienst der Mittelspersonen zu
erhöhen, den Preis der ersten Lebensbedürfnisse zu steigern, die Verfälschung
der Lebensmittel und den Schleichhandel zu fördern. Die elsässischen Fabri¬
kanten, von Haus aus Freihändler (!), verlangten vergeblich entweder gar keine,
oder hohe Zölle. Jetzt kann die englische Industrie, die einzige, deren Concur-
renz für die elsässische gefährlich ist, mit ihren feinen Geweben Deutschland
überschwemmen. "Der deutsche Markt aber, selbst wenn er ausschließlich den
einheimischen Fabrikanten reservirt wäre, reicht noch auf lange Zeit hinaus nicht
hin, um eine ernste und strebsame Industrie wie die elsässische zu ernähren."
Natürlich, der Deutsche verlangt nur billige Waare, deshalb fabriciren die
Deutschen "billig und schlecht", und das paßt den Elsässern nicht. In Deutsch¬
land liebt man die Surrogate; hier hat man zuerst gedörrte Cichorien als
Kaffee benutzt; hier gestattet der Bundesrath, Rosen- und Kirschenblätter als
Tabak zu verkaufen. Ueberhaupt hält man in Deutschland jede Uebervorthei-
lung, wenn sie nur nicht direct mit dem Strafrichter in Collision bringt, für
erlaubt. "Wie soll sich nun ein loyaler Kaufmann und Fabrikant in solcher
Umgebung (milieu) verhalten? Wenn ihm die Alternative, in Deutschland ent¬
weder der Betrüger oder der Betrogene (krixou on, cwxs) zu sein, widerstrebt,
so muß er im Auslande größere Märkte suchen, wo der Verkehr ehrlicher und
sicherer ist."

Bismarck hält leider nichts von der Nationalökonomie. Das Princip, nach
dem sich der Verkehr der Völker regelt, ist für ihn einfach dasselbe, durch dessen
Anwendung Jacob das Glück seines Stammes gründete, indem er Laban seine
Heerden stahl. Er lebt zu viel unter seinen pommerschen Bauern, zu deren
Vortheil er 1873 in den Freihandel hineinsprang, um ihnen billiges Eisen zu
verschaffen, und jetzt in den Schutzzoll, damit sie ihr Korn theuerer verkaufen
können. Solche Sprünge mag man zwischen Weichsel und Oder vertragen
können; das zarter organisirte Westdeutschland verträgt es schlecht, wenn es be¬
handelt wird wie eine Kinderuhr, deren Zeiger man nach Belieben stellt.

Preußen hat bei 800 Millionen Steuern nur 60 Millionen indirecte und


Reich seine Münzen zu geringhaltig ausgeprägt hatte, hat dasselbe 30—40
Millionen Mark gewonnen; dagegen verliert allein die Baumwollenindustrie des
Oberelsaß dadurch jährlich etwa 8 Millionen Mark. Die Einführung des
Markgeldes hat außerdem den Preis aller Gegenstände, die in kleinem Gelde
bezahlt werden, um 20 Procent erhöht."

Die neue Zollgesetzgebung hat Deutschland aus dein Freihandelssystem, für
das es nicht reif war, plötzlich in ein improvisirtes und übelersonnenes Schutz¬
zollsystem geworfen zu rein fiscalischen Zwecken. Der neue Tarif ist für den
Producenten als wirksamer Schutz nicht genügend, ebenso wenig für den Staat
als Einnahmequelle; er dient nur dazu, den Verdienst der Mittelspersonen zu
erhöhen, den Preis der ersten Lebensbedürfnisse zu steigern, die Verfälschung
der Lebensmittel und den Schleichhandel zu fördern. Die elsässischen Fabri¬
kanten, von Haus aus Freihändler (!), verlangten vergeblich entweder gar keine,
oder hohe Zölle. Jetzt kann die englische Industrie, die einzige, deren Concur-
renz für die elsässische gefährlich ist, mit ihren feinen Geweben Deutschland
überschwemmen. „Der deutsche Markt aber, selbst wenn er ausschließlich den
einheimischen Fabrikanten reservirt wäre, reicht noch auf lange Zeit hinaus nicht
hin, um eine ernste und strebsame Industrie wie die elsässische zu ernähren."
Natürlich, der Deutsche verlangt nur billige Waare, deshalb fabriciren die
Deutschen »billig und schlecht", und das paßt den Elsässern nicht. In Deutsch¬
land liebt man die Surrogate; hier hat man zuerst gedörrte Cichorien als
Kaffee benutzt; hier gestattet der Bundesrath, Rosen- und Kirschenblätter als
Tabak zu verkaufen. Ueberhaupt hält man in Deutschland jede Uebervorthei-
lung, wenn sie nur nicht direct mit dem Strafrichter in Collision bringt, für
erlaubt. „Wie soll sich nun ein loyaler Kaufmann und Fabrikant in solcher
Umgebung (milieu) verhalten? Wenn ihm die Alternative, in Deutschland ent¬
weder der Betrüger oder der Betrogene (krixou on, cwxs) zu sein, widerstrebt,
so muß er im Auslande größere Märkte suchen, wo der Verkehr ehrlicher und
sicherer ist."

Bismarck hält leider nichts von der Nationalökonomie. Das Princip, nach
dem sich der Verkehr der Völker regelt, ist für ihn einfach dasselbe, durch dessen
Anwendung Jacob das Glück seines Stammes gründete, indem er Laban seine
Heerden stahl. Er lebt zu viel unter seinen pommerschen Bauern, zu deren
Vortheil er 1873 in den Freihandel hineinsprang, um ihnen billiges Eisen zu
verschaffen, und jetzt in den Schutzzoll, damit sie ihr Korn theuerer verkaufen
können. Solche Sprünge mag man zwischen Weichsel und Oder vertragen
können; das zarter organisirte Westdeutschland verträgt es schlecht, wenn es be¬
handelt wird wie eine Kinderuhr, deren Zeiger man nach Belieben stellt.

Preußen hat bei 800 Millionen Steuern nur 60 Millionen indirecte und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/371>, abgerufen am 22.07.2024.