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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Lage der Sache die Vorschläge Bertholds von Mainz und Friedrichs von
Sachsen, welche den größeren Fürsten einen legitimen Einfluß auf die Reichs¬
regierung verschaffen und sie so für das Reichsinteresse gewinnen sollten, die
einzigen, die einige Aussicht auf Erfolg eröffneten, wenn Maximilian nicht mit
Hilfe der populären Kräfte, d. h. durch eine gewaltige Revolution die fürstliche
Macht überhaupt in Trümmer schlagen wollte; und wann hätte der Habsburger
das gewollt!

In engem Zusammenhange mit diesem Gedankengange steht Jcmssens Be¬
wunderung für das deutsche und canonische, seine unbedingte Verdammung
des römischen Rechts. Auf jenem beruht vor allem die ständische Entwicklung
der Territorien, dies System "wohlerworbener Rechte", auf diesem der Ausbau
der fürstlichen Macht. Er wird nicht müde zu schildern -- und wer möchte
die Berechtigung hierzu leugnen! -- wie das Eindringen des fremden Rechts
das Rechtsgefühl im Volke geschwächt, seinen Zusammenhang mit dem politi¬
schen Leben unterbrochen, den Untergang der Volksfreiheit vollendet habe; er
führt die Förderung des römischen Rechts lediglich auf die Selbstsucht der
Fürsten und ihrer Beamten zurück. Ohne Zweifel haben diese großen Antheil
daran gehabt; trotzdem ist es ungerecht zu verkennen, daß die Zerfahrenheit des
deutschen Rechts in zahllose Partieularrechte, wie sie sich aus dem ganzen System
desselben, aus der Auffassung des Rechts als eines persönlichen, bez. korpora¬
tiven Besitzes und aus der Verwirrung der politischen Zustände, dem gänzlichen
Mangel einer nationalen Gesetzgebung und Rechtsbildung von selber ergab, dem
streng geschlossenen, einheitlichen römischen Rechte ebensogut vorgearbeitet haben,
wie die Umgestaltung der wirthschaftlichen Verhältnisse ein Recht forderte, das
dem städtischen Gewerbebetriebe und der Capitalwirthschaft besser entsprach als
das deutsch-canonische Recht, das, aus den volkswirtschaftlichen Verhältnissen
des Mittelalters hervorgegangen, jenen modernen Entwicklungen feindselig gegen¬
über stand.

Janssen schwärmt freilich nicht nur für das römisch-deutsche Kaiserthum
in Verbindung mit Rom, er betrachtet auch die Volkswirthschaftslehre der Cano-
nisten und die nach ihr gebildeten wirthschaftlichen Zustünde des Mittelalters
als die classischen Normen, jenseits deren nur Verfall und Verderben liege.
Mit liebevoller Sorgfalt malt er das Arbeitsleben in den Zünften der Hand¬
werker wie in den Höfen des Landvolks, Capitel, die zu den besten des Buches
gehören; den ungeheuren Fortschritt aber, der in der Entwicklung der städtischen
Capitalwirthschaft, also des Credits sich vollzieht, vermag er nicht zu würdigen,
weil sie im Widerspruch mit der canonistischen Wirthschaftslehre, vor allem mit
ihrem Zinsenverbot und der Bevorzugung des Ackerbaus sich ausbildet. Er
sieht wie etwa die Ritter und Bauern des 16. Jahrhunderts nur den Druck,


Grenzboten II, 1880. 43

Lage der Sache die Vorschläge Bertholds von Mainz und Friedrichs von
Sachsen, welche den größeren Fürsten einen legitimen Einfluß auf die Reichs¬
regierung verschaffen und sie so für das Reichsinteresse gewinnen sollten, die
einzigen, die einige Aussicht auf Erfolg eröffneten, wenn Maximilian nicht mit
Hilfe der populären Kräfte, d. h. durch eine gewaltige Revolution die fürstliche
Macht überhaupt in Trümmer schlagen wollte; und wann hätte der Habsburger
das gewollt!

In engem Zusammenhange mit diesem Gedankengange steht Jcmssens Be¬
wunderung für das deutsche und canonische, seine unbedingte Verdammung
des römischen Rechts. Auf jenem beruht vor allem die ständische Entwicklung
der Territorien, dies System „wohlerworbener Rechte", auf diesem der Ausbau
der fürstlichen Macht. Er wird nicht müde zu schildern — und wer möchte
die Berechtigung hierzu leugnen! — wie das Eindringen des fremden Rechts
das Rechtsgefühl im Volke geschwächt, seinen Zusammenhang mit dem politi¬
schen Leben unterbrochen, den Untergang der Volksfreiheit vollendet habe; er
führt die Förderung des römischen Rechts lediglich auf die Selbstsucht der
Fürsten und ihrer Beamten zurück. Ohne Zweifel haben diese großen Antheil
daran gehabt; trotzdem ist es ungerecht zu verkennen, daß die Zerfahrenheit des
deutschen Rechts in zahllose Partieularrechte, wie sie sich aus dem ganzen System
desselben, aus der Auffassung des Rechts als eines persönlichen, bez. korpora¬
tiven Besitzes und aus der Verwirrung der politischen Zustände, dem gänzlichen
Mangel einer nationalen Gesetzgebung und Rechtsbildung von selber ergab, dem
streng geschlossenen, einheitlichen römischen Rechte ebensogut vorgearbeitet haben,
wie die Umgestaltung der wirthschaftlichen Verhältnisse ein Recht forderte, das
dem städtischen Gewerbebetriebe und der Capitalwirthschaft besser entsprach als
das deutsch-canonische Recht, das, aus den volkswirtschaftlichen Verhältnissen
des Mittelalters hervorgegangen, jenen modernen Entwicklungen feindselig gegen¬
über stand.

Janssen schwärmt freilich nicht nur für das römisch-deutsche Kaiserthum
in Verbindung mit Rom, er betrachtet auch die Volkswirthschaftslehre der Cano-
nisten und die nach ihr gebildeten wirthschaftlichen Zustünde des Mittelalters
als die classischen Normen, jenseits deren nur Verfall und Verderben liege.
Mit liebevoller Sorgfalt malt er das Arbeitsleben in den Zünften der Hand¬
werker wie in den Höfen des Landvolks, Capitel, die zu den besten des Buches
gehören; den ungeheuren Fortschritt aber, der in der Entwicklung der städtischen
Capitalwirthschaft, also des Credits sich vollzieht, vermag er nicht zu würdigen,
weil sie im Widerspruch mit der canonistischen Wirthschaftslehre, vor allem mit
ihrem Zinsenverbot und der Bevorzugung des Ackerbaus sich ausbildet. Er
sieht wie etwa die Ritter und Bauern des 16. Jahrhunderts nur den Druck,


Grenzboten II, 1880. 43
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[0341] Lage der Sache die Vorschläge Bertholds von Mainz und Friedrichs von Sachsen, welche den größeren Fürsten einen legitimen Einfluß auf die Reichs¬ regierung verschaffen und sie so für das Reichsinteresse gewinnen sollten, die einzigen, die einige Aussicht auf Erfolg eröffneten, wenn Maximilian nicht mit Hilfe der populären Kräfte, d. h. durch eine gewaltige Revolution die fürstliche Macht überhaupt in Trümmer schlagen wollte; und wann hätte der Habsburger das gewollt! In engem Zusammenhange mit diesem Gedankengange steht Jcmssens Be¬ wunderung für das deutsche und canonische, seine unbedingte Verdammung des römischen Rechts. Auf jenem beruht vor allem die ständische Entwicklung der Territorien, dies System „wohlerworbener Rechte", auf diesem der Ausbau der fürstlichen Macht. Er wird nicht müde zu schildern — und wer möchte die Berechtigung hierzu leugnen! — wie das Eindringen des fremden Rechts das Rechtsgefühl im Volke geschwächt, seinen Zusammenhang mit dem politi¬ schen Leben unterbrochen, den Untergang der Volksfreiheit vollendet habe; er führt die Förderung des römischen Rechts lediglich auf die Selbstsucht der Fürsten und ihrer Beamten zurück. Ohne Zweifel haben diese großen Antheil daran gehabt; trotzdem ist es ungerecht zu verkennen, daß die Zerfahrenheit des deutschen Rechts in zahllose Partieularrechte, wie sie sich aus dem ganzen System desselben, aus der Auffassung des Rechts als eines persönlichen, bez. korpora¬ tiven Besitzes und aus der Verwirrung der politischen Zustände, dem gänzlichen Mangel einer nationalen Gesetzgebung und Rechtsbildung von selber ergab, dem streng geschlossenen, einheitlichen römischen Rechte ebensogut vorgearbeitet haben, wie die Umgestaltung der wirthschaftlichen Verhältnisse ein Recht forderte, das dem städtischen Gewerbebetriebe und der Capitalwirthschaft besser entsprach als das deutsch-canonische Recht, das, aus den volkswirtschaftlichen Verhältnissen des Mittelalters hervorgegangen, jenen modernen Entwicklungen feindselig gegen¬ über stand. Janssen schwärmt freilich nicht nur für das römisch-deutsche Kaiserthum in Verbindung mit Rom, er betrachtet auch die Volkswirthschaftslehre der Cano- nisten und die nach ihr gebildeten wirthschaftlichen Zustünde des Mittelalters als die classischen Normen, jenseits deren nur Verfall und Verderben liege. Mit liebevoller Sorgfalt malt er das Arbeitsleben in den Zünften der Hand¬ werker wie in den Höfen des Landvolks, Capitel, die zu den besten des Buches gehören; den ungeheuren Fortschritt aber, der in der Entwicklung der städtischen Capitalwirthschaft, also des Credits sich vollzieht, vermag er nicht zu würdigen, weil sie im Widerspruch mit der canonistischen Wirthschaftslehre, vor allem mit ihrem Zinsenverbot und der Bevorzugung des Ackerbaus sich ausbildet. Er sieht wie etwa die Ritter und Bauern des 16. Jahrhunderts nur den Druck, Grenzboten II, 1880. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/341>, abgerufen am 22.07.2024.