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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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ist also die conciliare Bewegung eine Zeit des Verfalls; das Heil kommt von
der Herrschaft Roms; von der Herstellung derselben datirt die Wiedergeburt
des deutschen Lebens; diese erfreuliche Entwicklung wird dann unterbrochen
durch die "Kirchentrennung" und die mit ihr verbundene sociale, kirchliche, poli¬
tische Revolution. Wir fragen erstaunt: Wie kommt es, daß von Nicolaus
Cusanus Niemand etwas weiß, während Luthers Name in Aller Munde ist?
Ein solches Vergessen ist bei Männern zweiten und dritten Ranges oder etwa
bei Entdeckern einer einzelnen Wahrheit wohl denkbar, niemals aber bei Per¬
sönlichkeiten von "welthistorischer" Bedeutung.

Wenn nun aber 1450 die Wiedergeburt Deutschlands anhebt, so muß
natürlich die Zeit von da an bis zum Auftreten Luthers in den glänzendsten
Farben gemalt werden, damit von diesem hellen Hintergrunde die dunkle Ge¬
stalt des Wittenbergers sich um so eindrucksvoller absehe. Dies geschieht denn
auch consequent. Das römisch - deutsche Kaiserthum, d. h. dasjenige, welches sich
Rom gehorsam fügte und die deutsche Kirche seiner Ausbeutung preisgab, wird
gefeiert als die große Friedensmacht in der Mitte Europas, deren Existenz jeden
europäischen Krieg verhütete und die niemals selber erobernd und unterdrückend
nach außen übergriff, dies Kaiserthum, welches zu schwach war, auch nur im
eigenen Hause eine erträgliche Ordnung zu behaupten und dessen umfassende
und doch nirgends mehr nachdrücklich vertretene Ansprüche allerorten zu Verlust
und Schande führten. Daher nun auch die heftige Abneigung gegen die Ent¬
wicklung des deutschen Fürstenthums im Allgemeinen, in der Janssen nichts als
rohen Egoismus und vaterlandslose Gesinnung erblickt. Wir sind die letzten,
welche sich in dieser Entwicklung freuen, aber es ist ungerecht, die Nothwendig¬
keit derselben zu verkennen, nachdem das Kaiserthum der Habsburger sich als
schlechterdings unfähig erwiesen hatte und selber an alles andere eher dachte,
als an nationale Interessen. Und ein höchst wunderlicher Widerspruch ist es
dann doch, daß Janssen zwar die fürstliche Machtentwicklung dem Kaiserthume
gegenüber verdammt, dagegen die Ausbildung der ständischen Rechte oder besser
der ständischen Anarchie dem Fürstenthume gegenüber bewundert und doch
wiederum die wüste Fehdewirthschaft des Reichs- und Landadels im bittersten
Tone schildert. Allerdings giebt das Gelegenheit, Sickingen, den Parteigänger
Luthers, zu brandmarken. Und doch ist die ständische Anarchie in den einzelnen
Territorien das genaue Analogon der fürstlichen Anarchie im Reiche; wer jene
bewundert, darf diese nicht verurtheilen und darf sich über das Fehdewesen nicht
beklagen. Von diesem Standpunkte aus erklärt sich's freilich, wenn Janssen
auch zu keiner objectiven Beurtheilung der Reichsreformversuche unter Maxi¬
milian I. zu gelangen vermag. Auf des Kaisers Seite, den er höchlich be¬
wundert, sieht er nur Recht, bei den Fürsten nur Unrecht, und doch waren nach


ist also die conciliare Bewegung eine Zeit des Verfalls; das Heil kommt von
der Herrschaft Roms; von der Herstellung derselben datirt die Wiedergeburt
des deutschen Lebens; diese erfreuliche Entwicklung wird dann unterbrochen
durch die „Kirchentrennung" und die mit ihr verbundene sociale, kirchliche, poli¬
tische Revolution. Wir fragen erstaunt: Wie kommt es, daß von Nicolaus
Cusanus Niemand etwas weiß, während Luthers Name in Aller Munde ist?
Ein solches Vergessen ist bei Männern zweiten und dritten Ranges oder etwa
bei Entdeckern einer einzelnen Wahrheit wohl denkbar, niemals aber bei Per¬
sönlichkeiten von „welthistorischer" Bedeutung.

Wenn nun aber 1450 die Wiedergeburt Deutschlands anhebt, so muß
natürlich die Zeit von da an bis zum Auftreten Luthers in den glänzendsten
Farben gemalt werden, damit von diesem hellen Hintergrunde die dunkle Ge¬
stalt des Wittenbergers sich um so eindrucksvoller absehe. Dies geschieht denn
auch consequent. Das römisch - deutsche Kaiserthum, d. h. dasjenige, welches sich
Rom gehorsam fügte und die deutsche Kirche seiner Ausbeutung preisgab, wird
gefeiert als die große Friedensmacht in der Mitte Europas, deren Existenz jeden
europäischen Krieg verhütete und die niemals selber erobernd und unterdrückend
nach außen übergriff, dies Kaiserthum, welches zu schwach war, auch nur im
eigenen Hause eine erträgliche Ordnung zu behaupten und dessen umfassende
und doch nirgends mehr nachdrücklich vertretene Ansprüche allerorten zu Verlust
und Schande führten. Daher nun auch die heftige Abneigung gegen die Ent¬
wicklung des deutschen Fürstenthums im Allgemeinen, in der Janssen nichts als
rohen Egoismus und vaterlandslose Gesinnung erblickt. Wir sind die letzten,
welche sich in dieser Entwicklung freuen, aber es ist ungerecht, die Nothwendig¬
keit derselben zu verkennen, nachdem das Kaiserthum der Habsburger sich als
schlechterdings unfähig erwiesen hatte und selber an alles andere eher dachte,
als an nationale Interessen. Und ein höchst wunderlicher Widerspruch ist es
dann doch, daß Janssen zwar die fürstliche Machtentwicklung dem Kaiserthume
gegenüber verdammt, dagegen die Ausbildung der ständischen Rechte oder besser
der ständischen Anarchie dem Fürstenthume gegenüber bewundert und doch
wiederum die wüste Fehdewirthschaft des Reichs- und Landadels im bittersten
Tone schildert. Allerdings giebt das Gelegenheit, Sickingen, den Parteigänger
Luthers, zu brandmarken. Und doch ist die ständische Anarchie in den einzelnen
Territorien das genaue Analogon der fürstlichen Anarchie im Reiche; wer jene
bewundert, darf diese nicht verurtheilen und darf sich über das Fehdewesen nicht
beklagen. Von diesem Standpunkte aus erklärt sich's freilich, wenn Janssen
auch zu keiner objectiven Beurtheilung der Reichsreformversuche unter Maxi¬
milian I. zu gelangen vermag. Auf des Kaisers Seite, den er höchlich be¬
wundert, sieht er nur Recht, bei den Fürsten nur Unrecht, und doch waren nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/340>, abgerufen am 22.07.2024.