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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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bindung gestanden, seiner amtlichen Stellung nach Lehrer der Geschichte für die
Schüler katholischer Confession am städtischen Gymnasium zu Frankfurt, das
sich der merkwürdigen Specialität eines confessionellen historischen Unterrichts
erfreut. Soviel wir wissen, hat ihn dann sein kirchlicher Eifer im Jahre 1870
zum Eintritt in den priesterlichen Stand geführt, und er gilt in Frankfurt als
ein eifriger und glücklicher Arbeiter für die Ausbreitung seiner Kirche. Daß ein
solcher Mann unbefangen, objectiv an die Geschichte einer Zeit wie die der
Reformation herantreten sollte, ist nicht zu erwarten, ja kaum zu fordern. Eher
wäre zu fordern gewesen, daß er gar nicht an sie herantrete.

Die Anlage seines Werkes läßt sich nicht anders denn als allumfassend,
die bisherige Ausführung nur im Ganzen als sehr eingehend bezeichnen. Sein
Thema ist die Geschichte des deutschen Volkes vom Ausgange des Mittelalters
bis zum Jahre 1806, mit ganz überwiegender Berücksichtigung des cultur¬
historischen Elements; doch reichen die bis jetzt vorliegenden zwei Bände erst
bis 1525, und es läßt sich demnach billig bezweifeln, ob Janssen das selbstge¬
steckte Ziel in den projectirten sechs Bänden erreichen wird. Der erste Band
schildert "die allgemeinen Zustände des deutschen Volkes beim Ausgange des
Mittelalters", der zweite die Zeit "seit dem Beginn der politisch-kirchlichen
Revolution bis zum Ausgange der socialen Revolution von 1525". In seinen
vier Abtheilungen bringt der erste Band zur Darstellung: Volksunterricht und
Wissenschaft, Kunst und Volksleben, Volkswirthschaft, das Reich und seine Stel¬
lung nach außen; der zweite behandelt in drei Theilen: Die Revolutionspartei
und ihre Erfolge bis zum Wormser Reichstage von 1521, den Reichstag zu
Worms und die Fortschritte der politisch-kirchlichen Revolution bis zum Aus¬
bruche der socialen Revolution, endlich die sociale Revolution. Schon die Wahl
dieser Ueberschriften ist zum Theil sehr bezeichnend für den Standpunkt des
^erfassers. Es kommt uns aber hier nicht sowohl darauf an, in eine Discus-
sion der Einzelheiten einzutreten -- was ein ganzes Buch erfordern würde --
als vielmehr nachzuweisen, wie der Standpunkt Janssens seine Auffassung und
Darstellung beeinflußt hat.

Gleich der gewählte Ausgangspunkt des Buches ist bezeichnend. Der Ver-
asser beginnt mit der Mitte des 15. Jahrhunderts, der Zeit also, in welcher
was dem völligen Scheitern der conciliaren Reformversuche in Constanz und
Basel die päpstliche Macht vollständiger als jemals Deutschland bemusterte, und
stellt an die Spitze der damals "nach mehr als fünfzigjähriger Zersetzung der
religiös-sittlichen und staatlichen Zustünde und nach langer öder Unthätigkeit
auf dem Gebiete des Unterrichts und der Wissenschaft" beginnenden "neuen ge¬
sunden Entwicklung" den Cardinal Nicolaus von Cues (Cuscmus), der "im
Auftrage des Papstes" seine "welthistorische Wirksamkeit" entfaltete. Für Janssen


bindung gestanden, seiner amtlichen Stellung nach Lehrer der Geschichte für die
Schüler katholischer Confession am städtischen Gymnasium zu Frankfurt, das
sich der merkwürdigen Specialität eines confessionellen historischen Unterrichts
erfreut. Soviel wir wissen, hat ihn dann sein kirchlicher Eifer im Jahre 1870
zum Eintritt in den priesterlichen Stand geführt, und er gilt in Frankfurt als
ein eifriger und glücklicher Arbeiter für die Ausbreitung seiner Kirche. Daß ein
solcher Mann unbefangen, objectiv an die Geschichte einer Zeit wie die der
Reformation herantreten sollte, ist nicht zu erwarten, ja kaum zu fordern. Eher
wäre zu fordern gewesen, daß er gar nicht an sie herantrete.

Die Anlage seines Werkes läßt sich nicht anders denn als allumfassend,
die bisherige Ausführung nur im Ganzen als sehr eingehend bezeichnen. Sein
Thema ist die Geschichte des deutschen Volkes vom Ausgange des Mittelalters
bis zum Jahre 1806, mit ganz überwiegender Berücksichtigung des cultur¬
historischen Elements; doch reichen die bis jetzt vorliegenden zwei Bände erst
bis 1525, und es läßt sich demnach billig bezweifeln, ob Janssen das selbstge¬
steckte Ziel in den projectirten sechs Bänden erreichen wird. Der erste Band
schildert „die allgemeinen Zustände des deutschen Volkes beim Ausgange des
Mittelalters", der zweite die Zeit „seit dem Beginn der politisch-kirchlichen
Revolution bis zum Ausgange der socialen Revolution von 1525". In seinen
vier Abtheilungen bringt der erste Band zur Darstellung: Volksunterricht und
Wissenschaft, Kunst und Volksleben, Volkswirthschaft, das Reich und seine Stel¬
lung nach außen; der zweite behandelt in drei Theilen: Die Revolutionspartei
und ihre Erfolge bis zum Wormser Reichstage von 1521, den Reichstag zu
Worms und die Fortschritte der politisch-kirchlichen Revolution bis zum Aus¬
bruche der socialen Revolution, endlich die sociale Revolution. Schon die Wahl
dieser Ueberschriften ist zum Theil sehr bezeichnend für den Standpunkt des
^erfassers. Es kommt uns aber hier nicht sowohl darauf an, in eine Discus-
sion der Einzelheiten einzutreten — was ein ganzes Buch erfordern würde —
als vielmehr nachzuweisen, wie der Standpunkt Janssens seine Auffassung und
Darstellung beeinflußt hat.

Gleich der gewählte Ausgangspunkt des Buches ist bezeichnend. Der Ver-
asser beginnt mit der Mitte des 15. Jahrhunderts, der Zeit also, in welcher
was dem völligen Scheitern der conciliaren Reformversuche in Constanz und
Basel die päpstliche Macht vollständiger als jemals Deutschland bemusterte, und
stellt an die Spitze der damals „nach mehr als fünfzigjähriger Zersetzung der
religiös-sittlichen und staatlichen Zustünde und nach langer öder Unthätigkeit
auf dem Gebiete des Unterrichts und der Wissenschaft" beginnenden „neuen ge¬
sunden Entwicklung" den Cardinal Nicolaus von Cues (Cuscmus), der „im
Auftrage des Papstes" seine „welthistorische Wirksamkeit" entfaltete. Für Janssen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/339>, abgerufen am 22.07.2024.