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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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beschreibuug Masaccios (in Dohme's "Kunst und Künstler" s1875^ die Ansicht
Crowes und Cavalcaselles mit Entschiedenheit vertheidigt.

Gerade weil ich damals gezwungen war, Stellung in dieser Streitfrage
zu nehmen, und gerade weil ein so feinsinniger Kunsthistoriker wie M. Thausing
der entgegengesetzten Ansicht inzwischen wieder zu solchem Ansehen verholfen hat,
daß auch mein unvergeßlicher Freund Alfred Woltmann in feiner "Geschichte
der Malerei", deren Fortsetzung mir obliegt, alle Ausführungen des Wiener
Kunstgelehrten acceptirt hat, erwuchs mir die unabweisbare Verpflichtung, noch
einmal auf die Frage zurückzukommen. Ich wollte das jedoch nicht eher thun,
als bis ich alle drei in Frage kommenden Freskenchclen im Originale wieder¬
gesehen hatte. Die Gelegenheit dazu habe ich auf meiner letzten großen Reise
natürlich mit Eifer ergriffen. Ich bin von neuem wiederholt in der Kirche
San Elemente in Rom, wiederholt in der Brancacci-Capelle in Florenz gewesen,
und ich habe auch den Wandbildern in Castiglione d'Olona einen Tag gewidmet.
Das Resultat dieser Autopsie war, daß ich in meiner Ueberzeugung, Crowe und
Cavcilcaselle haben richtig geurtheilt, bestärkt worden bin. Ich bin es mir und
meinen Meinungsgenossen schuldig, kurz auszuführen, weshalb mich die Gründe
der Gegner unserer Ansicht nicht überzeugt haben.

Zuvor uur noch die Bemerkung, daß ich durchaus die Verehrung dieser
Gegner für Vasari theile und, wie sie, der Ansicht bin, daß wir von seinen
Angaben ohne besondere Gründe nicht abweichen dürfen, daß es also auch hier
darauf ankommt, die Ueberlieferungen des Vasari mit dem Maßstabe eiuer
möglichst objectiven Stilkritik zu messen. Im Uebrigen werde ich, meinen an
Ort und Stelle gemachten Notizen folgend, zunächst über jede einzelne der frag¬
lichen Gemäldegruppen einige zur Sache gehörende Bemerkungen machen, ohne
jedoch auf Details einzugehen, die hier nicht am Platze wären, dann aber eine
kurze zusammenfassende Betrachtung daran anschließen.

Was zunächst die Gemälde in Castiglione d'Olona betrifft, so muß
ich noch einmal mit Nachdruck daran erinnern, daß nur die ihrem Stile (nicht
der Durchführung innerhalb ihres Stiles) nach unreifsten Werke von Castiglione,
daß nur jene Deckengemälde des Chors der Kirche als Werke des Masolino
von Florenz inschriftlich beglaubigt find. Sie allein kommen daher für die
Streitfrage in Betracht. Ob die Wandgemälde des Chors und vor allen Dingen
die von 1435 datirten Wandgemälde des Baptisteriums, welche allerdings einen
fortgeschritteneren Stil (nicht aber eine bessere Durchführung innerhalb ihres
Stiles) zeigen, spätere Werke des Masoliuo, wie jetzt in der Regel allzueilig
ohne Weiteres angenommen wird, oder eines oder mehrerer seiner Schüler sind,
was unter allen Umständen zugegeben werden muß, ist für die ganze Streit¬
frage von keiner entscheidenden Bedeutung. Sicher ist nur, daß die etwa ein


beschreibuug Masaccios (in Dohme's „Kunst und Künstler" s1875^ die Ansicht
Crowes und Cavalcaselles mit Entschiedenheit vertheidigt.

Gerade weil ich damals gezwungen war, Stellung in dieser Streitfrage
zu nehmen, und gerade weil ein so feinsinniger Kunsthistoriker wie M. Thausing
der entgegengesetzten Ansicht inzwischen wieder zu solchem Ansehen verholfen hat,
daß auch mein unvergeßlicher Freund Alfred Woltmann in feiner „Geschichte
der Malerei", deren Fortsetzung mir obliegt, alle Ausführungen des Wiener
Kunstgelehrten acceptirt hat, erwuchs mir die unabweisbare Verpflichtung, noch
einmal auf die Frage zurückzukommen. Ich wollte das jedoch nicht eher thun,
als bis ich alle drei in Frage kommenden Freskenchclen im Originale wieder¬
gesehen hatte. Die Gelegenheit dazu habe ich auf meiner letzten großen Reise
natürlich mit Eifer ergriffen. Ich bin von neuem wiederholt in der Kirche
San Elemente in Rom, wiederholt in der Brancacci-Capelle in Florenz gewesen,
und ich habe auch den Wandbildern in Castiglione d'Olona einen Tag gewidmet.
Das Resultat dieser Autopsie war, daß ich in meiner Ueberzeugung, Crowe und
Cavcilcaselle haben richtig geurtheilt, bestärkt worden bin. Ich bin es mir und
meinen Meinungsgenossen schuldig, kurz auszuführen, weshalb mich die Gründe
der Gegner unserer Ansicht nicht überzeugt haben.

Zuvor uur noch die Bemerkung, daß ich durchaus die Verehrung dieser
Gegner für Vasari theile und, wie sie, der Ansicht bin, daß wir von seinen
Angaben ohne besondere Gründe nicht abweichen dürfen, daß es also auch hier
darauf ankommt, die Ueberlieferungen des Vasari mit dem Maßstabe eiuer
möglichst objectiven Stilkritik zu messen. Im Uebrigen werde ich, meinen an
Ort und Stelle gemachten Notizen folgend, zunächst über jede einzelne der frag¬
lichen Gemäldegruppen einige zur Sache gehörende Bemerkungen machen, ohne
jedoch auf Details einzugehen, die hier nicht am Platze wären, dann aber eine
kurze zusammenfassende Betrachtung daran anschließen.

Was zunächst die Gemälde in Castiglione d'Olona betrifft, so muß
ich noch einmal mit Nachdruck daran erinnern, daß nur die ihrem Stile (nicht
der Durchführung innerhalb ihres Stiles) nach unreifsten Werke von Castiglione,
daß nur jene Deckengemälde des Chors der Kirche als Werke des Masolino
von Florenz inschriftlich beglaubigt find. Sie allein kommen daher für die
Streitfrage in Betracht. Ob die Wandgemälde des Chors und vor allen Dingen
die von 1435 datirten Wandgemälde des Baptisteriums, welche allerdings einen
fortgeschritteneren Stil (nicht aber eine bessere Durchführung innerhalb ihres
Stiles) zeigen, spätere Werke des Masoliuo, wie jetzt in der Regel allzueilig
ohne Weiteres angenommen wird, oder eines oder mehrerer seiner Schüler sind,
was unter allen Umständen zugegeben werden muß, ist für die ganze Streit¬
frage von keiner entscheidenden Bedeutung. Sicher ist nur, daß die etwa ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/331>, abgerufen am 22.07.2024.