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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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d'Olona, dem nördlich von Mailand, in der Nähe von Varese, anmuthig in
einem grünen Thale am Fuße der Alpen gelegenen Oertchen; sodann die Wand¬
gemälde in einer Capelle der alten Kirche S. Elemente in Rom; endlich die
Fresken der berühmten Capelle Braneacci in der Carmeliterkirche (Sa. Maria
del Carmine) zu Florenz.

Jene Deckengemälde zu Castiglione, welche Scenen aus dem Leben der Jung¬
frau Maria darstellen, sind erst seit einem Decennium in die Kunstgeschichte
eingetreten; die alten Künstlerbiographen, wie Vasari, kennen und nennen sie
nicht. Sie sind aber von entscheidender Wichtigkeit für die Masaccio-Masolino-
Frage geworden, weil sie die einzigen Werke der beiden Künstler sind, welche
durch eine Schrift (U^SOllXVS DA ?I.0IiMII^ als Schöpfungen
eines von ihnen beglaubigt sind.

Die Wandgemälde der Basilica San Elemente in Rom aber werden von
Vasari dem Masaccio zugeschrieben. Vasari sagt in der Biographie dieses
Künstlers: "In Rom gelangte er zu großem Ruhme und malte in Fresco
für den Cardinal von S. Elemente, in einer Capelle der Kirche San Elemente,
die Passion Christi; dabei die Schacher am Kreuz und Begebenheiten aus dem
Leben der heiligen Märtyrerin Katharina." Diese zwar restaurirten, aber in Bezug
auf die Composition und die Linienführung wohl erhaltenen Gemälde sind
neuerdings von einigen Forschern (v. Reumont, Lübke, Thausing, Woltmann)
trotz des klaren Zeugnisses des Altmeisters der Kunstgeschichte dem Masaccio
abgesprochen und seinem Lehrer Masolino zugeschrieben worden.

An den Gemälden der Brancacci-Capelle zu Florenz, welche einen Cyclus
von Darstellungen aus dem Leben des Petrus enthalten, sind dagegen nach
Vasari's und Anderer Zeugniß, welches in dieser Allgemeinheit von keinem be¬
zweifelt wird, drei Künstler theils nach-, theils nebeneinander thätig gewesen:
Masvlino, Masaccio und Filippino Lippi. Welches dieser Bilder von dem
zuletzt genannten jüngsten der drei Meister herrühre, ist kaum bestritten und
berührt jedenfalls die Frage nach der Abgrenzung des Antheils der beiden
anderen Künstler nicht. In Bezug auf diesen Antheil sagt der älteste italienische
Zeuge (Albertini) aus, Masolino habe die eine, Masaccio die andere Hälfte
gemalt. Vasari präcisirt dies etwas, indem er, im Leben Masolinos, diesem
die folgenden Bilder mit folgenden Worten zuschreibt: "Die vier Evangelisten
in der Wölbung nämlich, ein Bild, wie Christus den Petrus und Andreas von
den Fischernetzen abruft; wie jener Jünger weint, daß er Jesum verläugnet hat;
wie er predigt, die Völker zu bekehren; wie die Apostel Schiffbruch leiden; wie
der heil. Petrus seine Magd Petronilla von der Krankheit befreit, und endlich
noch in demselben Bilde, wie er mit dem heil. Johannes nach dem Tempel
geht, vor dessen Pforte ein Armer sitzt, der sie um Gaben anspricht, und den


d'Olona, dem nördlich von Mailand, in der Nähe von Varese, anmuthig in
einem grünen Thale am Fuße der Alpen gelegenen Oertchen; sodann die Wand¬
gemälde in einer Capelle der alten Kirche S. Elemente in Rom; endlich die
Fresken der berühmten Capelle Braneacci in der Carmeliterkirche (Sa. Maria
del Carmine) zu Florenz.

Jene Deckengemälde zu Castiglione, welche Scenen aus dem Leben der Jung¬
frau Maria darstellen, sind erst seit einem Decennium in die Kunstgeschichte
eingetreten; die alten Künstlerbiographen, wie Vasari, kennen und nennen sie
nicht. Sie sind aber von entscheidender Wichtigkeit für die Masaccio-Masolino-
Frage geworden, weil sie die einzigen Werke der beiden Künstler sind, welche
durch eine Schrift (U^SOllXVS DA ?I.0IiMII^ als Schöpfungen
eines von ihnen beglaubigt sind.

Die Wandgemälde der Basilica San Elemente in Rom aber werden von
Vasari dem Masaccio zugeschrieben. Vasari sagt in der Biographie dieses
Künstlers: „In Rom gelangte er zu großem Ruhme und malte in Fresco
für den Cardinal von S. Elemente, in einer Capelle der Kirche San Elemente,
die Passion Christi; dabei die Schacher am Kreuz und Begebenheiten aus dem
Leben der heiligen Märtyrerin Katharina." Diese zwar restaurirten, aber in Bezug
auf die Composition und die Linienführung wohl erhaltenen Gemälde sind
neuerdings von einigen Forschern (v. Reumont, Lübke, Thausing, Woltmann)
trotz des klaren Zeugnisses des Altmeisters der Kunstgeschichte dem Masaccio
abgesprochen und seinem Lehrer Masolino zugeschrieben worden.

An den Gemälden der Brancacci-Capelle zu Florenz, welche einen Cyclus
von Darstellungen aus dem Leben des Petrus enthalten, sind dagegen nach
Vasari's und Anderer Zeugniß, welches in dieser Allgemeinheit von keinem be¬
zweifelt wird, drei Künstler theils nach-, theils nebeneinander thätig gewesen:
Masvlino, Masaccio und Filippino Lippi. Welches dieser Bilder von dem
zuletzt genannten jüngsten der drei Meister herrühre, ist kaum bestritten und
berührt jedenfalls die Frage nach der Abgrenzung des Antheils der beiden
anderen Künstler nicht. In Bezug auf diesen Antheil sagt der älteste italienische
Zeuge (Albertini) aus, Masolino habe die eine, Masaccio die andere Hälfte
gemalt. Vasari präcisirt dies etwas, indem er, im Leben Masolinos, diesem
die folgenden Bilder mit folgenden Worten zuschreibt: „Die vier Evangelisten
in der Wölbung nämlich, ein Bild, wie Christus den Petrus und Andreas von
den Fischernetzen abruft; wie jener Jünger weint, daß er Jesum verläugnet hat;
wie er predigt, die Völker zu bekehren; wie die Apostel Schiffbruch leiden; wie
der heil. Petrus seine Magd Petronilla von der Krankheit befreit, und endlich
noch in demselben Bilde, wie er mit dem heil. Johannes nach dem Tempel
geht, vor dessen Pforte ein Armer sitzt, der sie um Gaben anspricht, und den


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[0329] d'Olona, dem nördlich von Mailand, in der Nähe von Varese, anmuthig in einem grünen Thale am Fuße der Alpen gelegenen Oertchen; sodann die Wand¬ gemälde in einer Capelle der alten Kirche S. Elemente in Rom; endlich die Fresken der berühmten Capelle Braneacci in der Carmeliterkirche (Sa. Maria del Carmine) zu Florenz. Jene Deckengemälde zu Castiglione, welche Scenen aus dem Leben der Jung¬ frau Maria darstellen, sind erst seit einem Decennium in die Kunstgeschichte eingetreten; die alten Künstlerbiographen, wie Vasari, kennen und nennen sie nicht. Sie sind aber von entscheidender Wichtigkeit für die Masaccio-Masolino- Frage geworden, weil sie die einzigen Werke der beiden Künstler sind, welche durch eine Schrift (U^SOllXVS DA ?I.0IiMII^ als Schöpfungen eines von ihnen beglaubigt sind. Die Wandgemälde der Basilica San Elemente in Rom aber werden von Vasari dem Masaccio zugeschrieben. Vasari sagt in der Biographie dieses Künstlers: „In Rom gelangte er zu großem Ruhme und malte in Fresco für den Cardinal von S. Elemente, in einer Capelle der Kirche San Elemente, die Passion Christi; dabei die Schacher am Kreuz und Begebenheiten aus dem Leben der heiligen Märtyrerin Katharina." Diese zwar restaurirten, aber in Bezug auf die Composition und die Linienführung wohl erhaltenen Gemälde sind neuerdings von einigen Forschern (v. Reumont, Lübke, Thausing, Woltmann) trotz des klaren Zeugnisses des Altmeisters der Kunstgeschichte dem Masaccio abgesprochen und seinem Lehrer Masolino zugeschrieben worden. An den Gemälden der Brancacci-Capelle zu Florenz, welche einen Cyclus von Darstellungen aus dem Leben des Petrus enthalten, sind dagegen nach Vasari's und Anderer Zeugniß, welches in dieser Allgemeinheit von keinem be¬ zweifelt wird, drei Künstler theils nach-, theils nebeneinander thätig gewesen: Masvlino, Masaccio und Filippino Lippi. Welches dieser Bilder von dem zuletzt genannten jüngsten der drei Meister herrühre, ist kaum bestritten und berührt jedenfalls die Frage nach der Abgrenzung des Antheils der beiden anderen Künstler nicht. In Bezug auf diesen Antheil sagt der älteste italienische Zeuge (Albertini) aus, Masolino habe die eine, Masaccio die andere Hälfte gemalt. Vasari präcisirt dies etwas, indem er, im Leben Masolinos, diesem die folgenden Bilder mit folgenden Worten zuschreibt: „Die vier Evangelisten in der Wölbung nämlich, ein Bild, wie Christus den Petrus und Andreas von den Fischernetzen abruft; wie jener Jünger weint, daß er Jesum verläugnet hat; wie er predigt, die Völker zu bekehren; wie die Apostel Schiffbruch leiden; wie der heil. Petrus seine Magd Petronilla von der Krankheit befreit, und endlich noch in demselben Bilde, wie er mit dem heil. Johannes nach dem Tempel geht, vor dessen Pforte ein Armer sitzt, der sie um Gaben anspricht, und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/329>, abgerufen am 22.07.2024.