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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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gut mit einander. Aber nachdem die Kirche oder vielmehr das Papstthum gegen
die Neuerungen Lamennais' reagirt, wurde die belgische Geistlichkeit unter dem
Einflüsse Roms allmählich ultramontan, und der Krieg zwischen der klerikalen
und der liberalen Partei entbrannte. Dieser Krieg dauert noch heute fort, und
es ist kein Ende desselben abzusehen. Die Bischöfe haben ein halbes Dutzend
bedeutender Blätter gegründet, und jeder von ihnen besitzt sein Organ, in welchem
er die nationalen Einrichtungen mit einer Energie bekämpft, die bisweilen an
Aufruhr grenzt. Dieselbe Veränderung hat sich an der katholischen Universität
zu Löwen vollzogen. Ehemals hatte sie gemäßigte Professoren, welche die Ver¬
fassung mit Wohlwollen commentirten. Seitdem sind sie genöthigt worden,
Buße zu thun und ihre Schriften zu desavouiren. Der Unterricht ist in Belgien
frei; wer eine Schule gründen will, kann es thun, ohne erst Erlaubniß dazu
nachzusuchen. Die Geistlichkeit hat sich diese Freiheit zu Nutze gemacht und das
Land mit Colleges und Elementarschulen bedeckt. Aber auch der Staat hat
beträchtliche Summen für die Vermehrung der Schulen ausgegeben, und es
besteht auf dem Gebiete des Unterrichtswesens ein solcher Wettstreit zwischen
ihm und der Kirche, daß die Bischöfe, um die Reformen der Regierung unwirk¬
sam zu machen, sich des Mittels der Excommunicationen bedienen, die sie gegen
die vom Staate angestellten Lehrer und selbst gegen die Eltern schleudern, welche
ihre Kinder in weltliche Schulen schicken.

Diese Lage gab Anlaß zu einem Meinungsaustausche zwischen der Brüsseler
Regierung und dem Vatican. Frere-Orban, der Chef des Cabinets, faßte im
Einvernehmen mit seinen Freunden den Entschluß, jeden diplomatischen Verkehr
mit der römischen Curie abzubrechen. Der beim Vatican beglaubigte belgische
Gesandte bekam Urlaub, und das Gerücht verbreitete sich, daß er auf seinen
Posten nicht zurückkehren, fondern daß die Gesandtschaft aufgehoben werden würde.
Pius IX. würde sich vermuthlich hieraus nicht viel gemacht haben, aber Leo XIII.,
der ein maßvoller Charakter zu sein scheint, ließ sogleich in Brüssel Schritte
thun, durch welche der Versuch gemacht wurde, die dortige Regierung von ihrem
Plane abzubringen. Man antwortete Seiner Heiligkeit, daß die Lage, welche
die Curie und die Geistlichkeit der belgischen Regierung geschaffen, letztere in
die Nothwendigkeit versetzt habe, diese Demonstration zu machen, welche den
Charakter einer nationalen Defensivmaßregel annehmen müßte.

Da geschah es, daß der Papst, um sich den belgischen Minister zu erhalten,
die von der belgischen Geistlichkeit auf die Verfassung unternommenen Angriffe
mißbilligte und die Feindseligkeit der Bischöfe gegen das nationale Jubiläum
tadelte, welches in diesen Tagen gefeiert werden soll. Zu gleicher Zeit gab er
zu verstehen, daß er den Eifer der Bischöfe in dem Streite über den Unterricht


gut mit einander. Aber nachdem die Kirche oder vielmehr das Papstthum gegen
die Neuerungen Lamennais' reagirt, wurde die belgische Geistlichkeit unter dem
Einflüsse Roms allmählich ultramontan, und der Krieg zwischen der klerikalen
und der liberalen Partei entbrannte. Dieser Krieg dauert noch heute fort, und
es ist kein Ende desselben abzusehen. Die Bischöfe haben ein halbes Dutzend
bedeutender Blätter gegründet, und jeder von ihnen besitzt sein Organ, in welchem
er die nationalen Einrichtungen mit einer Energie bekämpft, die bisweilen an
Aufruhr grenzt. Dieselbe Veränderung hat sich an der katholischen Universität
zu Löwen vollzogen. Ehemals hatte sie gemäßigte Professoren, welche die Ver¬
fassung mit Wohlwollen commentirten. Seitdem sind sie genöthigt worden,
Buße zu thun und ihre Schriften zu desavouiren. Der Unterricht ist in Belgien
frei; wer eine Schule gründen will, kann es thun, ohne erst Erlaubniß dazu
nachzusuchen. Die Geistlichkeit hat sich diese Freiheit zu Nutze gemacht und das
Land mit Colleges und Elementarschulen bedeckt. Aber auch der Staat hat
beträchtliche Summen für die Vermehrung der Schulen ausgegeben, und es
besteht auf dem Gebiete des Unterrichtswesens ein solcher Wettstreit zwischen
ihm und der Kirche, daß die Bischöfe, um die Reformen der Regierung unwirk¬
sam zu machen, sich des Mittels der Excommunicationen bedienen, die sie gegen
die vom Staate angestellten Lehrer und selbst gegen die Eltern schleudern, welche
ihre Kinder in weltliche Schulen schicken.

Diese Lage gab Anlaß zu einem Meinungsaustausche zwischen der Brüsseler
Regierung und dem Vatican. Frere-Orban, der Chef des Cabinets, faßte im
Einvernehmen mit seinen Freunden den Entschluß, jeden diplomatischen Verkehr
mit der römischen Curie abzubrechen. Der beim Vatican beglaubigte belgische
Gesandte bekam Urlaub, und das Gerücht verbreitete sich, daß er auf seinen
Posten nicht zurückkehren, fondern daß die Gesandtschaft aufgehoben werden würde.
Pius IX. würde sich vermuthlich hieraus nicht viel gemacht haben, aber Leo XIII.,
der ein maßvoller Charakter zu sein scheint, ließ sogleich in Brüssel Schritte
thun, durch welche der Versuch gemacht wurde, die dortige Regierung von ihrem
Plane abzubringen. Man antwortete Seiner Heiligkeit, daß die Lage, welche
die Curie und die Geistlichkeit der belgischen Regierung geschaffen, letztere in
die Nothwendigkeit versetzt habe, diese Demonstration zu machen, welche den
Charakter einer nationalen Defensivmaßregel annehmen müßte.

Da geschah es, daß der Papst, um sich den belgischen Minister zu erhalten,
die von der belgischen Geistlichkeit auf die Verfassung unternommenen Angriffe
mißbilligte und die Feindseligkeit der Bischöfe gegen das nationale Jubiläum
tadelte, welches in diesen Tagen gefeiert werden soll. Zu gleicher Zeit gab er
zu verstehen, daß er den Eifer der Bischöfe in dem Streite über den Unterricht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/316>, abgerufen am 22.07.2024.