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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Prediger Andreas Osiander, welcher unter dem Drucke des Augsburger Interims
seinen bisherigen Wirkungskreis verlassen und bei Albrecht von Preußen Auf¬
nahme und Anstellung als Professor in Königsberg gefunden hatte, behauptete,
daß die Rechtfertigung des Menschen nicht bloß darin bestehe, daß uns Gott
um des Verdienstes des historischen Christus willen für gerecht ansehe und
erkläre, sondern daß wir durch die Einwohnung Christi im gläubige" Gemüthe
thatsächlich gerecht werden, daß also die (religiöse) Versöhnung und die (sitt¬
liche) Wiedergeburt ein und dasselbe sei. Funck, der auf Osianders Seite trat,
drückt den Gedanken einmal so aus: "Daß wir nicht allein von außen mit
der Gerechtigkeit und Herrlichkeit Christi, des Sohnes Gottes, gezieret werden,
als wie man einen Rock umgibt und anzeucht, sondern daß wir auch inwendig
in unserm Herzen, Seele und Geist mit solcher Herrlichkeit geschmücket und durch
dieselbe gereiniget werden, daß Gott auch in uns wie in seinem heiligen Tempel
wohnen will," und mit Recht wirft er den Gegnern vor, "daß sie Gerechtigkeit
verstanden haben nach dem Brauch der Juristen". Ueber jenen Gegensatz zwi¬
schen einer mehr juristischen und einer mehr mystischen Auffassung der Recht¬
fertigung, mit dem manche andere Streitpunkte zusammenhingen, erhob sich (um
1550) ein heftiger Kampf. Derselbe weist alle häßlichen Züge derartiger dog¬
matischer Zänkereien auf und gemahnt an Herders Wort: "Lehrmeinungen
trennen und erbittern, Religion vereint" ebenso wie an dasjenige Schleier¬
machers: "Die Anhänger des todten Buchstabens, den die Religion auswirft,
haben die Welt mit Geschrei und Getümmel erfüllt; die wahren Beschauer des
Ewigen waren immer ruhige Seelen, entweder allein mit sich und dem Unend¬
lichen, oder wenn sie sich umsahen, Jedem, der das große Wort nur verstand,
seine eigene Art gern vergönnend." Jener Kampf zeigt aber zugleich, daß in
jenen Tagen das dogmatische Interesse in einem Grade verbreitet war, der an
das vierte Jahrhundert, an die Zeit der ersten großen Concilien erinnert, wo
man (nach Gregor von Nyssa) gewärtig sein mußte, auf die Frage nach dem
Brotpreise die Antwort zu erhalten: "Der Vater ist größer als der Sohn, und
der Sohn ist ihm untergeordnet." Hinter einem der Hauptgegner Osianders,
Mörlin, steht mit leidenschaftlicher Parteinahme seine ganze Gemeinde; selbst
Aerzte nehmen Antheil an den Streitigkeiten, und der Burggraf Caspar von
Nostitz giebt seinem Hause die herausfordernde Inschrift:


Gott's wesentliche Gerechtigkeit,
Die ist nicht meine Seligkeit,
Sondern das Leiden Jesu Christ
Mein Trost, Heil und Rechtfertigung ist.

Vergeblich mahnten die Würtenberger Theologen (Brenz u. a.), die schon damals
sich durch milde Besonnenheit auszeichneten, in ihrem Gutachten zur Eintracht,


Prediger Andreas Osiander, welcher unter dem Drucke des Augsburger Interims
seinen bisherigen Wirkungskreis verlassen und bei Albrecht von Preußen Auf¬
nahme und Anstellung als Professor in Königsberg gefunden hatte, behauptete,
daß die Rechtfertigung des Menschen nicht bloß darin bestehe, daß uns Gott
um des Verdienstes des historischen Christus willen für gerecht ansehe und
erkläre, sondern daß wir durch die Einwohnung Christi im gläubige» Gemüthe
thatsächlich gerecht werden, daß also die (religiöse) Versöhnung und die (sitt¬
liche) Wiedergeburt ein und dasselbe sei. Funck, der auf Osianders Seite trat,
drückt den Gedanken einmal so aus: „Daß wir nicht allein von außen mit
der Gerechtigkeit und Herrlichkeit Christi, des Sohnes Gottes, gezieret werden,
als wie man einen Rock umgibt und anzeucht, sondern daß wir auch inwendig
in unserm Herzen, Seele und Geist mit solcher Herrlichkeit geschmücket und durch
dieselbe gereiniget werden, daß Gott auch in uns wie in seinem heiligen Tempel
wohnen will," und mit Recht wirft er den Gegnern vor, „daß sie Gerechtigkeit
verstanden haben nach dem Brauch der Juristen". Ueber jenen Gegensatz zwi¬
schen einer mehr juristischen und einer mehr mystischen Auffassung der Recht¬
fertigung, mit dem manche andere Streitpunkte zusammenhingen, erhob sich (um
1550) ein heftiger Kampf. Derselbe weist alle häßlichen Züge derartiger dog¬
matischer Zänkereien auf und gemahnt an Herders Wort: „Lehrmeinungen
trennen und erbittern, Religion vereint" ebenso wie an dasjenige Schleier¬
machers: „Die Anhänger des todten Buchstabens, den die Religion auswirft,
haben die Welt mit Geschrei und Getümmel erfüllt; die wahren Beschauer des
Ewigen waren immer ruhige Seelen, entweder allein mit sich und dem Unend¬
lichen, oder wenn sie sich umsahen, Jedem, der das große Wort nur verstand,
seine eigene Art gern vergönnend." Jener Kampf zeigt aber zugleich, daß in
jenen Tagen das dogmatische Interesse in einem Grade verbreitet war, der an
das vierte Jahrhundert, an die Zeit der ersten großen Concilien erinnert, wo
man (nach Gregor von Nyssa) gewärtig sein mußte, auf die Frage nach dem
Brotpreise die Antwort zu erhalten: „Der Vater ist größer als der Sohn, und
der Sohn ist ihm untergeordnet." Hinter einem der Hauptgegner Osianders,
Mörlin, steht mit leidenschaftlicher Parteinahme seine ganze Gemeinde; selbst
Aerzte nehmen Antheil an den Streitigkeiten, und der Burggraf Caspar von
Nostitz giebt seinem Hause die herausfordernde Inschrift:


Gott's wesentliche Gerechtigkeit,
Die ist nicht meine Seligkeit,
Sondern das Leiden Jesu Christ
Mein Trost, Heil und Rechtfertigung ist.

Vergeblich mahnten die Würtenberger Theologen (Brenz u. a.), die schon damals
sich durch milde Besonnenheit auszeichneten, in ihrem Gutachten zur Eintracht,


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[0291] Prediger Andreas Osiander, welcher unter dem Drucke des Augsburger Interims seinen bisherigen Wirkungskreis verlassen und bei Albrecht von Preußen Auf¬ nahme und Anstellung als Professor in Königsberg gefunden hatte, behauptete, daß die Rechtfertigung des Menschen nicht bloß darin bestehe, daß uns Gott um des Verdienstes des historischen Christus willen für gerecht ansehe und erkläre, sondern daß wir durch die Einwohnung Christi im gläubige» Gemüthe thatsächlich gerecht werden, daß also die (religiöse) Versöhnung und die (sitt¬ liche) Wiedergeburt ein und dasselbe sei. Funck, der auf Osianders Seite trat, drückt den Gedanken einmal so aus: „Daß wir nicht allein von außen mit der Gerechtigkeit und Herrlichkeit Christi, des Sohnes Gottes, gezieret werden, als wie man einen Rock umgibt und anzeucht, sondern daß wir auch inwendig in unserm Herzen, Seele und Geist mit solcher Herrlichkeit geschmücket und durch dieselbe gereiniget werden, daß Gott auch in uns wie in seinem heiligen Tempel wohnen will," und mit Recht wirft er den Gegnern vor, „daß sie Gerechtigkeit verstanden haben nach dem Brauch der Juristen". Ueber jenen Gegensatz zwi¬ schen einer mehr juristischen und einer mehr mystischen Auffassung der Recht¬ fertigung, mit dem manche andere Streitpunkte zusammenhingen, erhob sich (um 1550) ein heftiger Kampf. Derselbe weist alle häßlichen Züge derartiger dog¬ matischer Zänkereien auf und gemahnt an Herders Wort: „Lehrmeinungen trennen und erbittern, Religion vereint" ebenso wie an dasjenige Schleier¬ machers: „Die Anhänger des todten Buchstabens, den die Religion auswirft, haben die Welt mit Geschrei und Getümmel erfüllt; die wahren Beschauer des Ewigen waren immer ruhige Seelen, entweder allein mit sich und dem Unend¬ lichen, oder wenn sie sich umsahen, Jedem, der das große Wort nur verstand, seine eigene Art gern vergönnend." Jener Kampf zeigt aber zugleich, daß in jenen Tagen das dogmatische Interesse in einem Grade verbreitet war, der an das vierte Jahrhundert, an die Zeit der ersten großen Concilien erinnert, wo man (nach Gregor von Nyssa) gewärtig sein mußte, auf die Frage nach dem Brotpreise die Antwort zu erhalten: „Der Vater ist größer als der Sohn, und der Sohn ist ihm untergeordnet." Hinter einem der Hauptgegner Osianders, Mörlin, steht mit leidenschaftlicher Parteinahme seine ganze Gemeinde; selbst Aerzte nehmen Antheil an den Streitigkeiten, und der Burggraf Caspar von Nostitz giebt seinem Hause die herausfordernde Inschrift: Gott's wesentliche Gerechtigkeit, Die ist nicht meine Seligkeit, Sondern das Leiden Jesu Christ Mein Trost, Heil und Rechtfertigung ist. Vergeblich mahnten die Würtenberger Theologen (Brenz u. a.), die schon damals sich durch milde Besonnenheit auszeichneten, in ihrem Gutachten zur Eintracht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/291>, abgerufen am 03.07.2024.