Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.nach der Meersburg über. Noch einmal 1847 besuchte sie die Heimat. Auf Wir haben Annette von Droste als die Dichterin der Vergänglichkeit des nach der Meersburg über. Noch einmal 1847 besuchte sie die Heimat. Auf Wir haben Annette von Droste als die Dichterin der Vergänglichkeit des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146792"/> <p xml:id="ID_855" prev="#ID_854"> nach der Meersburg über. Noch einmal 1847 besuchte sie die Heimat. Auf<lb/> der Rückreise erkrankte sie schwer in Bonn, doch fand sie am Bodensee wieder<lb/> Kräftigung. Aber im Frühjahr 1848 endete das Leben der Dichterin. Noch<lb/> erlebte sie den Ausbruch der Revolution, vom nahen Baden hörte sie, tief er¬<lb/> schüttert, ihren Sturm. Noch war es ihr vergönnt gewesen, im letzten Winter<lb/> „Das geistige Jahr", ihr religiöses Friedensvermächtniß, das sie, von schwerer<lb/> Krankheit genesen, begonnen hatte, zu vollenden. Dann wurde sie abgerufen,<lb/> der Tod, dem sie seit langen Jahren entgegengesehen hatte, ereilte sie am 24.<lb/> Mai 1848. Ein Herzschlag nahm sie hinweg.</p><lb/> <p xml:id="ID_856" next="#ID_857"> Wir haben Annette von Droste als die Dichterin der Vergänglichkeit des<lb/> irdischen Daseins bezeichnet. Finden sich in ihrem Leben Momente, die es uns<lb/> begreiflich machen, daß diese eigenthümliche Gesammtanschauung der Welt sich<lb/> in ihr bildete? Wir glauben es allerdings. Die Gebrechlichkeit ihres Körpers,<lb/> der Einfluß der Haidelandschaft, die schwache Entwicklung des Naturlebens in<lb/> derselben, die Stille, die sich über sie ausbreitet, die Einsamkeit, in der so häufig<lb/> die Tage der Dichterin verflossen, der schmerzliche Verzicht auf die Lebensge¬<lb/> meinschaft mit dein Manne, dein ihr Herz so warm entgegengeschlagen hatte,<lb/> alles dies in Verbindung mit einer Neigung, sich in das Geheimniß des Welt¬<lb/> räthsels zu vertiefen, mußte in ihr das lebhafteste Bewußtsein der Vergänglich¬<lb/> keit alles Irdischen hervorrufen. Das Gegengewicht fand sie in dem Glauben,<lb/> in ihm siegte sie über das Entsetzen, in das der Gedanke an die Unendlichkeit<lb/> des Vergänglichen sie versenkte. Annette Droste war eine positive Christin. Sie<lb/> war auch eine Katholikin, die Dogma und Cultus ihrer Kirche gläubig umfaßte.<lb/> Doch bedarf es hier einer Restriction. Blicken wir in ihre religiösen Dichtungen,<lb/> so finden sich hier wenige Spuren specifisch katholischen Bewußtseins. Die mitt¬<lb/> lerische Thätigkeit der Kirche hat hier keinen Raum. In ihrem Kampfe suchte<lb/> die Dichterin keine Hilfe bei dem Priesterthum, den Fürbitten und dem Opfer,<lb/> die es darbringt; der einzige Mittler, dessen sie bedarf, ist der Heiland selbst;<lb/> ganz vereinzelt denkt sie der fürbittenden Heiligen. Und so trägt ihre Fröm¬<lb/> migkeit, wenn auch in katholischem Gewände, einen allgemein christlichen Charakter.<lb/> Sie war in erster Linie Christin, in zweiter Katholikin. Dem entspricht es denn<lb/> auch, daß Annette weder an dem Werben um Proselyten noch an den gewor¬<lb/> denen Proselyten Wohlgefallen hatte. Fast möchten wir glauben, daß ihr katho¬<lb/> lisches Bewußtsein vor allem durch die Treue bedingt war, mit der sie das,<lb/> was sie als Erbtheil der Väter überkommen hatte, festhielt und bewahrte. Auch<lb/> für die romantische Weltanschauung, welche die entschiedenen Katholiken ihrer<lb/> Zeit hegten, hatte sie wenig Sympathien. Sie schwärmte keineswegs für die<lb/> Vergangenheit; wo sie des Ritterthums gedenkt, zeichnet sie mehr Schatten als<lb/> Lichtbilder. Realistisch gerichtet, gehörte sie vielmehr der Gegenwart an. Und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
nach der Meersburg über. Noch einmal 1847 besuchte sie die Heimat. Auf
der Rückreise erkrankte sie schwer in Bonn, doch fand sie am Bodensee wieder
Kräftigung. Aber im Frühjahr 1848 endete das Leben der Dichterin. Noch
erlebte sie den Ausbruch der Revolution, vom nahen Baden hörte sie, tief er¬
schüttert, ihren Sturm. Noch war es ihr vergönnt gewesen, im letzten Winter
„Das geistige Jahr", ihr religiöses Friedensvermächtniß, das sie, von schwerer
Krankheit genesen, begonnen hatte, zu vollenden. Dann wurde sie abgerufen,
der Tod, dem sie seit langen Jahren entgegengesehen hatte, ereilte sie am 24.
Mai 1848. Ein Herzschlag nahm sie hinweg.
Wir haben Annette von Droste als die Dichterin der Vergänglichkeit des
irdischen Daseins bezeichnet. Finden sich in ihrem Leben Momente, die es uns
begreiflich machen, daß diese eigenthümliche Gesammtanschauung der Welt sich
in ihr bildete? Wir glauben es allerdings. Die Gebrechlichkeit ihres Körpers,
der Einfluß der Haidelandschaft, die schwache Entwicklung des Naturlebens in
derselben, die Stille, die sich über sie ausbreitet, die Einsamkeit, in der so häufig
die Tage der Dichterin verflossen, der schmerzliche Verzicht auf die Lebensge¬
meinschaft mit dein Manne, dein ihr Herz so warm entgegengeschlagen hatte,
alles dies in Verbindung mit einer Neigung, sich in das Geheimniß des Welt¬
räthsels zu vertiefen, mußte in ihr das lebhafteste Bewußtsein der Vergänglich¬
keit alles Irdischen hervorrufen. Das Gegengewicht fand sie in dem Glauben,
in ihm siegte sie über das Entsetzen, in das der Gedanke an die Unendlichkeit
des Vergänglichen sie versenkte. Annette Droste war eine positive Christin. Sie
war auch eine Katholikin, die Dogma und Cultus ihrer Kirche gläubig umfaßte.
Doch bedarf es hier einer Restriction. Blicken wir in ihre religiösen Dichtungen,
so finden sich hier wenige Spuren specifisch katholischen Bewußtseins. Die mitt¬
lerische Thätigkeit der Kirche hat hier keinen Raum. In ihrem Kampfe suchte
die Dichterin keine Hilfe bei dem Priesterthum, den Fürbitten und dem Opfer,
die es darbringt; der einzige Mittler, dessen sie bedarf, ist der Heiland selbst;
ganz vereinzelt denkt sie der fürbittenden Heiligen. Und so trägt ihre Fröm¬
migkeit, wenn auch in katholischem Gewände, einen allgemein christlichen Charakter.
Sie war in erster Linie Christin, in zweiter Katholikin. Dem entspricht es denn
auch, daß Annette weder an dem Werben um Proselyten noch an den gewor¬
denen Proselyten Wohlgefallen hatte. Fast möchten wir glauben, daß ihr katho¬
lisches Bewußtsein vor allem durch die Treue bedingt war, mit der sie das,
was sie als Erbtheil der Väter überkommen hatte, festhielt und bewahrte. Auch
für die romantische Weltanschauung, welche die entschiedenen Katholiken ihrer
Zeit hegten, hatte sie wenig Sympathien. Sie schwärmte keineswegs für die
Vergangenheit; wo sie des Ritterthums gedenkt, zeichnet sie mehr Schatten als
Lichtbilder. Realistisch gerichtet, gehörte sie vielmehr der Gegenwart an. Und
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