Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.
Die Heimat ist der Dichterin aber nicht bloß ein Stück Erde, es ist ihr zu¬
In objectiverer Gestalt hat sie in dem so tief empfundenen und gewiß eigenes
Die Heimat ist der Dichterin aber nicht bloß ein Stück Erde, es ist ihr zu¬
In objectiverer Gestalt hat sie in dem so tief empfundenen und gewiß eigenes
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146780"/> <quote> <lg xml:id="POEMID_10" type="poem"> <l> Drum, jede Treue sei geehrt,<lb/> Der Eichenkranz von jedem Stamme;<lb/> Heilig die Glut auf jedem Herd,<lb/> Ob hier sie oder drüben flamme;<lb/> Dreimal gesegnet jedes Band,!<lb/> Von der Natur zum Lehn getragen,<lb/> Und einzig nur verflucht die Hand,<lb/> Die nach der Mutter Haupt geschlagen I</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_826" prev="#ID_825" next="#ID_827"> Die Heimat ist der Dichterin aber nicht bloß ein Stück Erde, es ist ihr zu¬<lb/> gleich eine Gestalt menschlichen Lebens; Land und Leute sind ihr darin mit<lb/> inbegriffen, vor allem das Elternhaus und die Verwandtschaft. Und so hat sie<lb/> uns uicht nur mit liebevollem Sinn, voll Pietät das Elternhaus in dem Roman¬<lb/> fragment „Bei uns zu Lande auf dem Lande" gezeichnet, auch manche Gedichte<lb/> sind den innigen Gemüthsbeziehungen entsprungen, durch die sie mit ihren Ver¬<lb/> wandten verknüpft war. Freilich hat sie gerade ihren nächsten Angehörigen nur<lb/> wenige Klänge ertönen lasten, aber aus keinem anderen Grunde als dem,<lb/> welchen sie in dem kleinen Liede an die Mutter, das wohl ein Geschenk beglei¬<lb/> tete, angiebt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_11" type="poem"> <l> So gern hätt' ich ein schönes Lied gemacht<lb/> Von deiner Liebe, deiner treuen Weise,<lb/> Die Gabe, die für andre immer wacht.<lb/> Hätt' ich so gern geweckt zu deinem Preise.<lb/> Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,<lb/> Und wie ich auch die Reime mochte stellen,<lb/> Des Herzens Fluten wallten drüber her,<lb/> Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.<lb/> So nimm die einfach schlichte Gabe hin,<lb/> Von einfach ungeschmückten Wort getragen,<lb/> Und meine ganze Seele nimm darin;<lb/> Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_827" prev="#ID_826" next="#ID_828"> In objectiverer Gestalt hat sie in dem so tief empfundenen und gewiß eigenes<lb/> Erlebniß darstellenden Gedichte „Der Brief aus der Heimat" die Innigkeit ihrer<lb/> Kindesliebe bezeugt. Die Tochter ist in der Ferne und wartet seit Wochen ver¬<lb/> geblich auf Zeilen der theuren Mutterhand. Die bangsten Gedanken steigen in<lb/> der Seele auf, schon sieht der geängstete Geist die Mutter von schwerer Krank¬<lb/> heit ergriffen.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_12" type="poem"> <l> Doch sieh', dort fliegt sie über'n glatten Flur,<lb/> Ihr aufgelöstes Haar umfließt sie rund,<lb/> Und zitternd ruft sie, mit des Weinens Spur:<lb/> „Ein Brief, ein Brief, die Mutter ist gesundI"<lb/> Und ihre Thränen stürzen wie zwei Quellen,<lb/> Die übervoll aus ihren Ufern schwellen;<lb/> Ach, eine Mutter hat man einmal nur!</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0275]
Drum, jede Treue sei geehrt,
Der Eichenkranz von jedem Stamme;
Heilig die Glut auf jedem Herd,
Ob hier sie oder drüben flamme;
Dreimal gesegnet jedes Band,!
Von der Natur zum Lehn getragen,
Und einzig nur verflucht die Hand,
Die nach der Mutter Haupt geschlagen I
Die Heimat ist der Dichterin aber nicht bloß ein Stück Erde, es ist ihr zu¬
gleich eine Gestalt menschlichen Lebens; Land und Leute sind ihr darin mit
inbegriffen, vor allem das Elternhaus und die Verwandtschaft. Und so hat sie
uns uicht nur mit liebevollem Sinn, voll Pietät das Elternhaus in dem Roman¬
fragment „Bei uns zu Lande auf dem Lande" gezeichnet, auch manche Gedichte
sind den innigen Gemüthsbeziehungen entsprungen, durch die sie mit ihren Ver¬
wandten verknüpft war. Freilich hat sie gerade ihren nächsten Angehörigen nur
wenige Klänge ertönen lasten, aber aus keinem anderen Grunde als dem,
welchen sie in dem kleinen Liede an die Mutter, das wohl ein Geschenk beglei¬
tete, angiebt:
So gern hätt' ich ein schönes Lied gemacht
Von deiner Liebe, deiner treuen Weise,
Die Gabe, die für andre immer wacht.
Hätt' ich so gern geweckt zu deinem Preise.
Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten wallten drüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.
So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
Von einfach ungeschmückten Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin;
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.
In objectiverer Gestalt hat sie in dem so tief empfundenen und gewiß eigenes
Erlebniß darstellenden Gedichte „Der Brief aus der Heimat" die Innigkeit ihrer
Kindesliebe bezeugt. Die Tochter ist in der Ferne und wartet seit Wochen ver¬
geblich auf Zeilen der theuren Mutterhand. Die bangsten Gedanken steigen in
der Seele auf, schon sieht der geängstete Geist die Mutter von schwerer Krank¬
heit ergriffen.
Doch sieh', dort fliegt sie über'n glatten Flur,
Ihr aufgelöstes Haar umfließt sie rund,
Und zitternd ruft sie, mit des Weinens Spur:
„Ein Brief, ein Brief, die Mutter ist gesundI"
Und ihre Thränen stürzen wie zwei Quellen,
Die übervoll aus ihren Ufern schwellen;
Ach, eine Mutter hat man einmal nur!
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