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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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sogar Thermenanlagen aufgedeckt worden sind, als auch am Künstlerhause an
der Wien unweit der Schwarzenbergbrücke und am Belvedere. Für jene Lage
spricht namentlich die Nähe des Donaucancils und die Position an der Abzwei¬
gung der Straßen Vindobona - Carnuntum und Vindobona-Scarbantia, ohne
daß jedoch hinlängliche Sicherheit darüber sich gewinnen ließe.

Von dem bürgerlichen Leben der römischen Gemeinde ist wenig genug be¬
kannt. Die Verfassung war dieselbe wie bei allen Municipien. Sehr stark
scheint in der Bevölkerung das militärische Element vertreten gewesen zu sein;
namentlich Veteranen der 10. Legion und Familien activer Soldaten werden
oft genug erwähnt; rein bürgerliche Inschriften sind dagegen nur selten. Wie
zu Carnuntum bestand eine Schmiedeinnung, deren Leiter einmal C. Marcius
Marcianus war, ein Mann aus dem Staude der Decurionen und nach einander
Inhaber aller Gemeindeämter. Daneben ergeben sich wenigstens zwei kaiserliche
Metallwerkstätten, während mehrere private Firmen den Ziegelbedarf für bürger¬
liche Bauten lieferten. Von solchen freilich hat sich, wenigstens was größere
Anlagen betrifft, nichts erhalten außer den Resten bei der Votivkirche und am
Künstlerhause; die zahlreichen Götterculte sind nur durch Widmungsinschriften
bezeugt, darunter zwei für den ägyptischen Serapis, welche T. Flavius Quiri-
nalis Maximus für das Heil des Kaisers Septimius Severus (197- 211) stiftete.

Aeußerlich betrachtet, waren nach allem, was wir wissen, Carnuntum und
Vindobona Orte durchaus römischen Gepräges: römisch die Standlager, römisch
die Stadtverfassung, römisch Kunst und Handwerk, römisch oder römisch-orien¬
talisch anch die Gvtterculte. Kein einziger keltischer Gott fand hier auf seinem
heimischen Boden Verehrung, nur wenige Inschriften weisen einheimische Personen¬
namen auf. Und doch, wer den Leuten, die in den Gassen der Städte sich
tummelten oder die in Helm und Harnisch vor ihren: Feldherrn in Parade
standen, hätte ius Gesicht sehen können, wer ihrer Sprache zu lauschen ver¬
mocht hätte, der würde sehr bald gefunden haben, daß da wenig von italischen
Zügen zu bemerken sei. und daß das Latein einen keineswegs römischen Klang
hatte, wenn es überhaupt noch Latein war, das da ausgesprochen wurde. Denn
von einer systematischen Colonisation dieser Donaulandschaften durch italische
Ansiedler kann nicht im entferntesten die Rede sein; vielmehr bestand die Be¬
völkerung allerorten ganz überwiegend aus einheimischen Elementen, die sich
äußerlich romanisirten; auch die Truppenkörper, selbst die Legionen, recrutirten
sich wesentlich aus den Provinzen, in welchen sie lagen, wie z. B- die zu Lambüsa
garnisonirende loZio III. ^ixusw fast nur aus Afrikanern bestand. Neben
ihnen standen wohl auch germanische Einwanderer, welche innerer Zwist oder
das Machtgebot eines römischen Imperators an das südliche Donauufer ver¬
pflanzte. So lebte in Carnuntum zur Zeit des Septimius Severus der Ger-


sogar Thermenanlagen aufgedeckt worden sind, als auch am Künstlerhause an
der Wien unweit der Schwarzenbergbrücke und am Belvedere. Für jene Lage
spricht namentlich die Nähe des Donaucancils und die Position an der Abzwei¬
gung der Straßen Vindobona - Carnuntum und Vindobona-Scarbantia, ohne
daß jedoch hinlängliche Sicherheit darüber sich gewinnen ließe.

Von dem bürgerlichen Leben der römischen Gemeinde ist wenig genug be¬
kannt. Die Verfassung war dieselbe wie bei allen Municipien. Sehr stark
scheint in der Bevölkerung das militärische Element vertreten gewesen zu sein;
namentlich Veteranen der 10. Legion und Familien activer Soldaten werden
oft genug erwähnt; rein bürgerliche Inschriften sind dagegen nur selten. Wie
zu Carnuntum bestand eine Schmiedeinnung, deren Leiter einmal C. Marcius
Marcianus war, ein Mann aus dem Staude der Decurionen und nach einander
Inhaber aller Gemeindeämter. Daneben ergeben sich wenigstens zwei kaiserliche
Metallwerkstätten, während mehrere private Firmen den Ziegelbedarf für bürger¬
liche Bauten lieferten. Von solchen freilich hat sich, wenigstens was größere
Anlagen betrifft, nichts erhalten außer den Resten bei der Votivkirche und am
Künstlerhause; die zahlreichen Götterculte sind nur durch Widmungsinschriften
bezeugt, darunter zwei für den ägyptischen Serapis, welche T. Flavius Quiri-
nalis Maximus für das Heil des Kaisers Septimius Severus (197- 211) stiftete.

Aeußerlich betrachtet, waren nach allem, was wir wissen, Carnuntum und
Vindobona Orte durchaus römischen Gepräges: römisch die Standlager, römisch
die Stadtverfassung, römisch Kunst und Handwerk, römisch oder römisch-orien¬
talisch anch die Gvtterculte. Kein einziger keltischer Gott fand hier auf seinem
heimischen Boden Verehrung, nur wenige Inschriften weisen einheimische Personen¬
namen auf. Und doch, wer den Leuten, die in den Gassen der Städte sich
tummelten oder die in Helm und Harnisch vor ihren: Feldherrn in Parade
standen, hätte ius Gesicht sehen können, wer ihrer Sprache zu lauschen ver¬
mocht hätte, der würde sehr bald gefunden haben, daß da wenig von italischen
Zügen zu bemerken sei. und daß das Latein einen keineswegs römischen Klang
hatte, wenn es überhaupt noch Latein war, das da ausgesprochen wurde. Denn
von einer systematischen Colonisation dieser Donaulandschaften durch italische
Ansiedler kann nicht im entferntesten die Rede sein; vielmehr bestand die Be¬
völkerung allerorten ganz überwiegend aus einheimischen Elementen, die sich
äußerlich romanisirten; auch die Truppenkörper, selbst die Legionen, recrutirten
sich wesentlich aus den Provinzen, in welchen sie lagen, wie z. B- die zu Lambüsa
garnisonirende loZio III. ^ixusw fast nur aus Afrikanern bestand. Neben
ihnen standen wohl auch germanische Einwanderer, welche innerer Zwist oder
das Machtgebot eines römischen Imperators an das südliche Donauufer ver¬
pflanzte. So lebte in Carnuntum zur Zeit des Septimius Severus der Ger-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/27>, abgerufen am 22.07.2024.