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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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politische Briefe.
^. Der Reichskanzler und Hamburg.

Wieder einmal große Verstimmung bei den Reichsboten, wieder einmal
heftige Klagen eines Theiles der Presse über die unerträgliche innere Lage.

Was ist denn geschehen? Alles und Vieles, sagen die Klagenden. Nehmen
wir also ewige der neuesten Veschwerdepunkte vor.

Die preußische Negierung hat einen Antrag im Bundesrathe gestellt ans
Einbeziehung Altonas mit der Hamburgischen Vorstadt Se. Pauli in die Reichs-
zolllinie. Der Antrag ist materiell mit den Zuständen Altonas begründet, formell
mit dem Rechte des Bundesrathes, den Bezirk festzusetzen, mit welchem die
Hansestädte Bremen und Hamburg nach Artikel 34 der Reichsverfassung außer¬
halb der gemeinschaftlichen Zollgrenze zu bleiben das Recht haben.

Die Klagenden -- nicht etwa bloß die Interessenten in Hamburg, sondern
die Klagenden im Reiche, die über Alles klagen -- finden in dem Antrage eine
unerhörte Vergewaltigung Hamburgs und überdies eine Verletzung der Reichs¬
verfassung. Hamburg, sagen sie, kann ohne Mona und vollends ohne Se. Pauli
nicht Freihafen bleiben, und der preußische Antrag bezweckt die Aenderung eines
Verfassuugsartikels, welcher den Hansestädten ihre Freihafenstellung zusichert;
der Antrag müßte also auf die Vorlage eines Gesetzentwurfs und nicht auf den
Erlaß einer Verwaltungsbestimmung gerichtet sein.

Hiergegen ist zu sagen, daß die Frage, wie viel Gebiet Hamburg zur Auf¬
rechthaltung seiner Freihafenstellung bedarf, zunächst im Bundesrathe zu er¬
örtern ist. Da Z 7 der Reichsverfassung dem Bundesrathe die Aufgabe stellt,
über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwal¬
tungsvorschriften und Einrichtungen zu beschließen, so ist das Recht des Bundes¬
rathes unzweifelhaft, darüber zu entscheiden, welches der dem Zwecke entspre¬
chende Bezirk des umliegenden Gebietes ist, dessen die Hansestädte zu ihrer
Freihafenstelluug bedürfen. Nehmen wir an, eine Hansestadt glaubte sich bei
Festsetzung dieses Gebietes vom Bundesrathe geschädigt, so würde sie sich doch
nicht auf die Verfassung berufen können, denn Artikel 34 sichert den Hanse¬
städten nicht einen bestimmten Bezirk von so und so viel Quadratmeilen, so und
so gelegen, als Freihafengebiet zu, sondern nur einen dem Zwecke der Freihafen¬
stellung überhaupt entsprechenden Bezirk. Welches dieser Bezirk ist, hat nach
Artikel 7 lediglich der Bundesrath zu bestimmen.

Dies also ist die formelle Frage, an der wirklich nichts Unklares ist. Wenn


politische Briefe.
^. Der Reichskanzler und Hamburg.

Wieder einmal große Verstimmung bei den Reichsboten, wieder einmal
heftige Klagen eines Theiles der Presse über die unerträgliche innere Lage.

Was ist denn geschehen? Alles und Vieles, sagen die Klagenden. Nehmen
wir also ewige der neuesten Veschwerdepunkte vor.

Die preußische Negierung hat einen Antrag im Bundesrathe gestellt ans
Einbeziehung Altonas mit der Hamburgischen Vorstadt Se. Pauli in die Reichs-
zolllinie. Der Antrag ist materiell mit den Zuständen Altonas begründet, formell
mit dem Rechte des Bundesrathes, den Bezirk festzusetzen, mit welchem die
Hansestädte Bremen und Hamburg nach Artikel 34 der Reichsverfassung außer¬
halb der gemeinschaftlichen Zollgrenze zu bleiben das Recht haben.

Die Klagenden — nicht etwa bloß die Interessenten in Hamburg, sondern
die Klagenden im Reiche, die über Alles klagen — finden in dem Antrage eine
unerhörte Vergewaltigung Hamburgs und überdies eine Verletzung der Reichs¬
verfassung. Hamburg, sagen sie, kann ohne Mona und vollends ohne Se. Pauli
nicht Freihafen bleiben, und der preußische Antrag bezweckt die Aenderung eines
Verfassuugsartikels, welcher den Hansestädten ihre Freihafenstellung zusichert;
der Antrag müßte also auf die Vorlage eines Gesetzentwurfs und nicht auf den
Erlaß einer Verwaltungsbestimmung gerichtet sein.

Hiergegen ist zu sagen, daß die Frage, wie viel Gebiet Hamburg zur Auf¬
rechthaltung seiner Freihafenstellung bedarf, zunächst im Bundesrathe zu er¬
örtern ist. Da Z 7 der Reichsverfassung dem Bundesrathe die Aufgabe stellt,
über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwal¬
tungsvorschriften und Einrichtungen zu beschließen, so ist das Recht des Bundes¬
rathes unzweifelhaft, darüber zu entscheiden, welches der dem Zwecke entspre¬
chende Bezirk des umliegenden Gebietes ist, dessen die Hansestädte zu ihrer
Freihafenstelluug bedürfen. Nehmen wir an, eine Hansestadt glaubte sich bei
Festsetzung dieses Gebietes vom Bundesrathe geschädigt, so würde sie sich doch
nicht auf die Verfassung berufen können, denn Artikel 34 sichert den Hanse¬
städten nicht einen bestimmten Bezirk von so und so viel Quadratmeilen, so und
so gelegen, als Freihafengebiet zu, sondern nur einen dem Zwecke der Freihafen¬
stellung überhaupt entsprechenden Bezirk. Welches dieser Bezirk ist, hat nach
Artikel 7 lediglich der Bundesrath zu bestimmen.

Dies also ist die formelle Frage, an der wirklich nichts Unklares ist. Wenn


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[0263] politische Briefe. ^. Der Reichskanzler und Hamburg. Wieder einmal große Verstimmung bei den Reichsboten, wieder einmal heftige Klagen eines Theiles der Presse über die unerträgliche innere Lage. Was ist denn geschehen? Alles und Vieles, sagen die Klagenden. Nehmen wir also ewige der neuesten Veschwerdepunkte vor. Die preußische Negierung hat einen Antrag im Bundesrathe gestellt ans Einbeziehung Altonas mit der Hamburgischen Vorstadt Se. Pauli in die Reichs- zolllinie. Der Antrag ist materiell mit den Zuständen Altonas begründet, formell mit dem Rechte des Bundesrathes, den Bezirk festzusetzen, mit welchem die Hansestädte Bremen und Hamburg nach Artikel 34 der Reichsverfassung außer¬ halb der gemeinschaftlichen Zollgrenze zu bleiben das Recht haben. Die Klagenden — nicht etwa bloß die Interessenten in Hamburg, sondern die Klagenden im Reiche, die über Alles klagen — finden in dem Antrage eine unerhörte Vergewaltigung Hamburgs und überdies eine Verletzung der Reichs¬ verfassung. Hamburg, sagen sie, kann ohne Mona und vollends ohne Se. Pauli nicht Freihafen bleiben, und der preußische Antrag bezweckt die Aenderung eines Verfassuugsartikels, welcher den Hansestädten ihre Freihafenstellung zusichert; der Antrag müßte also auf die Vorlage eines Gesetzentwurfs und nicht auf den Erlaß einer Verwaltungsbestimmung gerichtet sein. Hiergegen ist zu sagen, daß die Frage, wie viel Gebiet Hamburg zur Auf¬ rechthaltung seiner Freihafenstellung bedarf, zunächst im Bundesrathe zu er¬ örtern ist. Da Z 7 der Reichsverfassung dem Bundesrathe die Aufgabe stellt, über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwal¬ tungsvorschriften und Einrichtungen zu beschließen, so ist das Recht des Bundes¬ rathes unzweifelhaft, darüber zu entscheiden, welches der dem Zwecke entspre¬ chende Bezirk des umliegenden Gebietes ist, dessen die Hansestädte zu ihrer Freihafenstelluug bedürfen. Nehmen wir an, eine Hansestadt glaubte sich bei Festsetzung dieses Gebietes vom Bundesrathe geschädigt, so würde sie sich doch nicht auf die Verfassung berufen können, denn Artikel 34 sichert den Hanse¬ städten nicht einen bestimmten Bezirk von so und so viel Quadratmeilen, so und so gelegen, als Freihafengebiet zu, sondern nur einen dem Zwecke der Freihafen¬ stellung überhaupt entsprechenden Bezirk. Welches dieser Bezirk ist, hat nach Artikel 7 lediglich der Bundesrath zu bestimmen. Dies also ist die formelle Frage, an der wirklich nichts Unklares ist. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/263>, abgerufen am 03.07.2024.