Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.und die diese Wirkung ausübt, ohne je den Boden reiner Schönheit zu verlassen. Wir sehen davon ab, daß alle Andeutungen fehlen, um die Beziehungen und die diese Wirkung ausübt, ohne je den Boden reiner Schönheit zu verlassen. Wir sehen davon ab, daß alle Andeutungen fehlen, um die Beziehungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146762"/> <p xml:id="ID_765" prev="#ID_764"> und die diese Wirkung ausübt, ohne je den Boden reiner Schönheit zu verlassen.<lb/> Sehen wir aber auf den Inhalt der Erzählung, so befriedigt uns dieselbe wenig.<lb/> Ein junger Arzt wird in nächtlicher Stunde in eine Räuberhöhle geschleppt,<lb/> einem schwer verwundeten zu helfen. Hier findet er eine Frau, die er in Wien<lb/> als Gräfin und als untreue Braut eines ungeliebten Mannes kennen gelernt<lb/> hat. Seinen Fragen setzt sie hartnäckiges Schweigen entgegen. Der Zustand<lb/> des Kranken ist hoffnungslos. Ein junger Mann, der sich in demselben Zimmer<lb/> befindet, flüstert dem Sterbenden zu: Sie wird dir folgen. Der Tod der Frau<lb/> scheint beschlossen. Aber auch dem Leben des Arztes droht Gefahr, doch wird<lb/> er freigelassen. Jener Jüngling rettet ihn, nachdem er ihm den Eid abgenom¬<lb/> men, daß Geheimniß zu bewahren. Der Heimat nahe, verirrt sich doch der<lb/> Arzt; der Morgen ist noch nicht angebrochen. Erschöpft sinkt er nieder, ein<lb/> schlafühnlicher Zustand hält ihn gefangen. Da hört er Geräusch, flüsternde<lb/> Stimmen. Eine Frau soll den Tod erleiden, sie ist bereit, aber sie will den<lb/> Todesstreich nicht von der Hand empfangen, die das Schwert ergriffen hat. Die<lb/> Stimmen entfernen sich, bald aber hört der gespannt lauschende einen Fall. Der<lb/> Arzt gewinnt seine Kräfte wieder, die Sonne ist aufgegangen und zeigt ihm den<lb/> Weg zu seinem Hause. War jenes schreckliche Ereigniß ein Traumgebilde oder<lb/> Wirklichkeit? Er weiß es nicht; offenbar will er es auch nicht wissen. Er ver¬<lb/> läßt die Gegend — die böhmischen Berge — und kehrt in seine Heimat, die<lb/> Schweiz, zurück. Allmählich verblassen in seiner Erinnerung die Schrecken jener<lb/> Nacht, die Jugendlust erwacht, das Leben übt sein Recht. Er vermählt sich.<lb/> Weib und Kind bereiten ihm eine mit Erdenglück reich gesegnete Stätte. Aber<lb/> in der Seele des Alternden ersteht von neuem das Bild jener unseligen Nacht,<lb/> mit unheimlicher Gewalt beherrscht es seine Sinne, es verdichtet sich ihm zur<lb/> Vision. Seinem Sohne hinterläßt er die Aufzeichnung jener Erlebnisse als<lb/> Vermächtniß.</p><lb/> <p xml:id="ID_766" next="#ID_767"> Wir sehen davon ab, daß alle Andeutungen fehlen, um die Beziehungen<lb/> jener Fran zu den Räubern, den Grund ihrer Tödtung zu verstehen, daß uns<lb/> also die Möglichkeit fehlt, ihre Schuld zu beurtheilen; am peinlichsten berührt<lb/> es, daß das Lebensende des Arztes krankhaft in Folge eines Ereignisses ver¬<lb/> düstert wird, in welchem er selbst eine ausschließlich passive Rolle gespielt hat,<lb/> zu dessen Vermeidung er schlechterdings nichts hatte thun können. War er doch<lb/> schließlich physisch so gelähmt gewesen, daß es ihm nie klar wird, ob der letzte<lb/> Act im Drama jener Nacht Traum oder Wirklichkeit war, daß er über diesen<lb/> Zweifel nie hinauskommt. Und so können wir die Gewissensängste und Visionen<lb/> des Arztes eben nur als pathologische, als krankhafte Zustände ansehen, deren<lb/> dichterische Darstellung nicht sittlich befreiend wirken kann. Und wunderbar;<lb/> einen solchen pathologischen Zustand darzustellen, ist die Absicht der Dichterin</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0257]
und die diese Wirkung ausübt, ohne je den Boden reiner Schönheit zu verlassen.
Sehen wir aber auf den Inhalt der Erzählung, so befriedigt uns dieselbe wenig.
Ein junger Arzt wird in nächtlicher Stunde in eine Räuberhöhle geschleppt,
einem schwer verwundeten zu helfen. Hier findet er eine Frau, die er in Wien
als Gräfin und als untreue Braut eines ungeliebten Mannes kennen gelernt
hat. Seinen Fragen setzt sie hartnäckiges Schweigen entgegen. Der Zustand
des Kranken ist hoffnungslos. Ein junger Mann, der sich in demselben Zimmer
befindet, flüstert dem Sterbenden zu: Sie wird dir folgen. Der Tod der Frau
scheint beschlossen. Aber auch dem Leben des Arztes droht Gefahr, doch wird
er freigelassen. Jener Jüngling rettet ihn, nachdem er ihm den Eid abgenom¬
men, daß Geheimniß zu bewahren. Der Heimat nahe, verirrt sich doch der
Arzt; der Morgen ist noch nicht angebrochen. Erschöpft sinkt er nieder, ein
schlafühnlicher Zustand hält ihn gefangen. Da hört er Geräusch, flüsternde
Stimmen. Eine Frau soll den Tod erleiden, sie ist bereit, aber sie will den
Todesstreich nicht von der Hand empfangen, die das Schwert ergriffen hat. Die
Stimmen entfernen sich, bald aber hört der gespannt lauschende einen Fall. Der
Arzt gewinnt seine Kräfte wieder, die Sonne ist aufgegangen und zeigt ihm den
Weg zu seinem Hause. War jenes schreckliche Ereigniß ein Traumgebilde oder
Wirklichkeit? Er weiß es nicht; offenbar will er es auch nicht wissen. Er ver¬
läßt die Gegend — die böhmischen Berge — und kehrt in seine Heimat, die
Schweiz, zurück. Allmählich verblassen in seiner Erinnerung die Schrecken jener
Nacht, die Jugendlust erwacht, das Leben übt sein Recht. Er vermählt sich.
Weib und Kind bereiten ihm eine mit Erdenglück reich gesegnete Stätte. Aber
in der Seele des Alternden ersteht von neuem das Bild jener unseligen Nacht,
mit unheimlicher Gewalt beherrscht es seine Sinne, es verdichtet sich ihm zur
Vision. Seinem Sohne hinterläßt er die Aufzeichnung jener Erlebnisse als
Vermächtniß.
Wir sehen davon ab, daß alle Andeutungen fehlen, um die Beziehungen
jener Fran zu den Räubern, den Grund ihrer Tödtung zu verstehen, daß uns
also die Möglichkeit fehlt, ihre Schuld zu beurtheilen; am peinlichsten berührt
es, daß das Lebensende des Arztes krankhaft in Folge eines Ereignisses ver¬
düstert wird, in welchem er selbst eine ausschließlich passive Rolle gespielt hat,
zu dessen Vermeidung er schlechterdings nichts hatte thun können. War er doch
schließlich physisch so gelähmt gewesen, daß es ihm nie klar wird, ob der letzte
Act im Drama jener Nacht Traum oder Wirklichkeit war, daß er über diesen
Zweifel nie hinauskommt. Und so können wir die Gewissensängste und Visionen
des Arztes eben nur als pathologische, als krankhafte Zustände ansehen, deren
dichterische Darstellung nicht sittlich befreiend wirken kann. Und wunderbar;
einen solchen pathologischen Zustand darzustellen, ist die Absicht der Dichterin
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |