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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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die Bergleute und breiten ihre Schätze aus, das eifrige Ameisenvolk, und die
Spinne bringt das duftige Elfenkleid, das zarte Gewebe.

Nirgend fühlt sich die Dichterin so wohl als in ihrer Heimat, dem Münster¬
lande, ungern reist sie in die Ferne, und hier verläßt sie nicht die Sehnsucht
uach der Heimat. Sie ist ganz eine Tochter der rothen Erde, im besonderen
ein Kind der münsterländischen Haide. Sie hat sich in die Erscheinung derselben
tief hineingelebt und vermag sie in der anschaulichsten Weise wieder zu erzeugen,
wie in den Haidebildern, so auch in den in Prosa verfaßten "Bildern aus West¬
falen". Wir heben auch aus diesen als Beweis ihrer klaren, das Charakteri¬
stische scharf treffenden Landschaftszeichnung die Schilderung eben des Münster¬
landes heraus:

"Eine trostlose Gegend! unabsehbare Sandflächen, nur am Horizonte hier und
dort von kleinen Waldungen und einzelnen Baumgruppen unterbrochen. -- Die von
Seewinden geschwängerte Luft scheint nur im Schlafe auszumalen. -- Bei jedem
Hause geht ein zartes, dem Rauschen der Fichten ähnliches Geriesel über die Fläche
und säet den sämtlich in glühenden Streifen bis an die nächste Düne, wo der
Hirt in halb somnambuler Beschaulichkeit seine Socken strickt und sich so wenig um
uns kümmert als sein gleichfalls somnambuler Hund und seine Haidschnucken.
Schwärme badender Krähen liegen quer über den Pfad und flattern erst auf, wenn
wir sie fast greifen könnten, um einige Schritte seitwärts wieder niederzufallen und
uns im Vorübergehen mit einem weissagenden Auge -- zu betrachten. Aus den
einzelnen Wachholderbüschen bringt das klagende, mövenartige Geschrill der jungen
Kibitze, die wie Taucher-Vögel im Schilf in ihrem stachlichen Asyle umschlüpfen und
bald hier bald dort ihre Federbüschel hero schrecken. Dann noch etwa jede Meile
eine Hütte, vor deren Thür ein paar Kinder sich im Sande wälzen und Käfer
fangen, und allenfalls ein wandernder Naturforscher, der neben seinem überfüllten
Tornister kniet und lächelnd die zierlich versteinerten Muscheln und Seeigel betrachtet,
die wie Modelle einer früheren Schöpfung hier überall verstreut liegen -- und
wir haben Alles genannt, was eine lange Tagereise hindurch eine Gegend belebt,
die keine andere Poesie aufzuweisen hat, als die einer fast jungfräulichen Einsamkeit
und einer weichen, traumhaften Beleuchtung, in der sich die Flügel der Phantasie
unwillkürlich entfalten. Allmählich bereiten sich indessen freundlichere Bilder vor --
zerstreute Grasflächen in den Niederungen, häufigere und frischere Baumgruppen
begrüßen uns als Vorposten nahender Fruchtbarkeit, und bald befinden wir uns in
dem Herzen des Münsterlandes, in einer Gegend, die so anmuthig ist, wie der
gänzliche Mangel an Gebirgen, Felsen und belebten Strömen dieses nur immer ge¬
stattet, und die wie eine große Oase in dem sie von allen Seiten, nach Holland,
Oldenburg, Cleve zu, umstäubenden Sandmeer liegt. In hohem Grade friedlich,
hat sie doch nichts von dem Charakter der Einöde, vielmehr mögen wenige Land¬
schaften so voll Griin, Nachtigallenschlag und Blumenflor angetroffen werden, und


die Bergleute und breiten ihre Schätze aus, das eifrige Ameisenvolk, und die
Spinne bringt das duftige Elfenkleid, das zarte Gewebe.

Nirgend fühlt sich die Dichterin so wohl als in ihrer Heimat, dem Münster¬
lande, ungern reist sie in die Ferne, und hier verläßt sie nicht die Sehnsucht
uach der Heimat. Sie ist ganz eine Tochter der rothen Erde, im besonderen
ein Kind der münsterländischen Haide. Sie hat sich in die Erscheinung derselben
tief hineingelebt und vermag sie in der anschaulichsten Weise wieder zu erzeugen,
wie in den Haidebildern, so auch in den in Prosa verfaßten „Bildern aus West¬
falen". Wir heben auch aus diesen als Beweis ihrer klaren, das Charakteri¬
stische scharf treffenden Landschaftszeichnung die Schilderung eben des Münster¬
landes heraus:

„Eine trostlose Gegend! unabsehbare Sandflächen, nur am Horizonte hier und
dort von kleinen Waldungen und einzelnen Baumgruppen unterbrochen. — Die von
Seewinden geschwängerte Luft scheint nur im Schlafe auszumalen. — Bei jedem
Hause geht ein zartes, dem Rauschen der Fichten ähnliches Geriesel über die Fläche
und säet den sämtlich in glühenden Streifen bis an die nächste Düne, wo der
Hirt in halb somnambuler Beschaulichkeit seine Socken strickt und sich so wenig um
uns kümmert als sein gleichfalls somnambuler Hund und seine Haidschnucken.
Schwärme badender Krähen liegen quer über den Pfad und flattern erst auf, wenn
wir sie fast greifen könnten, um einige Schritte seitwärts wieder niederzufallen und
uns im Vorübergehen mit einem weissagenden Auge — zu betrachten. Aus den
einzelnen Wachholderbüschen bringt das klagende, mövenartige Geschrill der jungen
Kibitze, die wie Taucher-Vögel im Schilf in ihrem stachlichen Asyle umschlüpfen und
bald hier bald dort ihre Federbüschel hero schrecken. Dann noch etwa jede Meile
eine Hütte, vor deren Thür ein paar Kinder sich im Sande wälzen und Käfer
fangen, und allenfalls ein wandernder Naturforscher, der neben seinem überfüllten
Tornister kniet und lächelnd die zierlich versteinerten Muscheln und Seeigel betrachtet,
die wie Modelle einer früheren Schöpfung hier überall verstreut liegen — und
wir haben Alles genannt, was eine lange Tagereise hindurch eine Gegend belebt,
die keine andere Poesie aufzuweisen hat, als die einer fast jungfräulichen Einsamkeit
und einer weichen, traumhaften Beleuchtung, in der sich die Flügel der Phantasie
unwillkürlich entfalten. Allmählich bereiten sich indessen freundlichere Bilder vor —
zerstreute Grasflächen in den Niederungen, häufigere und frischere Baumgruppen
begrüßen uns als Vorposten nahender Fruchtbarkeit, und bald befinden wir uns in
dem Herzen des Münsterlandes, in einer Gegend, die so anmuthig ist, wie der
gänzliche Mangel an Gebirgen, Felsen und belebten Strömen dieses nur immer ge¬
stattet, und die wie eine große Oase in dem sie von allen Seiten, nach Holland,
Oldenburg, Cleve zu, umstäubenden Sandmeer liegt. In hohem Grade friedlich,
hat sie doch nichts von dem Charakter der Einöde, vielmehr mögen wenige Land¬
schaften so voll Griin, Nachtigallenschlag und Blumenflor angetroffen werden, und


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[0251] die Bergleute und breiten ihre Schätze aus, das eifrige Ameisenvolk, und die Spinne bringt das duftige Elfenkleid, das zarte Gewebe. Nirgend fühlt sich die Dichterin so wohl als in ihrer Heimat, dem Münster¬ lande, ungern reist sie in die Ferne, und hier verläßt sie nicht die Sehnsucht uach der Heimat. Sie ist ganz eine Tochter der rothen Erde, im besonderen ein Kind der münsterländischen Haide. Sie hat sich in die Erscheinung derselben tief hineingelebt und vermag sie in der anschaulichsten Weise wieder zu erzeugen, wie in den Haidebildern, so auch in den in Prosa verfaßten „Bildern aus West¬ falen". Wir heben auch aus diesen als Beweis ihrer klaren, das Charakteri¬ stische scharf treffenden Landschaftszeichnung die Schilderung eben des Münster¬ landes heraus: „Eine trostlose Gegend! unabsehbare Sandflächen, nur am Horizonte hier und dort von kleinen Waldungen und einzelnen Baumgruppen unterbrochen. — Die von Seewinden geschwängerte Luft scheint nur im Schlafe auszumalen. — Bei jedem Hause geht ein zartes, dem Rauschen der Fichten ähnliches Geriesel über die Fläche und säet den sämtlich in glühenden Streifen bis an die nächste Düne, wo der Hirt in halb somnambuler Beschaulichkeit seine Socken strickt und sich so wenig um uns kümmert als sein gleichfalls somnambuler Hund und seine Haidschnucken. Schwärme badender Krähen liegen quer über den Pfad und flattern erst auf, wenn wir sie fast greifen könnten, um einige Schritte seitwärts wieder niederzufallen und uns im Vorübergehen mit einem weissagenden Auge — zu betrachten. Aus den einzelnen Wachholderbüschen bringt das klagende, mövenartige Geschrill der jungen Kibitze, die wie Taucher-Vögel im Schilf in ihrem stachlichen Asyle umschlüpfen und bald hier bald dort ihre Federbüschel hero schrecken. Dann noch etwa jede Meile eine Hütte, vor deren Thür ein paar Kinder sich im Sande wälzen und Käfer fangen, und allenfalls ein wandernder Naturforscher, der neben seinem überfüllten Tornister kniet und lächelnd die zierlich versteinerten Muscheln und Seeigel betrachtet, die wie Modelle einer früheren Schöpfung hier überall verstreut liegen — und wir haben Alles genannt, was eine lange Tagereise hindurch eine Gegend belebt, die keine andere Poesie aufzuweisen hat, als die einer fast jungfräulichen Einsamkeit und einer weichen, traumhaften Beleuchtung, in der sich die Flügel der Phantasie unwillkürlich entfalten. Allmählich bereiten sich indessen freundlichere Bilder vor — zerstreute Grasflächen in den Niederungen, häufigere und frischere Baumgruppen begrüßen uns als Vorposten nahender Fruchtbarkeit, und bald befinden wir uns in dem Herzen des Münsterlandes, in einer Gegend, die so anmuthig ist, wie der gänzliche Mangel an Gebirgen, Felsen und belebten Strömen dieses nur immer ge¬ stattet, und die wie eine große Oase in dem sie von allen Seiten, nach Holland, Oldenburg, Cleve zu, umstäubenden Sandmeer liegt. In hohem Grade friedlich, hat sie doch nichts von dem Charakter der Einöde, vielmehr mögen wenige Land¬ schaften so voll Griin, Nachtigallenschlag und Blumenflor angetroffen werden, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/251>, abgerufen am 03.07.2024.