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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Da ruft die Mutter ängstlich:


"Gott grad' uns, wie es zuckt und dräut,
Wie's schwelet an der Dünenscheid'!
Ihr Kinder, faltet eure Hand',
Das bringt uns Pest und theure Zeit --
Der Haidcmann brennt!"

Eilt andermal sehen wir den "Knaben im Moor", der in der Abendstunde, die
Fibel in der zitternden Hand, heimkehrt; "unter jedem Tritte ein Quellchen
springt". Im Rascheln am Hage hört das Kind "den gespenstigen Gräberknecht,
der dem Meister die besten Torfe verzecht; hinducket das Knäblein zage". Im
Rieseln und Knittern der Halme wird die unselige Spinnerin, die gebannte
Spinnenlenor, spürbar; im Brodeln und Pfeifen unter den Sohlen klingts "wie
eine gespenstige Melodei; das ist der Geigenmann ungetreu, das ist der diebische
Fiedler Knauf, der den Hochzeitsheller gestohlen." Und jetzt


"birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
"Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
Wär' nicht Schutzengel in seiner Nah',
Seine bleichen Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.
Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief athmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick.
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O, schaurig war's in der Haide!"

Aber es sind nicht bloß Nachtgedanken, welche in der Haide durch die Seele
der Dichterin schleichen, auch für ihr Leben im Licht hat sie einen offenen Sinn.
Alles, was sich regt und webt im Sonnenglanze, schaut ihr Auge, malt sie mit
liebevollem Blick. Und auch die humoristische Stimmung kommt hier zu ihrem
Rechte. So in dem ersten Gedichte der Haidebilder, "Die Lerche". Die Lerche
erscheint als der Herold des Tages, der die Thier- und Pflanzenwelt ans dem
Schlafe weckt, die Fürstin Sonne huldigend zu begrüßen. Da offnen sich die
Wimpern der zarten Blumen, das klare Auge des Masliebchens und der bleichen
Wasserlilie; der Zitterhalm steht verschämt, die kleine Weide pudert sich. Nun
kommen die geflügelten Musikanten. Die Grille spielt schäferlich die Liebesgeige,
der Käfer schnurrt, ein tüchtiger Hornist; die Fliege surrt Diskant und Tenor,
die Bieue ist der Bassist, die Hummel spielt den Contmviolon. Endlich kommen


Da ruft die Mutter ängstlich:


„Gott grad' uns, wie es zuckt und dräut,
Wie's schwelet an der Dünenscheid'!
Ihr Kinder, faltet eure Hand',
Das bringt uns Pest und theure Zeit —
Der Haidcmann brennt!"

Eilt andermal sehen wir den „Knaben im Moor", der in der Abendstunde, die
Fibel in der zitternden Hand, heimkehrt; „unter jedem Tritte ein Quellchen
springt". Im Rascheln am Hage hört das Kind „den gespenstigen Gräberknecht,
der dem Meister die besten Torfe verzecht; hinducket das Knäblein zage". Im
Rieseln und Knittern der Halme wird die unselige Spinnerin, die gebannte
Spinnenlenor, spürbar; im Brodeln und Pfeifen unter den Sohlen klingts „wie
eine gespenstige Melodei; das ist der Geigenmann ungetreu, das ist der diebische
Fiedler Knauf, der den Hochzeitsheller gestohlen." Und jetzt


„birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
„Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
Wär' nicht Schutzengel in seiner Nah',
Seine bleichen Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.
Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief athmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick.
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O, schaurig war's in der Haide!"

Aber es sind nicht bloß Nachtgedanken, welche in der Haide durch die Seele
der Dichterin schleichen, auch für ihr Leben im Licht hat sie einen offenen Sinn.
Alles, was sich regt und webt im Sonnenglanze, schaut ihr Auge, malt sie mit
liebevollem Blick. Und auch die humoristische Stimmung kommt hier zu ihrem
Rechte. So in dem ersten Gedichte der Haidebilder, „Die Lerche". Die Lerche
erscheint als der Herold des Tages, der die Thier- und Pflanzenwelt ans dem
Schlafe weckt, die Fürstin Sonne huldigend zu begrüßen. Da offnen sich die
Wimpern der zarten Blumen, das klare Auge des Masliebchens und der bleichen
Wasserlilie; der Zitterhalm steht verschämt, die kleine Weide pudert sich. Nun
kommen die geflügelten Musikanten. Die Grille spielt schäferlich die Liebesgeige,
der Käfer schnurrt, ein tüchtiger Hornist; die Fliege surrt Diskant und Tenor,
die Bieue ist der Bassist, die Hummel spielt den Contmviolon. Endlich kommen


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[0250] Da ruft die Mutter ängstlich: „Gott grad' uns, wie es zuckt und dräut, Wie's schwelet an der Dünenscheid'! Ihr Kinder, faltet eure Hand', Das bringt uns Pest und theure Zeit — Der Haidcmann brennt!" Eilt andermal sehen wir den „Knaben im Moor", der in der Abendstunde, die Fibel in der zitternden Hand, heimkehrt; „unter jedem Tritte ein Quellchen springt". Im Rascheln am Hage hört das Kind „den gespenstigen Gräberknecht, der dem Meister die besten Torfe verzecht; hinducket das Knäblein zage". Im Rieseln und Knittern der Halme wird die unselige Spinnerin, die gebannte Spinnenlenor, spürbar; im Brodeln und Pfeifen unter den Sohlen klingts „wie eine gespenstige Melodei; das ist der Geigenmann ungetreu, das ist der diebische Fiedler Knauf, der den Hochzeitsheller gestohlen." Und jetzt „birst das Moor, ein Seufzer geht Hervor aus der klaffenden Höhle; Weh, weh, da ruft die verdammte Margret: „Ho, ho, meine arme Seele!" Der Knabe springt wie ein wundes Reh, Wär' nicht Schutzengel in seiner Nah', Seine bleichen Knöchelchen fände spät Ein Gräber im Moorgeschwehle. Da mählich gründet der Boden sich, Und drüben, neben der Weide, Die Lampe flimmert so heimatlich, Der Knabe steht an der Scheide. Tief athmet er auf, zum Moor zurück Noch immer wirft er den scheuen Blick. Ja, im Geröhre war's fürchterlich, O, schaurig war's in der Haide!" Aber es sind nicht bloß Nachtgedanken, welche in der Haide durch die Seele der Dichterin schleichen, auch für ihr Leben im Licht hat sie einen offenen Sinn. Alles, was sich regt und webt im Sonnenglanze, schaut ihr Auge, malt sie mit liebevollem Blick. Und auch die humoristische Stimmung kommt hier zu ihrem Rechte. So in dem ersten Gedichte der Haidebilder, „Die Lerche". Die Lerche erscheint als der Herold des Tages, der die Thier- und Pflanzenwelt ans dem Schlafe weckt, die Fürstin Sonne huldigend zu begrüßen. Da offnen sich die Wimpern der zarten Blumen, das klare Auge des Masliebchens und der bleichen Wasserlilie; der Zitterhalm steht verschämt, die kleine Weide pudert sich. Nun kommen die geflügelten Musikanten. Die Grille spielt schäferlich die Liebesgeige, der Käfer schnurrt, ein tüchtiger Hornist; die Fliege surrt Diskant und Tenor, die Bieue ist der Bassist, die Hummel spielt den Contmviolon. Endlich kommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/250>, abgerufen am 22.07.2024.