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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Siedlungen an der Wien, um die Votivkirche und auf der Höhe des Belvedere,
dazwischen Feld und Gebüsch und die langen Linien der Heerstraßen mit ihren
Grabdenkmälern, während weit im Norden der breite Spiegel der Dvnnu
zwischen waldigen Inseln aufblitzte. Auch dies Standlager hat wahrscheinlich
Vespasian gleichzeitig mit dem von Carnuntum für und durch die 13. Legion
angelegt, neben welcher bis gegen 114 n. Chr. ein brittanisches Reitergeschwader,
die 1. Flavische Ala, hier garnisonirte. Für die Position der Festung fehlt jetzt
jeder zu Tage stehende Anhalt, denn da die Oertlichkeit niemals vollständig
verlassen war und seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine bedeutende
Stadt hier sich entwickelte, so wurden die antiken Reste natürlich zu neuen
Bauten verwendet oder sie verschwanden unter den Häusermassen der deutschen
Stadt, welche zugleich jede systematische Nachforschung unmöglich machen. Nur
die Bildung des Terrains und die spärlichen, gelegentlich zu Tage kommende"
Reste gewähren die Möglichkeit, die Lage und Ausdehnung der römische:: Festung
wenigstens annähernd zu bestimmen. Denn der Versuch, aus deu Straßen-
linieu, wie Hauslab, oder aus den Hauserquadraten, wie Camesina, auf die
Gestaltung und Entwicklung des Standlagers Schlüsse zu ziehen, kaun schon des¬
halb nicht gelingen, weil zwar die von der Natur vorgeschriebenen Hauptlinien
des Verkehrs sich außerordentlich wenig ändern, die Bauten eines römischen
Lagers aber mit Ausnahme einzelner nnr leichter Art waren, also feste, unver¬
rückbare Linien gar uicht darstellen, demnach auch die Ansiedler, welche nach
dem Zusammenbruche der römischen Militärgrenze von den verlassenen Castra
Besitz ergriffen, an die Stmßenliuieu derselbe" nicht gebunden waren, wie denn
auch wirklich das ganz und gar nicht rechtwinklig gefügte Gassengeflecht des
inneren Wien der strengen römischen Anlage durchaus widerspricht. Aus seiner
Gestaltung mag sich die Entwicklung der mittelalterlichen Stadt erschließen lassen,
aber niemals die des römischen Standlagers. Dafür bleiben im Wesentlichen
nur die zuerst angedeuteten Hilfsmittel zur Verfügung.

Der innerste Kern des heutigen Wien um den hohen Markt liegt auf einem
Plateau, welches von Südwesten nach Nordosten gegen den Donauccmal hin
streift und ans drei Seiten durch eine rasche Senkung des Bodens begrenzt
wird: es fällt im Nordosten gegen den Camen, der ursprünglich näher an die
Stadt trat als hente, im Osten gegen die Rothenthurmstraße, im Westen gegen
den Tiefen Graben ab. Auf dieser Fläche dräugen sich die römischen Reste
am dichtesten zuscunmeu; sie war zudem nach drei Seiten durch das Terrain,
auf der einen sogar durch den Fluß geschützt. Doch hat das Lager kaum die
ganze Hochfläche bedeckt, weil eine Legion selbst mit ihren Hilfstruppen dieses
großen Raumes nicht bedürfte, fondern es wird auf die östliche:: zwei Drittel
derselbe:: sich beschränkt haben. Reste einer sehr starken antiken Mauer zum


Siedlungen an der Wien, um die Votivkirche und auf der Höhe des Belvedere,
dazwischen Feld und Gebüsch und die langen Linien der Heerstraßen mit ihren
Grabdenkmälern, während weit im Norden der breite Spiegel der Dvnnu
zwischen waldigen Inseln aufblitzte. Auch dies Standlager hat wahrscheinlich
Vespasian gleichzeitig mit dem von Carnuntum für und durch die 13. Legion
angelegt, neben welcher bis gegen 114 n. Chr. ein brittanisches Reitergeschwader,
die 1. Flavische Ala, hier garnisonirte. Für die Position der Festung fehlt jetzt
jeder zu Tage stehende Anhalt, denn da die Oertlichkeit niemals vollständig
verlassen war und seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine bedeutende
Stadt hier sich entwickelte, so wurden die antiken Reste natürlich zu neuen
Bauten verwendet oder sie verschwanden unter den Häusermassen der deutschen
Stadt, welche zugleich jede systematische Nachforschung unmöglich machen. Nur
die Bildung des Terrains und die spärlichen, gelegentlich zu Tage kommende»
Reste gewähren die Möglichkeit, die Lage und Ausdehnung der römische:: Festung
wenigstens annähernd zu bestimmen. Denn der Versuch, aus deu Straßen-
linieu, wie Hauslab, oder aus den Hauserquadraten, wie Camesina, auf die
Gestaltung und Entwicklung des Standlagers Schlüsse zu ziehen, kaun schon des¬
halb nicht gelingen, weil zwar die von der Natur vorgeschriebenen Hauptlinien
des Verkehrs sich außerordentlich wenig ändern, die Bauten eines römischen
Lagers aber mit Ausnahme einzelner nnr leichter Art waren, also feste, unver¬
rückbare Linien gar uicht darstellen, demnach auch die Ansiedler, welche nach
dem Zusammenbruche der römischen Militärgrenze von den verlassenen Castra
Besitz ergriffen, an die Stmßenliuieu derselbe» nicht gebunden waren, wie denn
auch wirklich das ganz und gar nicht rechtwinklig gefügte Gassengeflecht des
inneren Wien der strengen römischen Anlage durchaus widerspricht. Aus seiner
Gestaltung mag sich die Entwicklung der mittelalterlichen Stadt erschließen lassen,
aber niemals die des römischen Standlagers. Dafür bleiben im Wesentlichen
nur die zuerst angedeuteten Hilfsmittel zur Verfügung.

Der innerste Kern des heutigen Wien um den hohen Markt liegt auf einem
Plateau, welches von Südwesten nach Nordosten gegen den Donauccmal hin
streift und ans drei Seiten durch eine rasche Senkung des Bodens begrenzt
wird: es fällt im Nordosten gegen den Camen, der ursprünglich näher an die
Stadt trat als hente, im Osten gegen die Rothenthurmstraße, im Westen gegen
den Tiefen Graben ab. Auf dieser Fläche dräugen sich die römischen Reste
am dichtesten zuscunmeu; sie war zudem nach drei Seiten durch das Terrain,
auf der einen sogar durch den Fluß geschützt. Doch hat das Lager kaum die
ganze Hochfläche bedeckt, weil eine Legion selbst mit ihren Hilfstruppen dieses
großen Raumes nicht bedürfte, fondern es wird auf die östliche:: zwei Drittel
derselbe:: sich beschränkt haben. Reste einer sehr starken antiken Mauer zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/25>, abgerufen am 03.07.2024.