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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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sei, entwickele; endlich sei es für England unbedingt nöthig, sich am Hofe zu
Teheran eine überwiegende Stellung zu sichern, um Persien vom Joche Rußlands
zu befreien.

Wir haben oben den Gang der kriegerischen Action der letzten Jahre gegen
Afghanistan kurz skizzirt; der Leser wird daraus ersehen, daß niemand anders
als H. Rawlinson der Schöpfer der in^In^ sxirltsä, der "kaiserlichen" Politik
gewesen ist, welche seine Gesinnungsgenossen Salisbury und Beciconsfield zur
Ausführung brachten. Daß H. Rawlinson in Folge dessen durchaus nicht
xsrsonÄ Zr^ta, in russischen Kreisen ist, versteht sich von selbst. Das hindert
aber nicht, daß dem genialen Manne die Thatsachen Recht gegeben haben, trotz
des Widerspruchs von Seiten der Staatsmänner der "meisterhaften Unthätigkeit",
wie Sir John Lawrence, wie Lord Mayo, Lord Northbrook, Herzog von
Argyll!c. Es ist darum aber doch nicht ausgeschlossen, daß H. Rawlinson,
der im Einzelnen Recht behalten hat, dennoch auch auf seine Autorität hin
Verbreiter und Begründer von Anschauungen im englischen Volke geworden ist,
welche wenn nicht vollständig irrig, doch so stark übertrieben sind, daß sie wenigstens
in absehbarer Folge auf die gleiche Stufe mit wirklichen Irrthümern gestellt
werden müssen.

Es erreignet sich oft, daß Männer von großem geschichtlichen Weitblick
fernliegenden Consequenzen und Möglichkeiten größere Bedeutung zumesse",
als es faktisch geschehen darf. Solche Beurtheiler sind nämlich nicht in der Lage,
die im Laufe der Zeit sich entwickelnden Gegengründe hinreichend mit in
Anschlag zu bringen. Rawlinson gefüllt sich darin, die ehrgeizigen Absichten Ru߬
lands auf das into-brittische Reich zu beweisen; er vergleicht das Fortschreiten
der russischen Eroberung in Turkestan mit den militärischen Operationen, welche
bei Eröffnung von Parallelen gegen eine belagerte Festung gezogen werden;
er meint übertriebener Weise, daß Nußland durch Besetzung Mervs das Schicksal
Indiens in den Händen haben werde; durch Auszüge aus Briefen Grigorjeff's,
welche 1867 in einer Moskaner Zeitung erschienen, sucht er darzuthun, daß alle
Welt in Rußland sehnlichst eine Expedition nach Indien wünsche u. tgi. Dagegen
ist zunächst zu sagen, daß Grigorjeff, ehemals Gouverneur der Kirgisen-Steppe
-- nicht von Ostsibirien, wie Rawlinson sagt --, im Jahre 1867 Universitäts-
Professor in Petersburg und ohne Einfluß auf die russische Politik war.
Sodann ist zu constatiren, daß in den Jahren 1867--63 und selbst im Jahre
1878 die öffentliche Meinung in Rußland oder in der russischen Presse keines¬
wegs einstimmig auf die Eroberung Indiens hindrängte. Endlich scheint uns
die Betonung der Kriegsgefahr für Indien und das Zusammengehen der Aus¬
lassungen Rawlinsons mit vereinzelten utopistischen und durchaus nicht ernsthaft
zu nehmenden Schreiern in Se. Petersburg der fchwüchste Punkt in dem Memo-


sei, entwickele; endlich sei es für England unbedingt nöthig, sich am Hofe zu
Teheran eine überwiegende Stellung zu sichern, um Persien vom Joche Rußlands
zu befreien.

Wir haben oben den Gang der kriegerischen Action der letzten Jahre gegen
Afghanistan kurz skizzirt; der Leser wird daraus ersehen, daß niemand anders
als H. Rawlinson der Schöpfer der in^In^ sxirltsä, der „kaiserlichen" Politik
gewesen ist, welche seine Gesinnungsgenossen Salisbury und Beciconsfield zur
Ausführung brachten. Daß H. Rawlinson in Folge dessen durchaus nicht
xsrsonÄ Zr^ta, in russischen Kreisen ist, versteht sich von selbst. Das hindert
aber nicht, daß dem genialen Manne die Thatsachen Recht gegeben haben, trotz
des Widerspruchs von Seiten der Staatsmänner der „meisterhaften Unthätigkeit",
wie Sir John Lawrence, wie Lord Mayo, Lord Northbrook, Herzog von
Argyll!c. Es ist darum aber doch nicht ausgeschlossen, daß H. Rawlinson,
der im Einzelnen Recht behalten hat, dennoch auch auf seine Autorität hin
Verbreiter und Begründer von Anschauungen im englischen Volke geworden ist,
welche wenn nicht vollständig irrig, doch so stark übertrieben sind, daß sie wenigstens
in absehbarer Folge auf die gleiche Stufe mit wirklichen Irrthümern gestellt
werden müssen.

Es erreignet sich oft, daß Männer von großem geschichtlichen Weitblick
fernliegenden Consequenzen und Möglichkeiten größere Bedeutung zumesse«,
als es faktisch geschehen darf. Solche Beurtheiler sind nämlich nicht in der Lage,
die im Laufe der Zeit sich entwickelnden Gegengründe hinreichend mit in
Anschlag zu bringen. Rawlinson gefüllt sich darin, die ehrgeizigen Absichten Ru߬
lands auf das into-brittische Reich zu beweisen; er vergleicht das Fortschreiten
der russischen Eroberung in Turkestan mit den militärischen Operationen, welche
bei Eröffnung von Parallelen gegen eine belagerte Festung gezogen werden;
er meint übertriebener Weise, daß Nußland durch Besetzung Mervs das Schicksal
Indiens in den Händen haben werde; durch Auszüge aus Briefen Grigorjeff's,
welche 1867 in einer Moskaner Zeitung erschienen, sucht er darzuthun, daß alle
Welt in Rußland sehnlichst eine Expedition nach Indien wünsche u. tgi. Dagegen
ist zunächst zu sagen, daß Grigorjeff, ehemals Gouverneur der Kirgisen-Steppe
— nicht von Ostsibirien, wie Rawlinson sagt —, im Jahre 1867 Universitäts-
Professor in Petersburg und ohne Einfluß auf die russische Politik war.
Sodann ist zu constatiren, daß in den Jahren 1867—63 und selbst im Jahre
1878 die öffentliche Meinung in Rußland oder in der russischen Presse keines¬
wegs einstimmig auf die Eroberung Indiens hindrängte. Endlich scheint uns
die Betonung der Kriegsgefahr für Indien und das Zusammengehen der Aus¬
lassungen Rawlinsons mit vereinzelten utopistischen und durchaus nicht ernsthaft
zu nehmenden Schreiern in Se. Petersburg der fchwüchste Punkt in dem Memo-


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[0238] sei, entwickele; endlich sei es für England unbedingt nöthig, sich am Hofe zu Teheran eine überwiegende Stellung zu sichern, um Persien vom Joche Rußlands zu befreien. Wir haben oben den Gang der kriegerischen Action der letzten Jahre gegen Afghanistan kurz skizzirt; der Leser wird daraus ersehen, daß niemand anders als H. Rawlinson der Schöpfer der in^In^ sxirltsä, der „kaiserlichen" Politik gewesen ist, welche seine Gesinnungsgenossen Salisbury und Beciconsfield zur Ausführung brachten. Daß H. Rawlinson in Folge dessen durchaus nicht xsrsonÄ Zr^ta, in russischen Kreisen ist, versteht sich von selbst. Das hindert aber nicht, daß dem genialen Manne die Thatsachen Recht gegeben haben, trotz des Widerspruchs von Seiten der Staatsmänner der „meisterhaften Unthätigkeit", wie Sir John Lawrence, wie Lord Mayo, Lord Northbrook, Herzog von Argyll!c. Es ist darum aber doch nicht ausgeschlossen, daß H. Rawlinson, der im Einzelnen Recht behalten hat, dennoch auch auf seine Autorität hin Verbreiter und Begründer von Anschauungen im englischen Volke geworden ist, welche wenn nicht vollständig irrig, doch so stark übertrieben sind, daß sie wenigstens in absehbarer Folge auf die gleiche Stufe mit wirklichen Irrthümern gestellt werden müssen. Es erreignet sich oft, daß Männer von großem geschichtlichen Weitblick fernliegenden Consequenzen und Möglichkeiten größere Bedeutung zumesse«, als es faktisch geschehen darf. Solche Beurtheiler sind nämlich nicht in der Lage, die im Laufe der Zeit sich entwickelnden Gegengründe hinreichend mit in Anschlag zu bringen. Rawlinson gefüllt sich darin, die ehrgeizigen Absichten Ru߬ lands auf das into-brittische Reich zu beweisen; er vergleicht das Fortschreiten der russischen Eroberung in Turkestan mit den militärischen Operationen, welche bei Eröffnung von Parallelen gegen eine belagerte Festung gezogen werden; er meint übertriebener Weise, daß Nußland durch Besetzung Mervs das Schicksal Indiens in den Händen haben werde; durch Auszüge aus Briefen Grigorjeff's, welche 1867 in einer Moskaner Zeitung erschienen, sucht er darzuthun, daß alle Welt in Rußland sehnlichst eine Expedition nach Indien wünsche u. tgi. Dagegen ist zunächst zu sagen, daß Grigorjeff, ehemals Gouverneur der Kirgisen-Steppe — nicht von Ostsibirien, wie Rawlinson sagt —, im Jahre 1867 Universitäts- Professor in Petersburg und ohne Einfluß auf die russische Politik war. Sodann ist zu constatiren, daß in den Jahren 1867—63 und selbst im Jahre 1878 die öffentliche Meinung in Rußland oder in der russischen Presse keines¬ wegs einstimmig auf die Eroberung Indiens hindrängte. Endlich scheint uns die Betonung der Kriegsgefahr für Indien und das Zusammengehen der Aus¬ lassungen Rawlinsons mit vereinzelten utopistischen und durchaus nicht ernsthaft zu nehmenden Schreiern in Se. Petersburg der fchwüchste Punkt in dem Memo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/238>, abgerufen am 22.07.2024.