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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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vornehmsten Adels unterstützt wird, bei dem kein anderes Motiv denkbar ist, als
die Einwirkung der Beichtväter auf Männer und noch mehr auf Frauen. Ein
Wort von dem Papste oder von den Bischöfen, auch nur der discretesten Abmah¬
nung, würde diesem unnatürlichen Bunde des katholischen Adels und der Priester
mit den Socialisten ein Ende machen. So lange statt dessen die Regierung in den
Basen ihrer Existenz durch die römisch-katholische Fraction bekämpft wird, ist eine
Nachgiebigkeit für die erstere ganz unmöglich. Die Regierung kann friedlichen
Bestrebungen friedlich entgegenkommen; läßt sie sich aber durch Kampf und Dro¬
hungen die Hand zwingen, so hat sie als Regierung abdicirt. Zum Zwange gegen
die Regierung fehlt übrigens der Partei die Macht. Sie hat in Bezug auf Agi¬
tation im Lande ihr Pulver zu früh verschossen; die Wühlereien der Geistlichen
und ihre wohlfeilen Blätter haben in den ersten Jahren des Conflicts Alles ver¬
sucht, was möglich war, um die Regierung des Königs in den Augen seiner Unter¬
thanen herabzusetzen und ihre Thätigkeit zu hemmen; die klerikale Presse hat darin
mehr geleistet als die socialistische und ist in der Wahl der Mittel ebensowenig
scrupulös gewesen wie diese. Was auf diesem Wege uns Unangenehmes und Ge¬
fährliches bereitet werden konnte, haben wir bereits erduldet und müssen das
Fernere erdulden, wenn die Geistlichkeit diese Rolle fortsetzt, welche sie dem Staate
und der Bevölkerung mehr und mehr entfremdet.

Die Verminderung der Geistlichen, das Verschwinden der Bischöfe, der Verfall
der Seelsorge flößen Jedermann die lebhafteste Sympathie mit den katholischen
Christen ein, die auf diese Weise von ihren Geistlichen verlassen werden, weil die
Priester aus politischen, dem Laien schwer verständlichen Motiven die Seelsorge ver¬
weigern. Es ist Sache der Kirche und des Papstes, dies zu verantworten. Zu
anderen Zeiten und in anderen Ländern haben wir gesehen, daß die katholische
Geistlichkeit unter sehr viel härteren Bedingungen, ja unter großen Gefahren und
Demüthigungen, dennoch die Gläubigen, die ihrer bedurften, nicht unbefriedigt ließ,
sondern das loin-art xosse sehr viel weiter trieb, als es nöthig sein würde, um in
Preußen Seelsorge zu üben, ohne mit den Mai-Gesetzen in Conflict zu kommen.

Wenn die heutige Hierarchie ihr Ziel und ihre Ansprüche höher schraubt und
lieber den Gläubigen die Wohlthaten der Kirche versagt, als daß sie sich den welt¬
lichen Gesetzen fügt, so werden Kirche und Staat die Folgen tragen müssen, welche
Gott und die Geschichte darüber verhängen. Bis jetzt sind wir es, die praktisch
entgegengekommen sind. Die polizeilichen, die gerichtlichen Verfolgungen sind sistirt,
soweit das Gesetz es erlaubt; den Staatsanwälten und der Polizei ist, soweit das
geschehen kann, Schweigen und Enthaltung auferlegt, und es wird beabsichtigt, Gesetze
vorzulegen, welche das in noch größerem Maße gestatten sollen; die Kirche aber
läßt ihre Anwälte im Reichstage und Landtage und in der Presse den großen und
den kleinen Krieg bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, mit derselben Entschiedenheit
fortsetzen wie zur Zeit Falk's. Es ist aber ein Irrthum, wenn man glaubt, dadurch
mehr von uns erreichen zu können, als durch freundliches Nachgeben; in Bezug


vornehmsten Adels unterstützt wird, bei dem kein anderes Motiv denkbar ist, als
die Einwirkung der Beichtväter auf Männer und noch mehr auf Frauen. Ein
Wort von dem Papste oder von den Bischöfen, auch nur der discretesten Abmah¬
nung, würde diesem unnatürlichen Bunde des katholischen Adels und der Priester
mit den Socialisten ein Ende machen. So lange statt dessen die Regierung in den
Basen ihrer Existenz durch die römisch-katholische Fraction bekämpft wird, ist eine
Nachgiebigkeit für die erstere ganz unmöglich. Die Regierung kann friedlichen
Bestrebungen friedlich entgegenkommen; läßt sie sich aber durch Kampf und Dro¬
hungen die Hand zwingen, so hat sie als Regierung abdicirt. Zum Zwange gegen
die Regierung fehlt übrigens der Partei die Macht. Sie hat in Bezug auf Agi¬
tation im Lande ihr Pulver zu früh verschossen; die Wühlereien der Geistlichen
und ihre wohlfeilen Blätter haben in den ersten Jahren des Conflicts Alles ver¬
sucht, was möglich war, um die Regierung des Königs in den Augen seiner Unter¬
thanen herabzusetzen und ihre Thätigkeit zu hemmen; die klerikale Presse hat darin
mehr geleistet als die socialistische und ist in der Wahl der Mittel ebensowenig
scrupulös gewesen wie diese. Was auf diesem Wege uns Unangenehmes und Ge¬
fährliches bereitet werden konnte, haben wir bereits erduldet und müssen das
Fernere erdulden, wenn die Geistlichkeit diese Rolle fortsetzt, welche sie dem Staate
und der Bevölkerung mehr und mehr entfremdet.

Die Verminderung der Geistlichen, das Verschwinden der Bischöfe, der Verfall
der Seelsorge flößen Jedermann die lebhafteste Sympathie mit den katholischen
Christen ein, die auf diese Weise von ihren Geistlichen verlassen werden, weil die
Priester aus politischen, dem Laien schwer verständlichen Motiven die Seelsorge ver¬
weigern. Es ist Sache der Kirche und des Papstes, dies zu verantworten. Zu
anderen Zeiten und in anderen Ländern haben wir gesehen, daß die katholische
Geistlichkeit unter sehr viel härteren Bedingungen, ja unter großen Gefahren und
Demüthigungen, dennoch die Gläubigen, die ihrer bedurften, nicht unbefriedigt ließ,
sondern das loin-art xosse sehr viel weiter trieb, als es nöthig sein würde, um in
Preußen Seelsorge zu üben, ohne mit den Mai-Gesetzen in Conflict zu kommen.

Wenn die heutige Hierarchie ihr Ziel und ihre Ansprüche höher schraubt und
lieber den Gläubigen die Wohlthaten der Kirche versagt, als daß sie sich den welt¬
lichen Gesetzen fügt, so werden Kirche und Staat die Folgen tragen müssen, welche
Gott und die Geschichte darüber verhängen. Bis jetzt sind wir es, die praktisch
entgegengekommen sind. Die polizeilichen, die gerichtlichen Verfolgungen sind sistirt,
soweit das Gesetz es erlaubt; den Staatsanwälten und der Polizei ist, soweit das
geschehen kann, Schweigen und Enthaltung auferlegt, und es wird beabsichtigt, Gesetze
vorzulegen, welche das in noch größerem Maße gestatten sollen; die Kirche aber
läßt ihre Anwälte im Reichstage und Landtage und in der Presse den großen und
den kleinen Krieg bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, mit derselben Entschiedenheit
fortsetzen wie zur Zeit Falk's. Es ist aber ein Irrthum, wenn man glaubt, dadurch
mehr von uns erreichen zu können, als durch freundliches Nachgeben; in Bezug


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/231>, abgerufen am 22.07.2024.