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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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den Stuhl Petri besteigt? Wir müssen also auf beiden Seiten in der Lage sein,
daß ein Schwert das andere in der Scheide hält. Daß wir das unserige zerbrechen
sollen, während die Curie jeweilig ihre Politik friedlich oder feindlich einrichten
kann nach den Willen des jeweiligen Papstes und seiner Rathgeber, ist von uns
nicht zu verlangen.

Wenn man Klarheit in dem Staatsministerial-Beschlusse vermißt, so muß ich
fragen, was denn auf römischer Seite bisher klar ist. Wir haben erhebliche prak¬
tische Concessionen, soweit wir das nach der bisherigen Gesetzgebung konnten, seit
dem Amtsantritt des Ministers von Puttkamer gemacht, vom Papste aber haben
wir weiter nichts als eine unbestimmte theoretische Andeutung ohne Sicherheit, daß
er ein unvollkommen definirtes Anzeige-System werde dulden können; es ist uns
eine entgegenkommende Action "in Aussicht gestellt", während eine solche unsererseits
bereits erfolgt ist. Diese "Aussicht" wird uns bis zum Gefühl des Mißtrauens
getrübt durch die feindliche Haltung der Centruinspartei im preußichen Landtage
und im Reichstage, in der wir nichts Anderes als eine praktische Erläuterung, eine
Interpretation der päpstlichen Jnstructionen erblicken können.

Was hilft uns die theoretische Parteinahme des römischen Stuhls gegen die
Socialisten, wenn die katholische Fraktion im Lande, unter lauter Bekennung ihrer
Ergebung in den Willen des Papstes, in allen ihren Abstimmungen den Socialisten
wie jeder anderen subversiven Tendenz öffentlich Beistand leistet? Unter unwahren
Betheuerungen guter Absichten, welche niemals zur Ausführung gelangen, und unter
dem durchsichtigen Vorwande, daß man gerade so, wie die Regierung es betreibe,
die Socialisten nicht bekämpfen wolle, im Uebrigen aber sie verurtheile, stimmt das
Centrum stets mit den Socialisten; und wählte die Regierung andere Wege, so
würden auch gerade diese wieder für das Centrum nicht die annehmbaren sein.

Als vor einem Jahre die katholische Partei in der Zollfrage uns ihre Unter¬
stützung lieh, glaubte man bei uns an den Ernst des päpstlichen Entgegenkommens.
Seitdem hat die katholische Partei, die sich speciell zum Dienste des Papstes öffent¬
lich bekennt, im Landtage die Regierung auf allen Gebieten, in der Eisenbahn¬
frage, bei dem Schanksteuer-Gesetz, bei dem Feldpolizei-Gesetz, in der polnischen
Frage angegriffen. Ebenso in der Reichspolitik, und gerade in Existenzfragen, wie
dem Militär-Etat, dem Socialistengesetz und den Steuer-Vorlagen, steht die katho¬
lische Partei wie ein Mann geschlossen uns gegenüber und nimmt jede reichsfeind¬
liche Bestrebung unter ihren Schutz. Mag eine solche von den Socialisten, von
den Polen oder von den Welsen ausgehen, das System bleibt constant dasselbe,
die Negierung des Kaisers nachdrücklich zu bekämpfen. Wenn man nun sagt, daß
die Fraction irregeleitet werde dnrch einige händelsüchtige Führer, welche vom
Kampfe leben und bei dein Frieden überflüssig zu werden fürchten, so ist das nicht
glaublich Angesichts der Thatsache, daß so viele Geistliche, hohe und niedere, un¬
mittelbare Mitglieder dieser regierungsfeindlichen Fraction sind, und daß deren
Politik, den Socialisten Beistand zu leisten, von den Mitgliedern des reichsten und


den Stuhl Petri besteigt? Wir müssen also auf beiden Seiten in der Lage sein,
daß ein Schwert das andere in der Scheide hält. Daß wir das unserige zerbrechen
sollen, während die Curie jeweilig ihre Politik friedlich oder feindlich einrichten
kann nach den Willen des jeweiligen Papstes und seiner Rathgeber, ist von uns
nicht zu verlangen.

Wenn man Klarheit in dem Staatsministerial-Beschlusse vermißt, so muß ich
fragen, was denn auf römischer Seite bisher klar ist. Wir haben erhebliche prak¬
tische Concessionen, soweit wir das nach der bisherigen Gesetzgebung konnten, seit
dem Amtsantritt des Ministers von Puttkamer gemacht, vom Papste aber haben
wir weiter nichts als eine unbestimmte theoretische Andeutung ohne Sicherheit, daß
er ein unvollkommen definirtes Anzeige-System werde dulden können; es ist uns
eine entgegenkommende Action „in Aussicht gestellt", während eine solche unsererseits
bereits erfolgt ist. Diese „Aussicht" wird uns bis zum Gefühl des Mißtrauens
getrübt durch die feindliche Haltung der Centruinspartei im preußichen Landtage
und im Reichstage, in der wir nichts Anderes als eine praktische Erläuterung, eine
Interpretation der päpstlichen Jnstructionen erblicken können.

Was hilft uns die theoretische Parteinahme des römischen Stuhls gegen die
Socialisten, wenn die katholische Fraktion im Lande, unter lauter Bekennung ihrer
Ergebung in den Willen des Papstes, in allen ihren Abstimmungen den Socialisten
wie jeder anderen subversiven Tendenz öffentlich Beistand leistet? Unter unwahren
Betheuerungen guter Absichten, welche niemals zur Ausführung gelangen, und unter
dem durchsichtigen Vorwande, daß man gerade so, wie die Regierung es betreibe,
die Socialisten nicht bekämpfen wolle, im Uebrigen aber sie verurtheile, stimmt das
Centrum stets mit den Socialisten; und wählte die Regierung andere Wege, so
würden auch gerade diese wieder für das Centrum nicht die annehmbaren sein.

Als vor einem Jahre die katholische Partei in der Zollfrage uns ihre Unter¬
stützung lieh, glaubte man bei uns an den Ernst des päpstlichen Entgegenkommens.
Seitdem hat die katholische Partei, die sich speciell zum Dienste des Papstes öffent¬
lich bekennt, im Landtage die Regierung auf allen Gebieten, in der Eisenbahn¬
frage, bei dem Schanksteuer-Gesetz, bei dem Feldpolizei-Gesetz, in der polnischen
Frage angegriffen. Ebenso in der Reichspolitik, und gerade in Existenzfragen, wie
dem Militär-Etat, dem Socialistengesetz und den Steuer-Vorlagen, steht die katho¬
lische Partei wie ein Mann geschlossen uns gegenüber und nimmt jede reichsfeind¬
liche Bestrebung unter ihren Schutz. Mag eine solche von den Socialisten, von
den Polen oder von den Welsen ausgehen, das System bleibt constant dasselbe,
die Negierung des Kaisers nachdrücklich zu bekämpfen. Wenn man nun sagt, daß
die Fraction irregeleitet werde dnrch einige händelsüchtige Führer, welche vom
Kampfe leben und bei dein Frieden überflüssig zu werden fürchten, so ist das nicht
glaublich Angesichts der Thatsache, daß so viele Geistliche, hohe und niedere, un¬
mittelbare Mitglieder dieser regierungsfeindlichen Fraction sind, und daß deren
Politik, den Socialisten Beistand zu leisten, von den Mitgliedern des reichsten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/230>, abgerufen am 22.07.2024.