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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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nimmt sich in den Reclameanzeigen der Institute sehr schön aus; in Wirklichkeit
ist sie vou keiner Bedeutung und beschränkt sich, wo sie überhaupt versucht wird,
ans allgemeine Redensarten. Die historischen Vorträge, welche in den Conser-
vatorien gehalten werden, sind so oberflächlicher Natur, daß sie womöglich noch
tiefer stehen als die vor einem Laienpublikum hie und da gehaltenen. Die
dem musikalischen Geschichtsunterricht zugedachte Zeit ist auch knapp genug be¬
messen (1--2 Stunden wöchentlich); geschieht es noch obendrein, daß der Lehrer
recht spät erscheint (nach Ablauf des akademischen Viertels) und dafür desto
früher weg geht (eine Viertelstunde vor dem Schluß), wie das z. B. an jenem
"berühmten" Conservatorium der Fall ist, so begreift man wohl, daß die Vor¬
lesungen so gut wie gar nicht besucht werden. Wir geben gern zu, daß es nicht
überall so schlimm ist. Im Allgemeinen aber ist die Pflege der Musikwissen¬
schaft auf den Conservatorien dem Nullpunkt ziemlich nahe; man scheint anzu¬
nehmen, daß die Universitäten dafür genug thun (was durchaus nicht der Fall
ist) und überläßt es denen, welche Zeit und Sinn dafür haben, durch Privat-
studien sich selber zu belehren.

Aber sogar noch unentbehrlichere Dinge bleiben dem Schüler fremd. Auf
der "berühmten" Musteranstalt lernt der Schüler weder Partiturspielen noch diri-
giren. Besondere Stunden für beides existiren nicht, die einzige Gelegenheit,
sich die nöthige Uebung im ersteren zu verschaffen, wäre, wenn Concerte statt
mit dem Orchester mit einem zweiten Clcwier begleitet werden. Leider haben
aber in diesen Fällen immer einige Bevorzugte das Monopol, und obendrein
werden noch häufig genug als Eselsbrücken die Ciavierauszüge benutzt. Bei
den Aufführungen aber, wo wenigstens das Streichquartett vertreten ist, dirigirt
nicht ein Schüler, sondern der Lehrer, welcher das Concert einstudirt hat. In
der Regel kommt der Schüler zum ersten Male in die Lage, selbst zu dirigiren,
wenn er eine eigene Orchesterkomposition vorführen soll; da er eine methodische
Unterweisung nicht erhalten hat, sie aber durch bloßen Jnstinct nicht ersetzen
kann, so ist der Erfolg selbstverständlich.

Erstaunlich ist dann freilich die Unverfrorenheit, mit welcher dem die An¬
stalt verlassenden Schüler Kenntnisse durch Zeugnisse bestätigt werden, zu deren
Erwerbung ihm im Institute keinerlei Gelegenheit geboten worden ist. Für
diejenigen, welche diese Praxis kennen, hat natürlich ein solches Zeugniß absolut
keine Bedeutung. Die Theateragenten, welche bekanntlich heute die Capellmeister-
Macher sind, fragen daher gar nicht nach dem Conservatoriumszeuguiß, sondern
urtheilen nur aus eigener Erfahrung, d. h. sie geben ihren Aspiranten zunächst
kleine, untergeordnete, zweite oder dritte Stellen und lassen sie dann, wenn sie
sich bewähren, schnell avanciren.

Unleugbar könnte innerhalb des Rahmens der jetzigen Organisation unserer


Grenzvoten II. 1380. 23

nimmt sich in den Reclameanzeigen der Institute sehr schön aus; in Wirklichkeit
ist sie vou keiner Bedeutung und beschränkt sich, wo sie überhaupt versucht wird,
ans allgemeine Redensarten. Die historischen Vorträge, welche in den Conser-
vatorien gehalten werden, sind so oberflächlicher Natur, daß sie womöglich noch
tiefer stehen als die vor einem Laienpublikum hie und da gehaltenen. Die
dem musikalischen Geschichtsunterricht zugedachte Zeit ist auch knapp genug be¬
messen (1—2 Stunden wöchentlich); geschieht es noch obendrein, daß der Lehrer
recht spät erscheint (nach Ablauf des akademischen Viertels) und dafür desto
früher weg geht (eine Viertelstunde vor dem Schluß), wie das z. B. an jenem
»berühmten" Conservatorium der Fall ist, so begreift man wohl, daß die Vor¬
lesungen so gut wie gar nicht besucht werden. Wir geben gern zu, daß es nicht
überall so schlimm ist. Im Allgemeinen aber ist die Pflege der Musikwissen¬
schaft auf den Conservatorien dem Nullpunkt ziemlich nahe; man scheint anzu¬
nehmen, daß die Universitäten dafür genug thun (was durchaus nicht der Fall
ist) und überläßt es denen, welche Zeit und Sinn dafür haben, durch Privat-
studien sich selber zu belehren.

Aber sogar noch unentbehrlichere Dinge bleiben dem Schüler fremd. Auf
der „berühmten" Musteranstalt lernt der Schüler weder Partiturspielen noch diri-
giren. Besondere Stunden für beides existiren nicht, die einzige Gelegenheit,
sich die nöthige Uebung im ersteren zu verschaffen, wäre, wenn Concerte statt
mit dem Orchester mit einem zweiten Clcwier begleitet werden. Leider haben
aber in diesen Fällen immer einige Bevorzugte das Monopol, und obendrein
werden noch häufig genug als Eselsbrücken die Ciavierauszüge benutzt. Bei
den Aufführungen aber, wo wenigstens das Streichquartett vertreten ist, dirigirt
nicht ein Schüler, sondern der Lehrer, welcher das Concert einstudirt hat. In
der Regel kommt der Schüler zum ersten Male in die Lage, selbst zu dirigiren,
wenn er eine eigene Orchesterkomposition vorführen soll; da er eine methodische
Unterweisung nicht erhalten hat, sie aber durch bloßen Jnstinct nicht ersetzen
kann, so ist der Erfolg selbstverständlich.

Erstaunlich ist dann freilich die Unverfrorenheit, mit welcher dem die An¬
stalt verlassenden Schüler Kenntnisse durch Zeugnisse bestätigt werden, zu deren
Erwerbung ihm im Institute keinerlei Gelegenheit geboten worden ist. Für
diejenigen, welche diese Praxis kennen, hat natürlich ein solches Zeugniß absolut
keine Bedeutung. Die Theateragenten, welche bekanntlich heute die Capellmeister-
Macher sind, fragen daher gar nicht nach dem Conservatoriumszeuguiß, sondern
urtheilen nur aus eigener Erfahrung, d. h. sie geben ihren Aspiranten zunächst
kleine, untergeordnete, zweite oder dritte Stellen und lassen sie dann, wenn sie
sich bewähren, schnell avanciren.

Unleugbar könnte innerhalb des Rahmens der jetzigen Organisation unserer


Grenzvoten II. 1380. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/221>, abgerufen am 22.07.2024.