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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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von einer dieser gepriesenen deutschen Anstalten in die Geheimnisse der Kunst
eingeführt zu werden.

Es dauert aber nicht lange, so wissen sie aus eigner Erfahrung, was die
Conservatorien find. Bald stellen sich allerhand kleine Differenzen zwischen
dein Programm und seiner Ausführung heraus, und manchmal nehmen diese
Differenzen sogar höchste bedenkliche Dimensionen an. Unsere persönlichen
Beobachtungen erstrecken sich hauptsächlich auf ein Institut, aber eins der
renommirtesten, ein Institut von Weltruf; die Erfahrungen, welche wir an dem¬
selben gemacht, werden aber dermaßen bestätigt durch Erfahrungen anderer
gerecht und ohne bösen Willen urtheilender Männer an anderen Instituten
ähnlicher Art, daß wir nicht anstehen, unseren Klagen einen allgemeinen Charakter
zu geben.

Was die neuen Ankömmlinge zunächst in Verwunderung setzt, ist die Auf¬
nahmeprüfung; ihre Angst und Sorge, ob sie auch den Anforderungen, welche
die Anstalt an ihr Talent stellt, genügen werden, erweist sich als völlig unbe¬
gründet, denn -- es werden eben gar keine Anforderungen gestellt, sondern es
wird jeder aufgenommen, der Noten lesen kann (soviel uns bekannt, wird das
Notenlesen nur an den Musikschulen gelehrt, welche Elementarclassen haben).
Ueber die Verantwortlichkeit, eine Menge junger Leute, welche als Kaufleute,
Verkäuferinnen oder tgi. ebenso gut oder vielmehr besser ihr Lebensglück machen
würden, durch den Schein einer Prüfung zum Verfolg der musikalische" Carriere
zu verleiten, setzt sich die Direction leichten Herzens hinweg. Der Schüler zahlt,
und dafür werden ihm seine Unterrichtsstunden zugewiesen -- das Uebrige ist
seine Sache. Mit Recht sprach Eduard Hanslick kürzlich seine Besorgnisse für
die Zukunft so vieler musicirender junger Mädchen aus, und doch meinte er
nur die bereits concertfähigen Pianistinnen, diejenigen, welche nach gewöhnlichen
Begriffen schon fertig und mitten in der Carriere find, denen es doch, sollte
man meinen, nicht mehr fehlen kann! Was wird aber aus den zahllosen, die
es dahin nie bringen, die in Folge unzureichenden Talents oder unzureichender
Mittel die Anstalt verlassen, ohne eine nennenswerte Fertigkeit erlangt zu
haben? Nun -- sie werden Musiklehrerinnen. Zu Dutzenden sitzen jetzt auch
in der kleinsten Stadt Musiklehrerinnen, herzlich schlechte zum großen Theil;
wo soll das auf die Dauer hinaus, wenn, schlecht gerechnet, alle Jahre 500 neue
hinzukommen? Wenden wir den Blick von diesen traurigen Aussichten hinweg
mit den Mahnrufe an alle Eltern, selbst zu bedenken, was sie thun, wenn sie
ihre Schutzbefohlenen zu Musiklehrerinnen ausbilden lassen!

Die Novizen der Conservatorien empfinden die ersten Wochen intensiv das
Glück angehender Künstlerschaft; sie kommen in ein reges Musiktreiben hinein,
hören täglich, ja stündlich eine überwältigende Menge guter Musik, schließen Freund-


von einer dieser gepriesenen deutschen Anstalten in die Geheimnisse der Kunst
eingeführt zu werden.

Es dauert aber nicht lange, so wissen sie aus eigner Erfahrung, was die
Conservatorien find. Bald stellen sich allerhand kleine Differenzen zwischen
dein Programm und seiner Ausführung heraus, und manchmal nehmen diese
Differenzen sogar höchste bedenkliche Dimensionen an. Unsere persönlichen
Beobachtungen erstrecken sich hauptsächlich auf ein Institut, aber eins der
renommirtesten, ein Institut von Weltruf; die Erfahrungen, welche wir an dem¬
selben gemacht, werden aber dermaßen bestätigt durch Erfahrungen anderer
gerecht und ohne bösen Willen urtheilender Männer an anderen Instituten
ähnlicher Art, daß wir nicht anstehen, unseren Klagen einen allgemeinen Charakter
zu geben.

Was die neuen Ankömmlinge zunächst in Verwunderung setzt, ist die Auf¬
nahmeprüfung; ihre Angst und Sorge, ob sie auch den Anforderungen, welche
die Anstalt an ihr Talent stellt, genügen werden, erweist sich als völlig unbe¬
gründet, denn — es werden eben gar keine Anforderungen gestellt, sondern es
wird jeder aufgenommen, der Noten lesen kann (soviel uns bekannt, wird das
Notenlesen nur an den Musikschulen gelehrt, welche Elementarclassen haben).
Ueber die Verantwortlichkeit, eine Menge junger Leute, welche als Kaufleute,
Verkäuferinnen oder tgi. ebenso gut oder vielmehr besser ihr Lebensglück machen
würden, durch den Schein einer Prüfung zum Verfolg der musikalische» Carriere
zu verleiten, setzt sich die Direction leichten Herzens hinweg. Der Schüler zahlt,
und dafür werden ihm seine Unterrichtsstunden zugewiesen — das Uebrige ist
seine Sache. Mit Recht sprach Eduard Hanslick kürzlich seine Besorgnisse für
die Zukunft so vieler musicirender junger Mädchen aus, und doch meinte er
nur die bereits concertfähigen Pianistinnen, diejenigen, welche nach gewöhnlichen
Begriffen schon fertig und mitten in der Carriere find, denen es doch, sollte
man meinen, nicht mehr fehlen kann! Was wird aber aus den zahllosen, die
es dahin nie bringen, die in Folge unzureichenden Talents oder unzureichender
Mittel die Anstalt verlassen, ohne eine nennenswerte Fertigkeit erlangt zu
haben? Nun — sie werden Musiklehrerinnen. Zu Dutzenden sitzen jetzt auch
in der kleinsten Stadt Musiklehrerinnen, herzlich schlechte zum großen Theil;
wo soll das auf die Dauer hinaus, wenn, schlecht gerechnet, alle Jahre 500 neue
hinzukommen? Wenden wir den Blick von diesen traurigen Aussichten hinweg
mit den Mahnrufe an alle Eltern, selbst zu bedenken, was sie thun, wenn sie
ihre Schutzbefohlenen zu Musiklehrerinnen ausbilden lassen!

Die Novizen der Conservatorien empfinden die ersten Wochen intensiv das
Glück angehender Künstlerschaft; sie kommen in ein reges Musiktreiben hinein,
hören täglich, ja stündlich eine überwältigende Menge guter Musik, schließen Freund-


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[0218] von einer dieser gepriesenen deutschen Anstalten in die Geheimnisse der Kunst eingeführt zu werden. Es dauert aber nicht lange, so wissen sie aus eigner Erfahrung, was die Conservatorien find. Bald stellen sich allerhand kleine Differenzen zwischen dein Programm und seiner Ausführung heraus, und manchmal nehmen diese Differenzen sogar höchste bedenkliche Dimensionen an. Unsere persönlichen Beobachtungen erstrecken sich hauptsächlich auf ein Institut, aber eins der renommirtesten, ein Institut von Weltruf; die Erfahrungen, welche wir an dem¬ selben gemacht, werden aber dermaßen bestätigt durch Erfahrungen anderer gerecht und ohne bösen Willen urtheilender Männer an anderen Instituten ähnlicher Art, daß wir nicht anstehen, unseren Klagen einen allgemeinen Charakter zu geben. Was die neuen Ankömmlinge zunächst in Verwunderung setzt, ist die Auf¬ nahmeprüfung; ihre Angst und Sorge, ob sie auch den Anforderungen, welche die Anstalt an ihr Talent stellt, genügen werden, erweist sich als völlig unbe¬ gründet, denn — es werden eben gar keine Anforderungen gestellt, sondern es wird jeder aufgenommen, der Noten lesen kann (soviel uns bekannt, wird das Notenlesen nur an den Musikschulen gelehrt, welche Elementarclassen haben). Ueber die Verantwortlichkeit, eine Menge junger Leute, welche als Kaufleute, Verkäuferinnen oder tgi. ebenso gut oder vielmehr besser ihr Lebensglück machen würden, durch den Schein einer Prüfung zum Verfolg der musikalische» Carriere zu verleiten, setzt sich die Direction leichten Herzens hinweg. Der Schüler zahlt, und dafür werden ihm seine Unterrichtsstunden zugewiesen — das Uebrige ist seine Sache. Mit Recht sprach Eduard Hanslick kürzlich seine Besorgnisse für die Zukunft so vieler musicirender junger Mädchen aus, und doch meinte er nur die bereits concertfähigen Pianistinnen, diejenigen, welche nach gewöhnlichen Begriffen schon fertig und mitten in der Carriere find, denen es doch, sollte man meinen, nicht mehr fehlen kann! Was wird aber aus den zahllosen, die es dahin nie bringen, die in Folge unzureichenden Talents oder unzureichender Mittel die Anstalt verlassen, ohne eine nennenswerte Fertigkeit erlangt zu haben? Nun — sie werden Musiklehrerinnen. Zu Dutzenden sitzen jetzt auch in der kleinsten Stadt Musiklehrerinnen, herzlich schlechte zum großen Theil; wo soll das auf die Dauer hinaus, wenn, schlecht gerechnet, alle Jahre 500 neue hinzukommen? Wenden wir den Blick von diesen traurigen Aussichten hinweg mit den Mahnrufe an alle Eltern, selbst zu bedenken, was sie thun, wenn sie ihre Schutzbefohlenen zu Musiklehrerinnen ausbilden lassen! Die Novizen der Conservatorien empfinden die ersten Wochen intensiv das Glück angehender Künstlerschaft; sie kommen in ein reges Musiktreiben hinein, hören täglich, ja stündlich eine überwältigende Menge guter Musik, schließen Freund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/218>, abgerufen am 22.07.2024.