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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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daß diese Literatur ihrem hauptsächlichen Inhalte nach in hohem Grade an¬
ziehend ist. Wenn wir die ältere Edda und vielleicht die Rechtsquellen aus¬
nehmen, hat das ältere skandinavische Schriftenthum nichts so Werthvolles auf¬
zuweisen wie diese poetisch-historischen Bücher. Leider sehen wir gerade dieses
Capitel in der uns vorliegenden Literaturgeschichte nur flüchtig behandelt. Was
wir hier lesen, hat für den Fachgelehrten gar keinen Werth, genügt aber auch
für das größere Publikum nicht zur Information. S. 49 heißt es: "Eine an¬
regende Darstellung der Begebenheiten zwischen 880 bis 1030 (auf Island)
giebt die Eyrbyggjasaga; interessant ist auch das Bild, das sie durch ihre Geister¬
geschichten von dem Aberglauben der Zeit entwirft". Oberflächlicher kann man
eigentlich kaum berichten. Erstens ist die Darstellung nicht anregend, sondern
trocken, wohl aber ist sie im höchsten Grade belehrend. Zweitens wäre es
kläglich, wenn diese Erzählung nur wegen der den damaligen Aberglauben
charakterisirenden Spukgeschichten interessant wäre. Gespenstererscheinungen
kommen in vielen anderen Sagas auch vor; so spielen sie eine hervorragende
Rolle in der Grettissaga. Was das betreffende Buch zu einem besonders werth¬
vollen macht, ist die Genauigkeit und Zuverlässigkeit seiner Darstellung in histo¬
rischen Dingen. Interessant sind die Vorgeschichte aus Norwegen, die Berichte
über die Art der Niederlassung auf Island, über die Streitereien und Kämpfe
in der ersten Zeit der Kolonisation, über Entdeckung Grönlands und Nord¬
amerikas und die Kämpfe mit Eskimos u. a. Fesselnd ist die Geschichte eines
der hervorragendsten Männer, die in alter Zeit auf Island lebten, des kalten,
schlauberechnenden Snorri Thorgrimsson; rührend das tragische Ende eines
edlen Maunes, den der Sagaschreiber mit besonderer Vorliebe behandelt, des
Arnkel Thorolfsson u. f. f. '

Aehnlich könnten wir auch bezüglich manches anderen Werkes Horns Dar¬
stellung umformen, wenn wir nicht fürchten müßten, den Schein zu erwecken,
als ob wir wegen Einzelheiten ein Werk herabsetzen wollten, das im Ganzen
betrachtet entschieden verdienstvoll ist. Unser Urtheil darüber gestaltet sich um so
günstiger, je näher wir an die Betrachtung der späteren Literatur, speciell der
Gegenwart herantreten. Wir überspringen daher manches Zwischenliegende und
heben nur noch Einzelnes aus dem Späteren hervor, wo wir um so kürzer
sein dürfen, je eingehender der Verfasser ist.

Interessant wird die Darstellung namentlich von dem Punkte an, wo Horn
auf den Dänen Saxo (Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrh.), wegen
seines feinen lateinischen Stils Grammaticus genannt, zu sprechen kommt. Saxo
ist ein lateinisch schreibender Historiker; seine Chronik von Dänemark, Sssts.
vMorum oder Historig. vWic-Ä, ist die "geistige Großthat Dänemarks im
Mittelalter". Erasmus von Rotterdam sagt über dies Werk: "Er hat die Ge-


daß diese Literatur ihrem hauptsächlichen Inhalte nach in hohem Grade an¬
ziehend ist. Wenn wir die ältere Edda und vielleicht die Rechtsquellen aus¬
nehmen, hat das ältere skandinavische Schriftenthum nichts so Werthvolles auf¬
zuweisen wie diese poetisch-historischen Bücher. Leider sehen wir gerade dieses
Capitel in der uns vorliegenden Literaturgeschichte nur flüchtig behandelt. Was
wir hier lesen, hat für den Fachgelehrten gar keinen Werth, genügt aber auch
für das größere Publikum nicht zur Information. S. 49 heißt es: „Eine an¬
regende Darstellung der Begebenheiten zwischen 880 bis 1030 (auf Island)
giebt die Eyrbyggjasaga; interessant ist auch das Bild, das sie durch ihre Geister¬
geschichten von dem Aberglauben der Zeit entwirft". Oberflächlicher kann man
eigentlich kaum berichten. Erstens ist die Darstellung nicht anregend, sondern
trocken, wohl aber ist sie im höchsten Grade belehrend. Zweitens wäre es
kläglich, wenn diese Erzählung nur wegen der den damaligen Aberglauben
charakterisirenden Spukgeschichten interessant wäre. Gespenstererscheinungen
kommen in vielen anderen Sagas auch vor; so spielen sie eine hervorragende
Rolle in der Grettissaga. Was das betreffende Buch zu einem besonders werth¬
vollen macht, ist die Genauigkeit und Zuverlässigkeit seiner Darstellung in histo¬
rischen Dingen. Interessant sind die Vorgeschichte aus Norwegen, die Berichte
über die Art der Niederlassung auf Island, über die Streitereien und Kämpfe
in der ersten Zeit der Kolonisation, über Entdeckung Grönlands und Nord¬
amerikas und die Kämpfe mit Eskimos u. a. Fesselnd ist die Geschichte eines
der hervorragendsten Männer, die in alter Zeit auf Island lebten, des kalten,
schlauberechnenden Snorri Thorgrimsson; rührend das tragische Ende eines
edlen Maunes, den der Sagaschreiber mit besonderer Vorliebe behandelt, des
Arnkel Thorolfsson u. f. f. '

Aehnlich könnten wir auch bezüglich manches anderen Werkes Horns Dar¬
stellung umformen, wenn wir nicht fürchten müßten, den Schein zu erwecken,
als ob wir wegen Einzelheiten ein Werk herabsetzen wollten, das im Ganzen
betrachtet entschieden verdienstvoll ist. Unser Urtheil darüber gestaltet sich um so
günstiger, je näher wir an die Betrachtung der späteren Literatur, speciell der
Gegenwart herantreten. Wir überspringen daher manches Zwischenliegende und
heben nur noch Einzelnes aus dem Späteren hervor, wo wir um so kürzer
sein dürfen, je eingehender der Verfasser ist.

Interessant wird die Darstellung namentlich von dem Punkte an, wo Horn
auf den Dänen Saxo (Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrh.), wegen
seines feinen lateinischen Stils Grammaticus genannt, zu sprechen kommt. Saxo
ist ein lateinisch schreibender Historiker; seine Chronik von Dänemark, Sssts.
vMorum oder Historig. vWic-Ä, ist die „geistige Großthat Dänemarks im
Mittelalter". Erasmus von Rotterdam sagt über dies Werk: „Er hat die Ge-


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[0207] daß diese Literatur ihrem hauptsächlichen Inhalte nach in hohem Grade an¬ ziehend ist. Wenn wir die ältere Edda und vielleicht die Rechtsquellen aus¬ nehmen, hat das ältere skandinavische Schriftenthum nichts so Werthvolles auf¬ zuweisen wie diese poetisch-historischen Bücher. Leider sehen wir gerade dieses Capitel in der uns vorliegenden Literaturgeschichte nur flüchtig behandelt. Was wir hier lesen, hat für den Fachgelehrten gar keinen Werth, genügt aber auch für das größere Publikum nicht zur Information. S. 49 heißt es: „Eine an¬ regende Darstellung der Begebenheiten zwischen 880 bis 1030 (auf Island) giebt die Eyrbyggjasaga; interessant ist auch das Bild, das sie durch ihre Geister¬ geschichten von dem Aberglauben der Zeit entwirft". Oberflächlicher kann man eigentlich kaum berichten. Erstens ist die Darstellung nicht anregend, sondern trocken, wohl aber ist sie im höchsten Grade belehrend. Zweitens wäre es kläglich, wenn diese Erzählung nur wegen der den damaligen Aberglauben charakterisirenden Spukgeschichten interessant wäre. Gespenstererscheinungen kommen in vielen anderen Sagas auch vor; so spielen sie eine hervorragende Rolle in der Grettissaga. Was das betreffende Buch zu einem besonders werth¬ vollen macht, ist die Genauigkeit und Zuverlässigkeit seiner Darstellung in histo¬ rischen Dingen. Interessant sind die Vorgeschichte aus Norwegen, die Berichte über die Art der Niederlassung auf Island, über die Streitereien und Kämpfe in der ersten Zeit der Kolonisation, über Entdeckung Grönlands und Nord¬ amerikas und die Kämpfe mit Eskimos u. a. Fesselnd ist die Geschichte eines der hervorragendsten Männer, die in alter Zeit auf Island lebten, des kalten, schlauberechnenden Snorri Thorgrimsson; rührend das tragische Ende eines edlen Maunes, den der Sagaschreiber mit besonderer Vorliebe behandelt, des Arnkel Thorolfsson u. f. f. ' Aehnlich könnten wir auch bezüglich manches anderen Werkes Horns Dar¬ stellung umformen, wenn wir nicht fürchten müßten, den Schein zu erwecken, als ob wir wegen Einzelheiten ein Werk herabsetzen wollten, das im Ganzen betrachtet entschieden verdienstvoll ist. Unser Urtheil darüber gestaltet sich um so günstiger, je näher wir an die Betrachtung der späteren Literatur, speciell der Gegenwart herantreten. Wir überspringen daher manches Zwischenliegende und heben nur noch Einzelnes aus dem Späteren hervor, wo wir um so kürzer sein dürfen, je eingehender der Verfasser ist. Interessant wird die Darstellung namentlich von dem Punkte an, wo Horn auf den Dänen Saxo (Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrh.), wegen seines feinen lateinischen Stils Grammaticus genannt, zu sprechen kommt. Saxo ist ein lateinisch schreibender Historiker; seine Chronik von Dänemark, Sssts. vMorum oder Historig. vWic-Ä, ist die „geistige Großthat Dänemarks im Mittelalter". Erasmus von Rotterdam sagt über dies Werk: „Er hat die Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/207>, abgerufen am 22.07.2024.