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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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wenn sie sich die Zeit nicht durch unterhaltende Erzählungen am Heerdfeuer
und beim Biere vertrieben hätten. Menschen aber, die zu erzählen ausgiebigen
Stoff hatten, gab es genug bei ihnen. Wer irgend so viel Vermögen besaß,
daß er sich ein Schiff kaufen oder wenigstens einen Platz als Passagier auf
einem solchen miethen konnte, den trieb es ins Ausland. Und man reiste zum
Theil weit herum. Nur die Wenigsten begnügten sich, die Faröer und Nor¬
wegen gesehen zu haben. Andere besuchten mindestens Schweden, Dänemark,
Großbritannien und die britischen Inseln; wieder Andere wandten sich nach
Rußland, Deutschland, Constantinopel, Rom, Frankreich und drüben im Westen
nach Grönland und Nordamerika. Einigen schmeichelte es, Hofdichter irgend¬
welches skandinavischen Fürsten zu werden. Andre traten in den Dienst der
griechischen Kaiser und bildeten mit anderen Landsleuten zusammen die byzan¬
tinische Kaisergarde, die Wäringer; wiederum Andre erwarben sich in Deutsch¬
land oder Paris gelehrte Bildung. Am meisten aber war es nach dem Sinne
der Isländer, auf stürmender See einherzujagen, an den berüchtigten Wikinger¬
raubfahrten theilzunehmen oder, wenn wir den furchtbaren historischen Namen
einsetzen wollen, ein Normanne zu werden.

Was mochten diese Abenteurer zu erzählen haben, wenn sie wieder auf
heimatlicher Scholle saßen! Ihre Erzählungen gingen von Mund zu Mund,
von Geschlecht zu Geschlecht. Von Anfang an vielleicht schon übertrieben,
wurden die mündlich fortlebenden Erzählungen im Laufe der Zeit poetisch
immer - mehr ausgeschmückt. Erst Jahrhunderte später, nachdem längst mit dem
Christenthum' der Gebrauch der handlichen lateinischen Schrift an Stelle der
früher üblichen schwerfälligen und nur vereinzelt angewandten Runenschrift ein¬
geführt war, begann man, diese Erzählungen aufzuzeichnen. Für die nieder¬
geschriebene Erzählung aber diente ebenfalls der Name Saga.

Die Sagaliteratur ist also im Ganzen genommen eine historische Literatur.
Die Stoffe zu den älteren Sagas liefern die Geschlechtertraditionen Islands,
die sich nicht auf das oben hervorgehobene beschränken, sondern damit auch die
Kunden aus der alten Heimat oder von der ersten Besiedelung der neuen
Wohnsitze her verbinden. Ebenso behandelte mau darin die Geschichte der ost-
lündischen skandinavischen Fürsten, die der isländischen Bischöfe; man formte
später Heldengedichte in Sagas um, machte sich dann auch an fremdländische,
aus Deutschland oder Frankreich herübergenommene Stoffe, erfand auch Erzäh¬
lungen u. s, w. In dieser historischen Gattung, von der ein gut Theil erhalten
geblieben ist, sind die Isländer Meister; alles, was die übrigen Skandinaven
hierin geleistet haben, steht ihren Schöpfungen an innerem und äußerem
Werthe nach.

Es läßt sich nach den eben gegebenen Auseinandersetzungen wohl annehmen,


wenn sie sich die Zeit nicht durch unterhaltende Erzählungen am Heerdfeuer
und beim Biere vertrieben hätten. Menschen aber, die zu erzählen ausgiebigen
Stoff hatten, gab es genug bei ihnen. Wer irgend so viel Vermögen besaß,
daß er sich ein Schiff kaufen oder wenigstens einen Platz als Passagier auf
einem solchen miethen konnte, den trieb es ins Ausland. Und man reiste zum
Theil weit herum. Nur die Wenigsten begnügten sich, die Faröer und Nor¬
wegen gesehen zu haben. Andere besuchten mindestens Schweden, Dänemark,
Großbritannien und die britischen Inseln; wieder Andere wandten sich nach
Rußland, Deutschland, Constantinopel, Rom, Frankreich und drüben im Westen
nach Grönland und Nordamerika. Einigen schmeichelte es, Hofdichter irgend¬
welches skandinavischen Fürsten zu werden. Andre traten in den Dienst der
griechischen Kaiser und bildeten mit anderen Landsleuten zusammen die byzan¬
tinische Kaisergarde, die Wäringer; wiederum Andre erwarben sich in Deutsch¬
land oder Paris gelehrte Bildung. Am meisten aber war es nach dem Sinne
der Isländer, auf stürmender See einherzujagen, an den berüchtigten Wikinger¬
raubfahrten theilzunehmen oder, wenn wir den furchtbaren historischen Namen
einsetzen wollen, ein Normanne zu werden.

Was mochten diese Abenteurer zu erzählen haben, wenn sie wieder auf
heimatlicher Scholle saßen! Ihre Erzählungen gingen von Mund zu Mund,
von Geschlecht zu Geschlecht. Von Anfang an vielleicht schon übertrieben,
wurden die mündlich fortlebenden Erzählungen im Laufe der Zeit poetisch
immer - mehr ausgeschmückt. Erst Jahrhunderte später, nachdem längst mit dem
Christenthum' der Gebrauch der handlichen lateinischen Schrift an Stelle der
früher üblichen schwerfälligen und nur vereinzelt angewandten Runenschrift ein¬
geführt war, begann man, diese Erzählungen aufzuzeichnen. Für die nieder¬
geschriebene Erzählung aber diente ebenfalls der Name Saga.

Die Sagaliteratur ist also im Ganzen genommen eine historische Literatur.
Die Stoffe zu den älteren Sagas liefern die Geschlechtertraditionen Islands,
die sich nicht auf das oben hervorgehobene beschränken, sondern damit auch die
Kunden aus der alten Heimat oder von der ersten Besiedelung der neuen
Wohnsitze her verbinden. Ebenso behandelte mau darin die Geschichte der ost-
lündischen skandinavischen Fürsten, die der isländischen Bischöfe; man formte
später Heldengedichte in Sagas um, machte sich dann auch an fremdländische,
aus Deutschland oder Frankreich herübergenommene Stoffe, erfand auch Erzäh¬
lungen u. s, w. In dieser historischen Gattung, von der ein gut Theil erhalten
geblieben ist, sind die Isländer Meister; alles, was die übrigen Skandinaven
hierin geleistet haben, steht ihren Schöpfungen an innerem und äußerem
Werthe nach.

Es läßt sich nach den eben gegebenen Auseinandersetzungen wohl annehmen,


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[0206] wenn sie sich die Zeit nicht durch unterhaltende Erzählungen am Heerdfeuer und beim Biere vertrieben hätten. Menschen aber, die zu erzählen ausgiebigen Stoff hatten, gab es genug bei ihnen. Wer irgend so viel Vermögen besaß, daß er sich ein Schiff kaufen oder wenigstens einen Platz als Passagier auf einem solchen miethen konnte, den trieb es ins Ausland. Und man reiste zum Theil weit herum. Nur die Wenigsten begnügten sich, die Faröer und Nor¬ wegen gesehen zu haben. Andere besuchten mindestens Schweden, Dänemark, Großbritannien und die britischen Inseln; wieder Andere wandten sich nach Rußland, Deutschland, Constantinopel, Rom, Frankreich und drüben im Westen nach Grönland und Nordamerika. Einigen schmeichelte es, Hofdichter irgend¬ welches skandinavischen Fürsten zu werden. Andre traten in den Dienst der griechischen Kaiser und bildeten mit anderen Landsleuten zusammen die byzan¬ tinische Kaisergarde, die Wäringer; wiederum Andre erwarben sich in Deutsch¬ land oder Paris gelehrte Bildung. Am meisten aber war es nach dem Sinne der Isländer, auf stürmender See einherzujagen, an den berüchtigten Wikinger¬ raubfahrten theilzunehmen oder, wenn wir den furchtbaren historischen Namen einsetzen wollen, ein Normanne zu werden. Was mochten diese Abenteurer zu erzählen haben, wenn sie wieder auf heimatlicher Scholle saßen! Ihre Erzählungen gingen von Mund zu Mund, von Geschlecht zu Geschlecht. Von Anfang an vielleicht schon übertrieben, wurden die mündlich fortlebenden Erzählungen im Laufe der Zeit poetisch immer - mehr ausgeschmückt. Erst Jahrhunderte später, nachdem längst mit dem Christenthum' der Gebrauch der handlichen lateinischen Schrift an Stelle der früher üblichen schwerfälligen und nur vereinzelt angewandten Runenschrift ein¬ geführt war, begann man, diese Erzählungen aufzuzeichnen. Für die nieder¬ geschriebene Erzählung aber diente ebenfalls der Name Saga. Die Sagaliteratur ist also im Ganzen genommen eine historische Literatur. Die Stoffe zu den älteren Sagas liefern die Geschlechtertraditionen Islands, die sich nicht auf das oben hervorgehobene beschränken, sondern damit auch die Kunden aus der alten Heimat oder von der ersten Besiedelung der neuen Wohnsitze her verbinden. Ebenso behandelte mau darin die Geschichte der ost- lündischen skandinavischen Fürsten, die der isländischen Bischöfe; man formte später Heldengedichte in Sagas um, machte sich dann auch an fremdländische, aus Deutschland oder Frankreich herübergenommene Stoffe, erfand auch Erzäh¬ lungen u. s, w. In dieser historischen Gattung, von der ein gut Theil erhalten geblieben ist, sind die Isländer Meister; alles, was die übrigen Skandinaven hierin geleistet haben, steht ihren Schöpfungen an innerem und äußerem Werthe nach. Es läßt sich nach den eben gegebenen Auseinandersetzungen wohl annehmen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/206>, abgerufen am 22.07.2024.