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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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navischen Großstädte Kopenhagen und Stockholm. Aber auch der stolze, leiden¬
schaftliche waffengeübte Aristokrat, wie er in den alten Schriftwerken Islands
auftritt, und der selbstbewußte, starrsinnige, wortkarge Bauer in Björnsons
Dorfnovellen sind so eigenthümliche Charaktere, wie sie nur die nordische Literatur
schildern konnte.

Die skandinavische Rasse zählt gegenwärtig mehr als 8 Millionen Menschen;
davon fallen über 2 Millionen auf Dänemark (darunter Island mit 60 -- 70
Tausend Einwohnern), über 4 Millionen auf Schweden, 2 Millionen auf Nor¬
wegen. Im Großfürstenthum Finnland, seit 1809 zu Rußland gehörig, aber
mit durchaus selbständiger Verfassung, leben 300000 Schweden (neben 1700000
Finnen). Die einzelnen Stämme find politisch und noch in manchen anderen
Dingen getrennt, bilden aber doch eine Einheit mit bestimmt ausgeprägtem
Charakter und mit dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, und dieser Umstand
giebt sich auch in der Literatur kund. Das Band, das die Leute zunächst zu einem
Ganzen verbindet, ist die Sprache. In der ältesten Zeit mag sie eine einheit¬
liche gewesen sein, am nächsten verwandt der gothischen, wie wir sie im Wesent¬
lichen aus der dem Ulphilas zugeschriebenen, uns zum Theil erhaltenen Bibel¬
übersetzung kennen. Später trennte sie sich in zwei Gruppen, eine östliche und
eine westliche; aus ersterer erwuchs das moderne Dünisch und schwedisch, aus
der anderen das gegenwärtige norwegisch und Neuislündisch, letzteres der alten
Sprache noch so nahe stehend, daß selbst der minder gebildete Isländer die
Schriften des 13. Jahrhunderts ohne alle Schwierigkeit versteht.

Das Dänische wurde seit der Vereinigung Norwegens mit Dänemark, gegen
Ende des 14. Jahrhunderts, auch des ersteren Landes Schriftsprache und ist
dies bis ans die neueste Zeit geblieben, nur daß man in Norwegen seit Anfang
unseres Jahrhunderts sich bestrebt, die gemeinsame dänische Schriftsprache durch
Wörter aus den norwegischen Dialekten zu bereichern. Dänisch-norwegisch und
schwedisch sind sich gegenwärtig enger verwandt, als etwa Hochdeutsch und
Plattdeutsch, so daß der Gebildete der einen Nation die Sprache der anderen
besser versteht, als seine eigeuen Bauerndialekte. Auf das Schwedische aber
ebensowohl wie auf das Dänische hat das Deutsche einen bedeutenden Einfluß
ausgeübt, was sich zunächst in einer großen Zahl von Fremdwörtern zu erkennen
giebt, die aus unserer Sprache hinübergenommen worden sind. Die gleiche Be¬
einflussung hat auch in der Literatur stattgefunden. Es ist dies kein Wunder
bei der Nachbarschaft Deutschlands, bei "der hervorragenden Rolle, welche
Deutschland in der Geschichte der europäischen Geistesentwicklung gespielt hat",
und bei den so mannigfachen stetigen Beziehungen zwischen ihm und dem Norden.
Reformation, Renaissance und Aufklärungsbewegung kamen über oder aus
Deutschland nach dem Norden. Für die Schweden kommt noch der besondere


navischen Großstädte Kopenhagen und Stockholm. Aber auch der stolze, leiden¬
schaftliche waffengeübte Aristokrat, wie er in den alten Schriftwerken Islands
auftritt, und der selbstbewußte, starrsinnige, wortkarge Bauer in Björnsons
Dorfnovellen sind so eigenthümliche Charaktere, wie sie nur die nordische Literatur
schildern konnte.

Die skandinavische Rasse zählt gegenwärtig mehr als 8 Millionen Menschen;
davon fallen über 2 Millionen auf Dänemark (darunter Island mit 60 — 70
Tausend Einwohnern), über 4 Millionen auf Schweden, 2 Millionen auf Nor¬
wegen. Im Großfürstenthum Finnland, seit 1809 zu Rußland gehörig, aber
mit durchaus selbständiger Verfassung, leben 300000 Schweden (neben 1700000
Finnen). Die einzelnen Stämme find politisch und noch in manchen anderen
Dingen getrennt, bilden aber doch eine Einheit mit bestimmt ausgeprägtem
Charakter und mit dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, und dieser Umstand
giebt sich auch in der Literatur kund. Das Band, das die Leute zunächst zu einem
Ganzen verbindet, ist die Sprache. In der ältesten Zeit mag sie eine einheit¬
liche gewesen sein, am nächsten verwandt der gothischen, wie wir sie im Wesent¬
lichen aus der dem Ulphilas zugeschriebenen, uns zum Theil erhaltenen Bibel¬
übersetzung kennen. Später trennte sie sich in zwei Gruppen, eine östliche und
eine westliche; aus ersterer erwuchs das moderne Dünisch und schwedisch, aus
der anderen das gegenwärtige norwegisch und Neuislündisch, letzteres der alten
Sprache noch so nahe stehend, daß selbst der minder gebildete Isländer die
Schriften des 13. Jahrhunderts ohne alle Schwierigkeit versteht.

Das Dänische wurde seit der Vereinigung Norwegens mit Dänemark, gegen
Ende des 14. Jahrhunderts, auch des ersteren Landes Schriftsprache und ist
dies bis ans die neueste Zeit geblieben, nur daß man in Norwegen seit Anfang
unseres Jahrhunderts sich bestrebt, die gemeinsame dänische Schriftsprache durch
Wörter aus den norwegischen Dialekten zu bereichern. Dänisch-norwegisch und
schwedisch sind sich gegenwärtig enger verwandt, als etwa Hochdeutsch und
Plattdeutsch, so daß der Gebildete der einen Nation die Sprache der anderen
besser versteht, als seine eigeuen Bauerndialekte. Auf das Schwedische aber
ebensowohl wie auf das Dänische hat das Deutsche einen bedeutenden Einfluß
ausgeübt, was sich zunächst in einer großen Zahl von Fremdwörtern zu erkennen
giebt, die aus unserer Sprache hinübergenommen worden sind. Die gleiche Be¬
einflussung hat auch in der Literatur stattgefunden. Es ist dies kein Wunder
bei der Nachbarschaft Deutschlands, bei „der hervorragenden Rolle, welche
Deutschland in der Geschichte der europäischen Geistesentwicklung gespielt hat",
und bei den so mannigfachen stetigen Beziehungen zwischen ihm und dem Norden.
Reformation, Renaissance und Aufklärungsbewegung kamen über oder aus
Deutschland nach dem Norden. Für die Schweden kommt noch der besondere


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[0201] navischen Großstädte Kopenhagen und Stockholm. Aber auch der stolze, leiden¬ schaftliche waffengeübte Aristokrat, wie er in den alten Schriftwerken Islands auftritt, und der selbstbewußte, starrsinnige, wortkarge Bauer in Björnsons Dorfnovellen sind so eigenthümliche Charaktere, wie sie nur die nordische Literatur schildern konnte. Die skandinavische Rasse zählt gegenwärtig mehr als 8 Millionen Menschen; davon fallen über 2 Millionen auf Dänemark (darunter Island mit 60 — 70 Tausend Einwohnern), über 4 Millionen auf Schweden, 2 Millionen auf Nor¬ wegen. Im Großfürstenthum Finnland, seit 1809 zu Rußland gehörig, aber mit durchaus selbständiger Verfassung, leben 300000 Schweden (neben 1700000 Finnen). Die einzelnen Stämme find politisch und noch in manchen anderen Dingen getrennt, bilden aber doch eine Einheit mit bestimmt ausgeprägtem Charakter und mit dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, und dieser Umstand giebt sich auch in der Literatur kund. Das Band, das die Leute zunächst zu einem Ganzen verbindet, ist die Sprache. In der ältesten Zeit mag sie eine einheit¬ liche gewesen sein, am nächsten verwandt der gothischen, wie wir sie im Wesent¬ lichen aus der dem Ulphilas zugeschriebenen, uns zum Theil erhaltenen Bibel¬ übersetzung kennen. Später trennte sie sich in zwei Gruppen, eine östliche und eine westliche; aus ersterer erwuchs das moderne Dünisch und schwedisch, aus der anderen das gegenwärtige norwegisch und Neuislündisch, letzteres der alten Sprache noch so nahe stehend, daß selbst der minder gebildete Isländer die Schriften des 13. Jahrhunderts ohne alle Schwierigkeit versteht. Das Dänische wurde seit der Vereinigung Norwegens mit Dänemark, gegen Ende des 14. Jahrhunderts, auch des ersteren Landes Schriftsprache und ist dies bis ans die neueste Zeit geblieben, nur daß man in Norwegen seit Anfang unseres Jahrhunderts sich bestrebt, die gemeinsame dänische Schriftsprache durch Wörter aus den norwegischen Dialekten zu bereichern. Dänisch-norwegisch und schwedisch sind sich gegenwärtig enger verwandt, als etwa Hochdeutsch und Plattdeutsch, so daß der Gebildete der einen Nation die Sprache der anderen besser versteht, als seine eigeuen Bauerndialekte. Auf das Schwedische aber ebensowohl wie auf das Dänische hat das Deutsche einen bedeutenden Einfluß ausgeübt, was sich zunächst in einer großen Zahl von Fremdwörtern zu erkennen giebt, die aus unserer Sprache hinübergenommen worden sind. Die gleiche Be¬ einflussung hat auch in der Literatur stattgefunden. Es ist dies kein Wunder bei der Nachbarschaft Deutschlands, bei „der hervorragenden Rolle, welche Deutschland in der Geschichte der europäischen Geistesentwicklung gespielt hat", und bei den so mannigfachen stetigen Beziehungen zwischen ihm und dem Norden. Reformation, Renaissance und Aufklärungsbewegung kamen über oder aus Deutschland nach dem Norden. Für die Schweden kommt noch der besondere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/201>, abgerufen am 22.07.2024.