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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Umbildung ihres Wesens, auch wirkten sie wie ihr Meister lediglich anregend; denn
es fehlte ihnen an Klarheit des Wollens und Ursprünglichkeit des Schaffens. Immerhin
aber waren sie besser als die frivole, lüderliche Geistmacher-Gesellschaft, die sich ans
den Salons der Berliner Judenschaft nach Mendelssohns Tode bildete, und in der
neben den Töchtern dieses "dritten Moses" die Herz und Rahel Levin die Hauptrollen
spielten. Man stand hier mit jüdischer Eitelkeit täglich stundenlang geistig vor dem
Spiegel, um mit jüdischer Spitzfindigkeit sich selbst zu analysiren und dann zu be¬
wundern, man bemühte sich hysterisch, Empfindungen zu bekommen, um sie nieder¬
schreiben zu können. Kurz, es wurde unnatürlich viel Geist gemacht und daneben dem
Fleische überreichlich sein Recht gelassen, so daß man rasch vollständiger sittlicher Halt¬
losigkeit verfiel, die dann mit dem anderen Unfug von Juden und Judengenossen in
die deutsche Welt hinausgetragen wurde und hier zuletzt, mit französischen Einflüssen
sich mischend, zu der widerwärtigen Erscheinung sich gestaltete, welche man, Wie
"Anis a vÄnenclo das "Junge Deutschland" nannte.

Einen tiefergehenden Einfluß nämlich als Mendelssohn und seine Freunde und
Schüler haben die Ideen, von denen die erste französische Revolution hervorgerufen
und getragen wurde, und welche sich in den Ereignissen und Folgen der zweiten
in schwächerem Maße wieder geltend machten, auf die deutscheu Juden gehabt.*)
Rousseau, der Schwärmer für das allgemeine gleiche Recht der Menschen, der Ver¬
fechter der Toleranz, und die Encyklopädisten machten einen sehr bedeutenden Eindruck
auf dieselben. Hunderte von jungen Leuten jüdischer Nationalität lernten aus dem
Lans und dem vonti-at soels.1 das Französische, wie sie aus Mendelssohns Schriften
das Deutsche gelernt hatten, und die Ideen, die sie aus jenen Werken in sich ver¬
pflanzten, wurzelten bei ihnen fest. Voltaire war allerdings nichts weniger als
ein Freund der Kinder Israel, aber für den beißenden Witz, mit dem er verschiedene
Zeiterscheinungen geißelte, sand sich nirgends ein besseres Verständniß als unter den
Juden, und sein trivialer Spott über das Christenthum gewährte ihnen, verwandt
mit dem altrabbinischen, wie er war, eine berauschende Genugthuung. Ferner sprachen
Voltaire und die Encyklopädisten den jüdischen Geist besonders durch die Verstandes¬
schärfe und die schneidende Kritik an, mit der sie ihren Ideen Bahn brachen. Wie
die Juden für die Menschenrechte, die Gleichheit, die Duldung, die Alleinherrschaft
der Vernunft empfänglich waren und diese Ziele sich rasch zu eigen machten, da sie
deren Nutzen für das Judenvolk erkannten, so begrüßten sie auch die Verwirklichung
dieser Postulate in der Revolution von 1789 mit Begeisterung. Die Gleichstellung
der Juden mit ihren christlichen Nachbarn, die in Frankreich erfolgt war, konnte
jetzt auch in Deutschland mit Aussicht auf Erfolg von ihnen erstrebt werden, zumal
ihnen hier schon ein Theil der höheren Gesellschaft den Zutritt zu sich gewährt hatte.

So bemächtigte sich der deutschen Juden "ein unruhiges Drängen nach öffentlicher



*) Wir folgen hier und auf den nächsten drei Seiten einer Abhandlung im 10. Bande
der Brockhaus'schen "Gegenwart" S. 626 bis 603, ohne uns der Tendenz derselben durchweg
anzuschließen,

Umbildung ihres Wesens, auch wirkten sie wie ihr Meister lediglich anregend; denn
es fehlte ihnen an Klarheit des Wollens und Ursprünglichkeit des Schaffens. Immerhin
aber waren sie besser als die frivole, lüderliche Geistmacher-Gesellschaft, die sich ans
den Salons der Berliner Judenschaft nach Mendelssohns Tode bildete, und in der
neben den Töchtern dieses „dritten Moses" die Herz und Rahel Levin die Hauptrollen
spielten. Man stand hier mit jüdischer Eitelkeit täglich stundenlang geistig vor dem
Spiegel, um mit jüdischer Spitzfindigkeit sich selbst zu analysiren und dann zu be¬
wundern, man bemühte sich hysterisch, Empfindungen zu bekommen, um sie nieder¬
schreiben zu können. Kurz, es wurde unnatürlich viel Geist gemacht und daneben dem
Fleische überreichlich sein Recht gelassen, so daß man rasch vollständiger sittlicher Halt¬
losigkeit verfiel, die dann mit dem anderen Unfug von Juden und Judengenossen in
die deutsche Welt hinausgetragen wurde und hier zuletzt, mit französischen Einflüssen
sich mischend, zu der widerwärtigen Erscheinung sich gestaltete, welche man, Wie
«Anis a vÄnenclo das „Junge Deutschland" nannte.

Einen tiefergehenden Einfluß nämlich als Mendelssohn und seine Freunde und
Schüler haben die Ideen, von denen die erste französische Revolution hervorgerufen
und getragen wurde, und welche sich in den Ereignissen und Folgen der zweiten
in schwächerem Maße wieder geltend machten, auf die deutscheu Juden gehabt.*)
Rousseau, der Schwärmer für das allgemeine gleiche Recht der Menschen, der Ver¬
fechter der Toleranz, und die Encyklopädisten machten einen sehr bedeutenden Eindruck
auf dieselben. Hunderte von jungen Leuten jüdischer Nationalität lernten aus dem
Lans und dem vonti-at soels.1 das Französische, wie sie aus Mendelssohns Schriften
das Deutsche gelernt hatten, und die Ideen, die sie aus jenen Werken in sich ver¬
pflanzten, wurzelten bei ihnen fest. Voltaire war allerdings nichts weniger als
ein Freund der Kinder Israel, aber für den beißenden Witz, mit dem er verschiedene
Zeiterscheinungen geißelte, sand sich nirgends ein besseres Verständniß als unter den
Juden, und sein trivialer Spott über das Christenthum gewährte ihnen, verwandt
mit dem altrabbinischen, wie er war, eine berauschende Genugthuung. Ferner sprachen
Voltaire und die Encyklopädisten den jüdischen Geist besonders durch die Verstandes¬
schärfe und die schneidende Kritik an, mit der sie ihren Ideen Bahn brachen. Wie
die Juden für die Menschenrechte, die Gleichheit, die Duldung, die Alleinherrschaft
der Vernunft empfänglich waren und diese Ziele sich rasch zu eigen machten, da sie
deren Nutzen für das Judenvolk erkannten, so begrüßten sie auch die Verwirklichung
dieser Postulate in der Revolution von 1789 mit Begeisterung. Die Gleichstellung
der Juden mit ihren christlichen Nachbarn, die in Frankreich erfolgt war, konnte
jetzt auch in Deutschland mit Aussicht auf Erfolg von ihnen erstrebt werden, zumal
ihnen hier schon ein Theil der höheren Gesellschaft den Zutritt zu sich gewährt hatte.

So bemächtigte sich der deutschen Juden „ein unruhiges Drängen nach öffentlicher



*) Wir folgen hier und auf den nächsten drei Seiten einer Abhandlung im 10. Bande
der Brockhaus'schen „Gegenwart" S. 626 bis 603, ohne uns der Tendenz derselben durchweg
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/184>, abgerufen am 28.09.2024.