Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.was thut und leidet ein Jude nicht für das liebe Geld! "Welche Pein," ruft unser Der bei letztgenanntem Acte benutzte Schuh ist eine Sandale mit Riemen. Wie der Talmud seine Verehrer im Leben mit tausend Dingen umschränkt was thut und leidet ein Jude nicht für das liebe Geld! „Welche Pein," ruft unser Der bei letztgenanntem Acte benutzte Schuh ist eine Sandale mit Riemen. Wie der Talmud seine Verehrer im Leben mit tausend Dingen umschränkt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146671"/> <p xml:id="ID_482" prev="#ID_481"> was thut und leidet ein Jude nicht für das liebe Geld! „Welche Pein," ruft unser<lb/> Berichterstatter naiv aus, „wenn der, welcher die heirathslustige Wittib erlösen<lb/> kann, noch ein unmündiges Kind oder gar ein Säugling ist! In Wittwentrauer<lb/> muß sie sich hüllen und ihre Heirathslust unterdrücken, bis der Knabe untrügliche<lb/> Zeichen der Männlichkeit an sich trägt." Indeß weiß man auch hier in charak¬<lb/> teristischer Weise Nath und Hilfe gegen das harte Gesetz, indem, wenn ein Mann<lb/> an einer tödtlichen Krankheit darnieder liegt und dem Sterben nahe ist, die Ver¬<lb/> wandten ihm zureden, sich durch eine Scheinscheidung (Tnaj Gek) von seiner Frau<lb/> zu trennen, so daß nach seinem Tode die Chalize nicht nöthig ist. Ein Sterbebett<lb/> und eine schon wieder an einen zukünftigen Beglücker denkende Frau davor! Ein<lb/> Gesetz, das eine solche Herzlosigkeit verkörpert und sanctionirt — wie gefällt dieses<lb/> Stück Judenthum dem Leser?</p><lb/> <p xml:id="ID_483"> Der bei letztgenanntem Acte benutzte Schuh ist eine Sandale mit Riemen.<lb/> „Zu dem aus drei Personen bestehenden Schiedsgerichte (Bestim) werden noch zwei<lb/> Beisitzer hinzugezogen, und außerdem müssen zwei Zeugen gegenwärtig sein. Der<lb/> Vorsitzende fordert die Anwesenden zur Buße auf und lehrt der Wittwe und ihrem<lb/> Schwager die Worte, welche sie herzusagen haben. Der Gerichtsdiener wäscht<lb/> letzterem säuberlich den rechten, in gewissen Fällen auch den linken Fuß und be¬<lb/> schneidet ihm die Nägel, Die Frau hat an diesem Tage gefastet und sich des<lb/> Spuckens enthalten. Nach dem Volksglauben gilt die Ceremonie für unheilbringend,<lb/> und eilends ficht man nach Vollzug derselben die Beiden hinausstürmen und auf<lb/> ein Gewässer zulaufen; denn wer ein solches zuerst erblickt, von dem ist der Fluch<lb/> gewichen. In manchen Gegenden wird die Todtenbcihre hineingetragen, damit der<lb/> Gestorbenen die Betheiligten umschwebe."</p><lb/> <p xml:id="ID_484" next="#ID_485"> Wie der Talmud seine Verehrer im Leben mit tausend Dingen umschränkt<lb/> und quält, so läßt er sie auch nicht in Ruhe sterben. Liegt der polnische Jude in<lb/> den letzten Zügen, so giebt man ihm zu verstehen, daß es für ihn Zeit sei, an<lb/> sein Seelenheil zu denken und das große sowie das kleine Sündenbekenntniß zu<lb/> sprechen. Nähert sich ihm der letzte Augenblick, so beeifert sich die „heilige Brüder¬<lb/> schaft" (Chewre Kadische), welche die Beerdigungsfeierlichkeiten besorgt, ein „Mirjam",<lb/> d. h., wie wir sahen, eine aus zehn erwachsenen männlichen Personen bestehende<lb/> gottesdienstliche Versammlung, um ihn zu bilden, dessen Mitglieder gespannt auf<lb/> den Athem des Sterbenden achten und bei jedem Stocken desselben das jüdische<lb/> Glaubensbekenntniß: „Schemo, Jisroel, Adonai elanhenu elauhim echod", d. h.:<lb/> „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Gott" schreien müssen, damit<lb/> die Seele womöglich mit dem Worte „echod" den Körper verlasse. Es kommt vor,<lb/> daß bei einem solchen „Aufwarten der Seele", wenn der Athem sich bei dem Ster¬<lb/> benden wieder und immer wieder einstellt, das „Schemo Jisroel" zwanzig, ja dreißig<lb/> Mal im Chor geschrieen wird. Ist der Unglückliche endlich durch den Tod dieser<lb/> Qual entrückt, so wird er so rasch als möglich, gewöhnlich schon nach einigen<lb/> Stunden, begraben. Vorher gießt man im Hause, wo er gestorben, und in dessen<lb/> unmittelbarer Nachbarschaft alles Wasser aus, weil der Todesengel sein Schwert</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0166]
was thut und leidet ein Jude nicht für das liebe Geld! „Welche Pein," ruft unser
Berichterstatter naiv aus, „wenn der, welcher die heirathslustige Wittib erlösen
kann, noch ein unmündiges Kind oder gar ein Säugling ist! In Wittwentrauer
muß sie sich hüllen und ihre Heirathslust unterdrücken, bis der Knabe untrügliche
Zeichen der Männlichkeit an sich trägt." Indeß weiß man auch hier in charak¬
teristischer Weise Nath und Hilfe gegen das harte Gesetz, indem, wenn ein Mann
an einer tödtlichen Krankheit darnieder liegt und dem Sterben nahe ist, die Ver¬
wandten ihm zureden, sich durch eine Scheinscheidung (Tnaj Gek) von seiner Frau
zu trennen, so daß nach seinem Tode die Chalize nicht nöthig ist. Ein Sterbebett
und eine schon wieder an einen zukünftigen Beglücker denkende Frau davor! Ein
Gesetz, das eine solche Herzlosigkeit verkörpert und sanctionirt — wie gefällt dieses
Stück Judenthum dem Leser?
Der bei letztgenanntem Acte benutzte Schuh ist eine Sandale mit Riemen.
„Zu dem aus drei Personen bestehenden Schiedsgerichte (Bestim) werden noch zwei
Beisitzer hinzugezogen, und außerdem müssen zwei Zeugen gegenwärtig sein. Der
Vorsitzende fordert die Anwesenden zur Buße auf und lehrt der Wittwe und ihrem
Schwager die Worte, welche sie herzusagen haben. Der Gerichtsdiener wäscht
letzterem säuberlich den rechten, in gewissen Fällen auch den linken Fuß und be¬
schneidet ihm die Nägel, Die Frau hat an diesem Tage gefastet und sich des
Spuckens enthalten. Nach dem Volksglauben gilt die Ceremonie für unheilbringend,
und eilends ficht man nach Vollzug derselben die Beiden hinausstürmen und auf
ein Gewässer zulaufen; denn wer ein solches zuerst erblickt, von dem ist der Fluch
gewichen. In manchen Gegenden wird die Todtenbcihre hineingetragen, damit der
Gestorbenen die Betheiligten umschwebe."
Wie der Talmud seine Verehrer im Leben mit tausend Dingen umschränkt
und quält, so läßt er sie auch nicht in Ruhe sterben. Liegt der polnische Jude in
den letzten Zügen, so giebt man ihm zu verstehen, daß es für ihn Zeit sei, an
sein Seelenheil zu denken und das große sowie das kleine Sündenbekenntniß zu
sprechen. Nähert sich ihm der letzte Augenblick, so beeifert sich die „heilige Brüder¬
schaft" (Chewre Kadische), welche die Beerdigungsfeierlichkeiten besorgt, ein „Mirjam",
d. h., wie wir sahen, eine aus zehn erwachsenen männlichen Personen bestehende
gottesdienstliche Versammlung, um ihn zu bilden, dessen Mitglieder gespannt auf
den Athem des Sterbenden achten und bei jedem Stocken desselben das jüdische
Glaubensbekenntniß: „Schemo, Jisroel, Adonai elanhenu elauhim echod", d. h.:
„Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Gott" schreien müssen, damit
die Seele womöglich mit dem Worte „echod" den Körper verlasse. Es kommt vor,
daß bei einem solchen „Aufwarten der Seele", wenn der Athem sich bei dem Ster¬
benden wieder und immer wieder einstellt, das „Schemo Jisroel" zwanzig, ja dreißig
Mal im Chor geschrieen wird. Ist der Unglückliche endlich durch den Tod dieser
Qual entrückt, so wird er so rasch als möglich, gewöhnlich schon nach einigen
Stunden, begraben. Vorher gießt man im Hause, wo er gestorben, und in dessen
unmittelbarer Nachbarschaft alles Wasser aus, weil der Todesengel sein Schwert
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