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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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consequent ist. Denn, wie im vorigen Abschnitt bemerkt wurde, soll er am
Schabbes außer seinen Kleidern überhaupt nichts tragen, weder Stock, noch Schirm,
noch Uhr, noch Messer, nicht einmal ein Taschentuch, er müßte es denn um den
Leib geschlungen haben, "wo es ein Gürtel ist", also zu den Kleidungsstücken ge¬
hört. Endlich darf der vollkommene und gerechte Talmudjude am Sabbath auch
keine Reise unternehmen, ja schon ein weiter Spaziergang ist ihm durch die Rabbinen
verwehrt. Wie weit er überhaupt promeniren darf, ohne seinem in solchen Dingen
äußerst wachsamen und strengen Gewissen Anstoß zu geben, giebt ihm der Talmud
genau an: er darf zweitausend Schritte weit gehen, und damit er sich nicht ver¬
sehe, ist an jedem Thore der von Juden bewohnten Orte -- wo die Obrigkeit
dies duldet -- in Gestalt einer Stange eine sogenannte Schabbesgrenze (Erco)
angebracht.

Indeß hat der Scharfsinn der Rabbinen, der einen gewissen jesuitischen Bei¬
geschmack nicht verleugnen kann, wie bei anderen Verboten, Wege entdeckt, auf
denen man diese Vorschriften umgehen kann, und andere derartige Wege hat das
Volk, durch Beschäftigung mit jenem Scharfsinn übrigens auch in der Umgehung
staatlicher Gesetze geübt, selbst aufgefunden. Die Fabriken der Juden müssen am
Schabbes still stehen. Sie können aber dann mit denen der Gojim nicht con¬
curriren, und so überläßt man sie einstweilen mittelst Scheinverkauf auf vierund¬
zwanzig Stunden Andersgläubigen zum Betrieb. Die polnischen Juden sollen am
Schabbes den Ofen nicht heizen. Dann würden sie aber im Winter frieren, und
so heizt ihnen eine christliche "Schabbesfrau" für ein Stück Schabbesstriezel oder
ein Glas Branntwein die Stube. Man darf vom Freitag bis zum Samstagabend
nicht kochen, muß aber essen, und so kocht man am Freitage für den Sonnabend
und ißt dann entweder' kalt oder läßt sich das Gericht in einem wohlverwahrten
und mit Kreide bezeichneten Topfe im Backofen des christlichen Bäckers warm stellen.
Dieses Gericht wird "Schalent" genannt, besteht hauptsächlich aus einer Art von
Klößen mit pikanter Brühe und muß, dem Bericht Wieners zufolge, "nach dem
Talmud mit dem köstlichen Gewürz,Schaffes< bereitet werden, das einen Vor-
schmack von dem den Seligen dereinst zu Theil werdenden Leviathan giebt". Der
strenggläubige Jsraelit soll endlich am Sabbath nicht weiter als zweitausend Schritte
von seinem Hause gehen. Wenn es aber nun unbedingt nöthig ist, diese Grenze
zu überschreiten? Dann verfüge er sich, rathen seine Weisen, am Freitage bis zu
der Stelle, wo die zweitausend Schritte endigen, lege dort eine Semmel oder ein
Stück Brod hin (was man "Tchum Schabbes" nennt), und siehe da, diese Stelle
wird vor dem Gesetz wie seine Wohnung anzusehen sein, so daß er von da zwei¬
tausend Schritte weiter wandern kann.

Erscheint der Neumond am Himmel, so wird er von den Talmudjuden mit
dem "Kidusch halwonon" begrüßt. Sie sammeln sich auf der Straße in Haufen,
hüpfen dreimal nach der dünnen Sichel empor und sprechen: "Wie ich jetzt nach
dir emporspringe und dich doch nicht berühren kann, so sollen auch meine Wider¬
sacher mich nicht berühren können." Dann sagen sie, ebenfalls dreimal: "Angst


consequent ist. Denn, wie im vorigen Abschnitt bemerkt wurde, soll er am
Schabbes außer seinen Kleidern überhaupt nichts tragen, weder Stock, noch Schirm,
noch Uhr, noch Messer, nicht einmal ein Taschentuch, er müßte es denn um den
Leib geschlungen haben, „wo es ein Gürtel ist", also zu den Kleidungsstücken ge¬
hört. Endlich darf der vollkommene und gerechte Talmudjude am Sabbath auch
keine Reise unternehmen, ja schon ein weiter Spaziergang ist ihm durch die Rabbinen
verwehrt. Wie weit er überhaupt promeniren darf, ohne seinem in solchen Dingen
äußerst wachsamen und strengen Gewissen Anstoß zu geben, giebt ihm der Talmud
genau an: er darf zweitausend Schritte weit gehen, und damit er sich nicht ver¬
sehe, ist an jedem Thore der von Juden bewohnten Orte — wo die Obrigkeit
dies duldet — in Gestalt einer Stange eine sogenannte Schabbesgrenze (Erco)
angebracht.

Indeß hat der Scharfsinn der Rabbinen, der einen gewissen jesuitischen Bei¬
geschmack nicht verleugnen kann, wie bei anderen Verboten, Wege entdeckt, auf
denen man diese Vorschriften umgehen kann, und andere derartige Wege hat das
Volk, durch Beschäftigung mit jenem Scharfsinn übrigens auch in der Umgehung
staatlicher Gesetze geübt, selbst aufgefunden. Die Fabriken der Juden müssen am
Schabbes still stehen. Sie können aber dann mit denen der Gojim nicht con¬
curriren, und so überläßt man sie einstweilen mittelst Scheinverkauf auf vierund¬
zwanzig Stunden Andersgläubigen zum Betrieb. Die polnischen Juden sollen am
Schabbes den Ofen nicht heizen. Dann würden sie aber im Winter frieren, und
so heizt ihnen eine christliche „Schabbesfrau" für ein Stück Schabbesstriezel oder
ein Glas Branntwein die Stube. Man darf vom Freitag bis zum Samstagabend
nicht kochen, muß aber essen, und so kocht man am Freitage für den Sonnabend
und ißt dann entweder' kalt oder läßt sich das Gericht in einem wohlverwahrten
und mit Kreide bezeichneten Topfe im Backofen des christlichen Bäckers warm stellen.
Dieses Gericht wird „Schalent" genannt, besteht hauptsächlich aus einer Art von
Klößen mit pikanter Brühe und muß, dem Bericht Wieners zufolge, „nach dem
Talmud mit dem köstlichen Gewürz,Schaffes< bereitet werden, das einen Vor-
schmack von dem den Seligen dereinst zu Theil werdenden Leviathan giebt". Der
strenggläubige Jsraelit soll endlich am Sabbath nicht weiter als zweitausend Schritte
von seinem Hause gehen. Wenn es aber nun unbedingt nöthig ist, diese Grenze
zu überschreiten? Dann verfüge er sich, rathen seine Weisen, am Freitage bis zu
der Stelle, wo die zweitausend Schritte endigen, lege dort eine Semmel oder ein
Stück Brod hin (was man „Tchum Schabbes" nennt), und siehe da, diese Stelle
wird vor dem Gesetz wie seine Wohnung anzusehen sein, so daß er von da zwei¬
tausend Schritte weiter wandern kann.

Erscheint der Neumond am Himmel, so wird er von den Talmudjuden mit
dem „Kidusch halwonon" begrüßt. Sie sammeln sich auf der Straße in Haufen,
hüpfen dreimal nach der dünnen Sichel empor und sprechen: „Wie ich jetzt nach
dir emporspringe und dich doch nicht berühren kann, so sollen auch meine Wider¬
sacher mich nicht berühren können." Dann sagen sie, ebenfalls dreimal: „Angst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/160>, abgerufen am 22.07.2024.