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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Armen gemüthlich schläft. Der Bursche daneben dreht in seiner Angst die Hut-
krämpe zwischen den Händen herum; er ist bereits im Stadium völliger Zer-
knirschtheit, wo der Donner des Sittenrichters nur noch dumpf an sein Ohr
schallt. Freude an dieser Abstrafung empfindet nur die Pfarrers Köchin, welche
hämisch lachend durch die Thür blickt. Das "Brautexamen" bildet ein weniger
ungemüthliches Pendant dazu.

Das reifste und zugleich ergreifendste dieser Tendenzbilder hat einen histo¬
rischen Hintergrund; es schildert den "Auszug der protestantischen Zillerthaler
aus ihrer Heimat im Jahre 1837." Die armen Opfer einer in unserem Jahr¬
hundert ohne Seitenstück dastehenden Intoleranz sind auf ihrem schweren Wege
auf einem Bergvorsprunge angelangt, von welchem sie den letzten Scheideblick
auf das geliebte Thal werfen. Auch Matthias Schmid weiß einen stattlichen
Reichthum von Typen zu entfalten. Er sieht trotz seiner herben Lebenserfah¬
rungen, trotz seines unerschrockenen, kampferfüllten Sinnes seine Tiroler Lands¬
leute, Männer, Frauen und Mädchen, in einem noch schöneren, noch poesievolleren
Lichte als Defregger. Es soll damit nicht gesagt sein, daß er von der Wahr¬
heit abweicht, daß er idealisirt. Er ist eben nur ein begeisterter Freund der
Schönheit, eine milde, weichherzige Natur, der alles Eckige, Widerhaarige, Kno¬
tige und Unschöne fatal ist. Selbst seine alten Weiber find noch durch einen
Strahl von Anmuth verklärt. So ist selbst das Zillerthalerbild, das doch eigent¬
lich ein energischer Protest gegen pfäffische Unduldsamkeit sein soll, mehr elegisch
als polemisch, und selbst der Polizist, welcher den Auszug der Unglücklichen zu
überwachen hat, bleibt gegen den allgemeinen Jammer nicht gefühllos. Elegi¬
scher Natur ist aber auch die zweite Classe der Sebaldschen Bilder, welche
Mann und Weib bei mühevoller, gefährlicher Arbeit schildern, wie der "Karren-
zieher", die "Schmuggler" und die trefflichen Zeichnungen für Hermann v. Schmids
"Unser Vaterland in Wort und Bild": Die Wildheuerinnen, der Enzianwurzel¬
gräber, die Edelweißsucherinnen u. a. in.

Schmids Zeichnung erreicht in der Energie und in der plastischen Kraft
der Modellirung nicht diejenige Defreggers, wo sich letztere auf ihrer Höhe be¬
findet. Aber fein Colorit ist zarter, harmonischer, und die Gesammtwirkung
seiner Bilder darum immer erfreulicher und gleichmäßiger.

Alois Gahl, der dritte im Bunde, ergänzt die beiden anderen insofern,
als er weitaus nervöser, lebhafter, dramatischer ist als sie. Auch er ist aus der
Einsamkeit eines Gebirgsthales hervorgegangen, aus dem Pitzthale, welches bei
Imst in das Oberinnthal mündet. Hier wurde er 1845 im Dorfe Wiesen ge¬
boren. Ein Onkel, der Maler in Imst war, erzog ihn für den geistlichen Stand,
um den mit Kindern überreich gesegneten Vater zu entlasten. Aber der Knabe
stimmte diesem Erziehungsplane nicht bei. Er wollte wie der Onkel Maler


Prcnzboten II. 1S80. 20

Armen gemüthlich schläft. Der Bursche daneben dreht in seiner Angst die Hut-
krämpe zwischen den Händen herum; er ist bereits im Stadium völliger Zer-
knirschtheit, wo der Donner des Sittenrichters nur noch dumpf an sein Ohr
schallt. Freude an dieser Abstrafung empfindet nur die Pfarrers Köchin, welche
hämisch lachend durch die Thür blickt. Das „Brautexamen" bildet ein weniger
ungemüthliches Pendant dazu.

Das reifste und zugleich ergreifendste dieser Tendenzbilder hat einen histo¬
rischen Hintergrund; es schildert den „Auszug der protestantischen Zillerthaler
aus ihrer Heimat im Jahre 1837." Die armen Opfer einer in unserem Jahr¬
hundert ohne Seitenstück dastehenden Intoleranz sind auf ihrem schweren Wege
auf einem Bergvorsprunge angelangt, von welchem sie den letzten Scheideblick
auf das geliebte Thal werfen. Auch Matthias Schmid weiß einen stattlichen
Reichthum von Typen zu entfalten. Er sieht trotz seiner herben Lebenserfah¬
rungen, trotz seines unerschrockenen, kampferfüllten Sinnes seine Tiroler Lands¬
leute, Männer, Frauen und Mädchen, in einem noch schöneren, noch poesievolleren
Lichte als Defregger. Es soll damit nicht gesagt sein, daß er von der Wahr¬
heit abweicht, daß er idealisirt. Er ist eben nur ein begeisterter Freund der
Schönheit, eine milde, weichherzige Natur, der alles Eckige, Widerhaarige, Kno¬
tige und Unschöne fatal ist. Selbst seine alten Weiber find noch durch einen
Strahl von Anmuth verklärt. So ist selbst das Zillerthalerbild, das doch eigent¬
lich ein energischer Protest gegen pfäffische Unduldsamkeit sein soll, mehr elegisch
als polemisch, und selbst der Polizist, welcher den Auszug der Unglücklichen zu
überwachen hat, bleibt gegen den allgemeinen Jammer nicht gefühllos. Elegi¬
scher Natur ist aber auch die zweite Classe der Sebaldschen Bilder, welche
Mann und Weib bei mühevoller, gefährlicher Arbeit schildern, wie der „Karren-
zieher", die „Schmuggler" und die trefflichen Zeichnungen für Hermann v. Schmids
"Unser Vaterland in Wort und Bild": Die Wildheuerinnen, der Enzianwurzel¬
gräber, die Edelweißsucherinnen u. a. in.

Schmids Zeichnung erreicht in der Energie und in der plastischen Kraft
der Modellirung nicht diejenige Defreggers, wo sich letztere auf ihrer Höhe be¬
findet. Aber fein Colorit ist zarter, harmonischer, und die Gesammtwirkung
seiner Bilder darum immer erfreulicher und gleichmäßiger.

Alois Gahl, der dritte im Bunde, ergänzt die beiden anderen insofern,
als er weitaus nervöser, lebhafter, dramatischer ist als sie. Auch er ist aus der
Einsamkeit eines Gebirgsthales hervorgegangen, aus dem Pitzthale, welches bei
Imst in das Oberinnthal mündet. Hier wurde er 1845 im Dorfe Wiesen ge¬
boren. Ein Onkel, der Maler in Imst war, erzog ihn für den geistlichen Stand,
um den mit Kindern überreich gesegneten Vater zu entlasten. Aber der Knabe
stimmte diesem Erziehungsplane nicht bei. Er wollte wie der Onkel Maler


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[0157] Armen gemüthlich schläft. Der Bursche daneben dreht in seiner Angst die Hut- krämpe zwischen den Händen herum; er ist bereits im Stadium völliger Zer- knirschtheit, wo der Donner des Sittenrichters nur noch dumpf an sein Ohr schallt. Freude an dieser Abstrafung empfindet nur die Pfarrers Köchin, welche hämisch lachend durch die Thür blickt. Das „Brautexamen" bildet ein weniger ungemüthliches Pendant dazu. Das reifste und zugleich ergreifendste dieser Tendenzbilder hat einen histo¬ rischen Hintergrund; es schildert den „Auszug der protestantischen Zillerthaler aus ihrer Heimat im Jahre 1837." Die armen Opfer einer in unserem Jahr¬ hundert ohne Seitenstück dastehenden Intoleranz sind auf ihrem schweren Wege auf einem Bergvorsprunge angelangt, von welchem sie den letzten Scheideblick auf das geliebte Thal werfen. Auch Matthias Schmid weiß einen stattlichen Reichthum von Typen zu entfalten. Er sieht trotz seiner herben Lebenserfah¬ rungen, trotz seines unerschrockenen, kampferfüllten Sinnes seine Tiroler Lands¬ leute, Männer, Frauen und Mädchen, in einem noch schöneren, noch poesievolleren Lichte als Defregger. Es soll damit nicht gesagt sein, daß er von der Wahr¬ heit abweicht, daß er idealisirt. Er ist eben nur ein begeisterter Freund der Schönheit, eine milde, weichherzige Natur, der alles Eckige, Widerhaarige, Kno¬ tige und Unschöne fatal ist. Selbst seine alten Weiber find noch durch einen Strahl von Anmuth verklärt. So ist selbst das Zillerthalerbild, das doch eigent¬ lich ein energischer Protest gegen pfäffische Unduldsamkeit sein soll, mehr elegisch als polemisch, und selbst der Polizist, welcher den Auszug der Unglücklichen zu überwachen hat, bleibt gegen den allgemeinen Jammer nicht gefühllos. Elegi¬ scher Natur ist aber auch die zweite Classe der Sebaldschen Bilder, welche Mann und Weib bei mühevoller, gefährlicher Arbeit schildern, wie der „Karren- zieher", die „Schmuggler" und die trefflichen Zeichnungen für Hermann v. Schmids "Unser Vaterland in Wort und Bild": Die Wildheuerinnen, der Enzianwurzel¬ gräber, die Edelweißsucherinnen u. a. in. Schmids Zeichnung erreicht in der Energie und in der plastischen Kraft der Modellirung nicht diejenige Defreggers, wo sich letztere auf ihrer Höhe be¬ findet. Aber fein Colorit ist zarter, harmonischer, und die Gesammtwirkung seiner Bilder darum immer erfreulicher und gleichmäßiger. Alois Gahl, der dritte im Bunde, ergänzt die beiden anderen insofern, als er weitaus nervöser, lebhafter, dramatischer ist als sie. Auch er ist aus der Einsamkeit eines Gebirgsthales hervorgegangen, aus dem Pitzthale, welches bei Imst in das Oberinnthal mündet. Hier wurde er 1845 im Dorfe Wiesen ge¬ boren. Ein Onkel, der Maler in Imst war, erzog ihn für den geistlichen Stand, um den mit Kindern überreich gesegneten Vater zu entlasten. Aber der Knabe stimmte diesem Erziehungsplane nicht bei. Er wollte wie der Onkel Maler Prcnzboten II. 1S80. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/157>, abgerufen am 22.07.2024.