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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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maßgebenden Factoren in Innsbruck, und sie entzogen dem freidenkenden Künstler
das Stipendium. So war Schmid zum zweiten Male der Noth preisgegeben.
Aber die Hilfe, welche diesmal kam, war eine dauernde. Im Jahre 186? ver-
heirathete er sich mit der Tochter eines wohlhabenden Münchener Kaufmanns,
und nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Salzburg, wo er anfangs noch
religiöse Bilder malte, ließ er sich in München nieder. Durch Defreggers Ver¬
mittelung trat auch er 1869 in die Schule Pilotys, und nun begann, gefördert
durch eine regelrechte malerische Ausbildung, eine lebhafte Thätigkeit, welche
dem Künstler bald einen geachteten Namen erwarb. Noch bevor er zu Piloty
kam, hatte er von dem Ritter von Tschavoll einen umfangreichen Auftrag er¬
halten, nämlich eine Halle in seiner Villa bei Feldkirch mit Gemälden aus der
Vorarlberger Volkssage auszuschmücken.

Die clericalen Verfolgungen, denen Schmid in seiner Heimat ausgesetzt
gewesen war, hatten einen tiefen Eindruck auf sein Gemüth gemacht, und so
heftete sich seine künstlerische Phantasie vorzugsweise an diese Schattenseiten des
Tiroler Landes. Seine Gutmüthigkeit und sein Humor schützten ihn jedoch
davor, die Schärfe seiner tendenziösen Gemälde durch Uebertreibungen und
carricatureuhafte Gestalten zu verschärfen, wie es z. B. Wilhelm v. Kaulbach
auf den Zeichnungen und Cartons gethan, mit welchen er dem Ultramontanis¬
mus zu Leibe ging. Selbst wenn er so schwere Anklagen wie auf dem "Herr¬
gottshändler" erhebt, versöhnt er durch einen liebenswürdigen Zug und durch
eine klare freundliche Färbung, welche mit dem schwermüthigen Colorit Defreggers
stark contrastirt. Der "Herrgottshändler" war dasjenige Bild, welches seinen
Namen zuerst bekannt machte und, durch Photographie und Holzschnitt ver¬
breitet, große Popularität gewann. Der armselige Holzschnitzer, der mit Weib
und Kind in seinem Planwagen den beschwerlichen Weg über die Alpe zieht,
um von Dorf zu Dorf, von Gehöft zu Gehöft mit seinen hölzernen Crucifixen
zu Hausirer, und die feisten Geistlichen, die auf der Terrasse des Wirthshauses
sitzen, die sich's wohl sein lassen und mit bornirten Hochmuth auf den elenden
Mann herabblicken, der ihnen knieend seine Waare anbietet -- dieser sociale
Contrast sprach so klar und eindringlich zum Beschauer, daß ihn Niemand mi߬
verstehen konnte. Auch die "Bettelmönche" und die "Beichtzettelsammlung" be¬
wegten sich rücksichtsloser in derselben Richtung. Coloristisch am feinsten be¬
handelt ist das vierte hierher gehörige Bild, der "Sittenrichter", ein hagerer
Priester, das Prototyp eines Fanatikers, der Pech und Schwefel auf ein junges,
vor ihm stehendes Paar regnen läßt, welches die Rechte der Ehe anticipirt hat
und nun den begangenen Fehltritt durch den Segen der Kirche und vorherige
Buße sühnen will. Das hübsche Mädchen, im Costüm des oberen Innthals,
senkt die Augen auf das Busentuch herab, während das Neugeborene in seinen


maßgebenden Factoren in Innsbruck, und sie entzogen dem freidenkenden Künstler
das Stipendium. So war Schmid zum zweiten Male der Noth preisgegeben.
Aber die Hilfe, welche diesmal kam, war eine dauernde. Im Jahre 186? ver-
heirathete er sich mit der Tochter eines wohlhabenden Münchener Kaufmanns,
und nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Salzburg, wo er anfangs noch
religiöse Bilder malte, ließ er sich in München nieder. Durch Defreggers Ver¬
mittelung trat auch er 1869 in die Schule Pilotys, und nun begann, gefördert
durch eine regelrechte malerische Ausbildung, eine lebhafte Thätigkeit, welche
dem Künstler bald einen geachteten Namen erwarb. Noch bevor er zu Piloty
kam, hatte er von dem Ritter von Tschavoll einen umfangreichen Auftrag er¬
halten, nämlich eine Halle in seiner Villa bei Feldkirch mit Gemälden aus der
Vorarlberger Volkssage auszuschmücken.

Die clericalen Verfolgungen, denen Schmid in seiner Heimat ausgesetzt
gewesen war, hatten einen tiefen Eindruck auf sein Gemüth gemacht, und so
heftete sich seine künstlerische Phantasie vorzugsweise an diese Schattenseiten des
Tiroler Landes. Seine Gutmüthigkeit und sein Humor schützten ihn jedoch
davor, die Schärfe seiner tendenziösen Gemälde durch Uebertreibungen und
carricatureuhafte Gestalten zu verschärfen, wie es z. B. Wilhelm v. Kaulbach
auf den Zeichnungen und Cartons gethan, mit welchen er dem Ultramontanis¬
mus zu Leibe ging. Selbst wenn er so schwere Anklagen wie auf dem „Herr¬
gottshändler" erhebt, versöhnt er durch einen liebenswürdigen Zug und durch
eine klare freundliche Färbung, welche mit dem schwermüthigen Colorit Defreggers
stark contrastirt. Der „Herrgottshändler" war dasjenige Bild, welches seinen
Namen zuerst bekannt machte und, durch Photographie und Holzschnitt ver¬
breitet, große Popularität gewann. Der armselige Holzschnitzer, der mit Weib
und Kind in seinem Planwagen den beschwerlichen Weg über die Alpe zieht,
um von Dorf zu Dorf, von Gehöft zu Gehöft mit seinen hölzernen Crucifixen
zu Hausirer, und die feisten Geistlichen, die auf der Terrasse des Wirthshauses
sitzen, die sich's wohl sein lassen und mit bornirten Hochmuth auf den elenden
Mann herabblicken, der ihnen knieend seine Waare anbietet — dieser sociale
Contrast sprach so klar und eindringlich zum Beschauer, daß ihn Niemand mi߬
verstehen konnte. Auch die „Bettelmönche" und die „Beichtzettelsammlung" be¬
wegten sich rücksichtsloser in derselben Richtung. Coloristisch am feinsten be¬
handelt ist das vierte hierher gehörige Bild, der „Sittenrichter", ein hagerer
Priester, das Prototyp eines Fanatikers, der Pech und Schwefel auf ein junges,
vor ihm stehendes Paar regnen läßt, welches die Rechte der Ehe anticipirt hat
und nun den begangenen Fehltritt durch den Segen der Kirche und vorherige
Buße sühnen will. Das hübsche Mädchen, im Costüm des oberen Innthals,
senkt die Augen auf das Busentuch herab, während das Neugeborene in seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/156>, abgerufen am 22.07.2024.