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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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führung gelangte, ist hingegen auch coloristisch das beste nicht bloß, was De-
fregger jemals gelungen ist, sondern an und für sich eine außerordentliche Lei¬
stung, die uns zeigt, was Defregger zu schaffen im Stande ist, und die uns
darum auch berechtigt, einen relativ hohen Maßstab der Kritik an seine Arbeiten
zu legen. Nächst der oben erwähnten charmanter Brünette, die ans den "Zither¬
spieler" blickt, ist dieses der schönste Frauenkopf, den wir in Desreggers "Werk"
finden. Er hat sich hier ein vorwiegend coloristisches Problem gestellt, dessen
Lösung ihm glänzend gelungen ist. Er hat eigentlich nur mit drei Farben
operirt: mit Schwarz, Weiß und Braun, so, daß die beiden ersten die Domi¬
nanten sind. Das schöne Kind, welches uns schwermüthig mit seinen rehbraunen
Augen anblickt, als trüge es das schwerste Herzeleid, hat um sein Haupt einen
schwarzen Schleier gewunden, der das Oval des edel geschnittenen Angesichts
umrahmt und die Leuchtkraft des weißen Teints wundersam verstärkt. Man
sieht nichts weiter als das Haupt im schwarzen Schleier. Weiß und Schwarz
ist durch eine Fülle von Halbtönen zu einer vollendeten Harmonie zusammen¬
gestimmt, in welche das Braun, das sonst bei Defregger immer den Störenfried
spielt, keinen Mißton hineinwirft. Die Modellirung des Fleisches durch leichte
Halbschatten ist von außerordentlicher Delicatesse, und so das Ganze von un¬
beschreiblichem Reiz.

Um den äußeren Schauplatz seines Bildes kennen zu lernen, begab sich
Defregger nach Mantua und, einmal in Italien, zum ersten Male auch nach
Rom. Zurückgekehrt, ging er dann an die Ausführung des Hoferbildes, welches,
noch nicht in allen Theilen gleichmäßig vollendet, auf der Berliner Ausstellung
von 1878 erschien. Der ungünstige Eindruck, den damals dieses Gemälde hin¬
sichtlich seiner Komposition hervorrief, wurde auf seinen halbfertigen Zustand
geschoben. Als aber das Bild dann 1879 auf der internationalen Kunstaus¬
stellung in München wieder sichtbar wurde, nachdem der Künstler die letzte
Hand daran gelegt, war die Komposition und namentlich die rechte, unbegreif¬
lich schwache Seite desselben auch nicht besser geworden. Die französischen
Soldaten, welche den Verurteilten an dem Ausgange des Festungsthores er¬
warten, waren noch dieselben steifen Holzpuppen, welche uns in der Anlage
erschreckt hatten. Die große Kunst in der Composition, die feine Berechnung
und Abwägung der einzelnen Partien gegen einander haben wir auf seinen
kleinen Genrebildern oft bewundert. Hier tritt sie uns nun in unverhüllter
Absichtlichkeit entgegen, wie wir sie auf allen großen Historienbildern der Piloty-
schule kennen gelernt haben: studirte Posen von höchster Wirkung im Einzelnen
sind zu einem Mosaik zusammengesetzt, und nach der akademischen Regeldetri
sind kunstvolle Gruppen aufgebaut, die sich im wohlbemessenen Halbkreis der
Hauptfigur unterordnen. Das Ganze ist nicht als Ganzes gedacht und im


führung gelangte, ist hingegen auch coloristisch das beste nicht bloß, was De-
fregger jemals gelungen ist, sondern an und für sich eine außerordentliche Lei¬
stung, die uns zeigt, was Defregger zu schaffen im Stande ist, und die uns
darum auch berechtigt, einen relativ hohen Maßstab der Kritik an seine Arbeiten
zu legen. Nächst der oben erwähnten charmanter Brünette, die ans den „Zither¬
spieler" blickt, ist dieses der schönste Frauenkopf, den wir in Desreggers „Werk"
finden. Er hat sich hier ein vorwiegend coloristisches Problem gestellt, dessen
Lösung ihm glänzend gelungen ist. Er hat eigentlich nur mit drei Farben
operirt: mit Schwarz, Weiß und Braun, so, daß die beiden ersten die Domi¬
nanten sind. Das schöne Kind, welches uns schwermüthig mit seinen rehbraunen
Augen anblickt, als trüge es das schwerste Herzeleid, hat um sein Haupt einen
schwarzen Schleier gewunden, der das Oval des edel geschnittenen Angesichts
umrahmt und die Leuchtkraft des weißen Teints wundersam verstärkt. Man
sieht nichts weiter als das Haupt im schwarzen Schleier. Weiß und Schwarz
ist durch eine Fülle von Halbtönen zu einer vollendeten Harmonie zusammen¬
gestimmt, in welche das Braun, das sonst bei Defregger immer den Störenfried
spielt, keinen Mißton hineinwirft. Die Modellirung des Fleisches durch leichte
Halbschatten ist von außerordentlicher Delicatesse, und so das Ganze von un¬
beschreiblichem Reiz.

Um den äußeren Schauplatz seines Bildes kennen zu lernen, begab sich
Defregger nach Mantua und, einmal in Italien, zum ersten Male auch nach
Rom. Zurückgekehrt, ging er dann an die Ausführung des Hoferbildes, welches,
noch nicht in allen Theilen gleichmäßig vollendet, auf der Berliner Ausstellung
von 1878 erschien. Der ungünstige Eindruck, den damals dieses Gemälde hin¬
sichtlich seiner Komposition hervorrief, wurde auf seinen halbfertigen Zustand
geschoben. Als aber das Bild dann 1879 auf der internationalen Kunstaus¬
stellung in München wieder sichtbar wurde, nachdem der Künstler die letzte
Hand daran gelegt, war die Komposition und namentlich die rechte, unbegreif¬
lich schwache Seite desselben auch nicht besser geworden. Die französischen
Soldaten, welche den Verurteilten an dem Ausgange des Festungsthores er¬
warten, waren noch dieselben steifen Holzpuppen, welche uns in der Anlage
erschreckt hatten. Die große Kunst in der Composition, die feine Berechnung
und Abwägung der einzelnen Partien gegen einander haben wir auf seinen
kleinen Genrebildern oft bewundert. Hier tritt sie uns nun in unverhüllter
Absichtlichkeit entgegen, wie wir sie auf allen großen Historienbildern der Piloty-
schule kennen gelernt haben: studirte Posen von höchster Wirkung im Einzelnen
sind zu einem Mosaik zusammengesetzt, und nach der akademischen Regeldetri
sind kunstvolle Gruppen aufgebaut, die sich im wohlbemessenen Halbkreis der
Hauptfigur unterordnen. Das Ganze ist nicht als Ganzes gedacht und im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/152>, abgerufen am 22.07.2024.