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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Ingrimm umdüstert seine Züge, da er dem Häuflein nachblickt, dem er nicht
folgen kann.

In ihrer einfachen, von keinerlei Pathos getragenen Erzählung ist diese
Episode aus dem Volkskriege von geradezu erschütternder Wirkung. Doch darf
uns dieser gewiß eminente künstlerische Vorzug gegen die coloristischm Schwächen
nicht blind machen. Namentlich durch die bunten Gestalten des Vordergrundes
ist die Gesammthaltung des Colorits bedenklich ins Schwanken gerathen. Friedrich
Pecht, Defreggers liebevoller Biograph, meint zwar, daß dieser Uebelstand durch
die "Buntheit des Etschländer Costüms" veranlaßt worden sei, welches der
Maler nicht "ganz bewältigen" konnte. Indessen kehrt diese unruhige Haltung
auf dem drei Jahre später (1876) entstandenen Pendant zum "Letzten Aufgebot",
auf der im Besitze der Nationalgalerie befindlichen "Heimkehr der Sieger",
wieder. Nicht die "Buntheit des Costüms" ist es, welche Defregger nicht zu
bewältigen vermag, sondern er ist nicht im Stande, die große Anzahl der Figuren
durch Kraft und Harmonie des Colorits zusammenzuhalten. Auf beiden Bildern
find eigentlich nur die vorderen Figuren malerisch und zeichnerisch gleich liebe¬
voll durchgeführt. Je weiter sich die Figuren in den Hintergrund verlieren,
desto flauer und flüchtiger find sie ausgeführt. Dieser Vorwurf der Flüchtigkeit
ist gegen Defregger überhaupt in den letzten Jahren öfters erhoben worden.
Ob mit Recht oder Unrecht, wollen wir dahingestellt sein lassen. Die Zahl
der Gemälde, welche Defregger in einem Zeitraume von zwölf Jahren geschaffen
hat --- man zählt bereits fast an die siebzig "Defreggers" -- macht allerdings
stutzig. Indessen rechtfertigt es sein künstlerischer Bildungsgang, wenn wir
derartige Mängel eher, gleichwie bei Lenbach, ans der Begrenzung seines Könnens
als aus seinen: Wollen oder vielmehr Nichtwollen heraus erklären. Es ist eben
eine bedauerliche Thatsache, daß einer der wenigen Schüler Pilotys, der Geist,
Herz und wahre Empfindung besitzt, die coloristischen Vorzüge dieser Schule
mit den ihm angeborenen nicht vereinigen kann.

Nach München zurückgekehrt, entfaltete Defregger eine große Productivität,
die ihm durch sein novellistisches Erfindungstalent wesentlich erleichtert wurde.
Den Grundzug seines Wesens, der ein episch-idyllischer ist, hat er niemals ver¬
kannt; an eine dramatisch bewegte Situation hat er sich, wenn wir nicht die
"Ringer" und die "Faustschieber" dazu rechnen wollen, noch nicht herangewagt.
Wir heben aus der Zahl dieser idyllischen Bilder, welche das Leben des Tiroler
Landvolks mit seinen Freuden und Leiden schildern, nur die populärsten hervor.
Der "Gansräuber" oder die "Hundetragödie" zeigt uns das Strafgericht, welches
der erzürnte Hausvater im Kreise seiner Familie über einen Dachshund hält,
der eine Gaus todtgebissen hat. Wieder ist es die Mannigfaltigkeit des Aus¬
drucks in den Mienen der acht Personen, von denen jede in ihrer Weise an


Ingrimm umdüstert seine Züge, da er dem Häuflein nachblickt, dem er nicht
folgen kann.

In ihrer einfachen, von keinerlei Pathos getragenen Erzählung ist diese
Episode aus dem Volkskriege von geradezu erschütternder Wirkung. Doch darf
uns dieser gewiß eminente künstlerische Vorzug gegen die coloristischm Schwächen
nicht blind machen. Namentlich durch die bunten Gestalten des Vordergrundes
ist die Gesammthaltung des Colorits bedenklich ins Schwanken gerathen. Friedrich
Pecht, Defreggers liebevoller Biograph, meint zwar, daß dieser Uebelstand durch
die „Buntheit des Etschländer Costüms" veranlaßt worden sei, welches der
Maler nicht „ganz bewältigen" konnte. Indessen kehrt diese unruhige Haltung
auf dem drei Jahre später (1876) entstandenen Pendant zum „Letzten Aufgebot",
auf der im Besitze der Nationalgalerie befindlichen „Heimkehr der Sieger",
wieder. Nicht die „Buntheit des Costüms" ist es, welche Defregger nicht zu
bewältigen vermag, sondern er ist nicht im Stande, die große Anzahl der Figuren
durch Kraft und Harmonie des Colorits zusammenzuhalten. Auf beiden Bildern
find eigentlich nur die vorderen Figuren malerisch und zeichnerisch gleich liebe¬
voll durchgeführt. Je weiter sich die Figuren in den Hintergrund verlieren,
desto flauer und flüchtiger find sie ausgeführt. Dieser Vorwurf der Flüchtigkeit
ist gegen Defregger überhaupt in den letzten Jahren öfters erhoben worden.
Ob mit Recht oder Unrecht, wollen wir dahingestellt sein lassen. Die Zahl
der Gemälde, welche Defregger in einem Zeitraume von zwölf Jahren geschaffen
hat —- man zählt bereits fast an die siebzig „Defreggers" — macht allerdings
stutzig. Indessen rechtfertigt es sein künstlerischer Bildungsgang, wenn wir
derartige Mängel eher, gleichwie bei Lenbach, ans der Begrenzung seines Könnens
als aus seinen: Wollen oder vielmehr Nichtwollen heraus erklären. Es ist eben
eine bedauerliche Thatsache, daß einer der wenigen Schüler Pilotys, der Geist,
Herz und wahre Empfindung besitzt, die coloristischen Vorzüge dieser Schule
mit den ihm angeborenen nicht vereinigen kann.

Nach München zurückgekehrt, entfaltete Defregger eine große Productivität,
die ihm durch sein novellistisches Erfindungstalent wesentlich erleichtert wurde.
Den Grundzug seines Wesens, der ein episch-idyllischer ist, hat er niemals ver¬
kannt; an eine dramatisch bewegte Situation hat er sich, wenn wir nicht die
„Ringer" und die „Faustschieber" dazu rechnen wollen, noch nicht herangewagt.
Wir heben aus der Zahl dieser idyllischen Bilder, welche das Leben des Tiroler
Landvolks mit seinen Freuden und Leiden schildern, nur die populärsten hervor.
Der „Gansräuber" oder die „Hundetragödie" zeigt uns das Strafgericht, welches
der erzürnte Hausvater im Kreise seiner Familie über einen Dachshund hält,
der eine Gaus todtgebissen hat. Wieder ist es die Mannigfaltigkeit des Aus¬
drucks in den Mienen der acht Personen, von denen jede in ihrer Weise an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/150>, abgerufen am 22.07.2024.