Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

große malen, weil er über so eminente coloristische und zeichnerische Fähigkeiten
gebietet, daß auch die an sich uninteressantesten und gleichgiltigsten Partien
eines Gemäldes malerisch interessant werden können. Defregger geht dieser
Vorzug fast völlig ab. Auch diejenigen seiner Genrebilder, auf denen eine ge¬
ringere Fignrenzcchl geringere technische Schwierigkeiten bereitet, fesselten stets
mehr durch den Reiz des Gegenständlichen, als durch technische Vorzüge, die wir
heute nicht mehr missen können, wenn anders wir nicht die malerischen Finessen,
welche Rembrandt und die holländischen Sittenmaler, die Ostade, Don, Pieter
de Hooch, van der Meer von Delft u. a,, in die Kunst eingeführt haben, als
überflüssig und ohne Belang wieder über Bord werfen wollen. Don und Pieter
de Hooch bewegten fich in einem ebenso beschränkten Kreise von Gestalten wie
Defregger. Aber sie wissen durch coloristische Feinheiten und pikante Lichteffeete
der Gefahr der Monotonie geschickt zu entgehen, während Defregger, nachdem
er den Vorrath seiner Gestalten mehrere Male erschöpft hat, bereits anfängt,
einförmig zu werden.

Im Jahre 1873, als die zweite Episode aus dem Franzosenkriege "Das
letzte Aufgebot" entstand, war freilich davon noch nichts zu merken. Trotz seiner
coloristischen Mängel hat dieses Bild unter allen Defreggerschen Schöpfungen
die nachhaltigste Wirkung hervorgerufen, die nach meinem Gefühl nicht einmal
von dem über Gebühr gepriesenen Hoferbilde erreicht worden ist. Sie wird in
erster Linie wiederum der außerordentlichen, fast auf die Spitze getriebenen
Energie in der Charakteristik und der echt tragischen, von jedem sentimentalen
oder larmoyanten Beigeschmack freien Grundstimmung verdankt. In der Frühe
eines Septembermorgens schreitet eine Schaar von wetterharten Greisen unter
Anführung eines Genossen die Straße eines Tiroler Dorfes entlang. Ein furcht¬
barer Ernst prägt sich in ihren Mienen aus. Der Beschauer hat das sichere
Gefühl, daß es sich hier um einen Kampf handelt, der nur mit Sieg oder Tod
ein Ende nimmt. Das sieht er an den furchtbaren Waffen, mit denen sich die
Alten bewehrt haben, an den aufgerichteten Sensen, deren Stöcke mit spitzen
Stacheln beschlagen sind, an den seltsamen Büchsen, mit denen man gewöhnlich
den Gamsbock nicht schießt, das sieht er an dem Abschied, den einer der Greise
von seinein Eheweibe nimmt. Thränenlos steht sie vor ihm, sie drückt ihm
krampfhaft die Hand, sie weiß, daß er nicht wiederkommt, aber sie weiß auch,
daß es so und nicht anders sein kann. Vergrämte Weiber mit ihren Kindern,
ein Krüppel an der Krücke -- alle sind sie auf die Straße geeilt, ihren letzten
Vertheidigern mit thränenlosen Angen den letzte,: Abschiedsgruß zuzuwinken.
Ihre Thränen sind versiegt, seitdem die Blüthe der Jugend, die Kraft der
Männer vom Feinde niedergemäht worden. Auf dem Treppenpodest vor einem
Hause sitzt ein schwer verwundeter junger Mann, von den Seinigen umgeben.


Grenzboten II. 18S0.

große malen, weil er über so eminente coloristische und zeichnerische Fähigkeiten
gebietet, daß auch die an sich uninteressantesten und gleichgiltigsten Partien
eines Gemäldes malerisch interessant werden können. Defregger geht dieser
Vorzug fast völlig ab. Auch diejenigen seiner Genrebilder, auf denen eine ge¬
ringere Fignrenzcchl geringere technische Schwierigkeiten bereitet, fesselten stets
mehr durch den Reiz des Gegenständlichen, als durch technische Vorzüge, die wir
heute nicht mehr missen können, wenn anders wir nicht die malerischen Finessen,
welche Rembrandt und die holländischen Sittenmaler, die Ostade, Don, Pieter
de Hooch, van der Meer von Delft u. a,, in die Kunst eingeführt haben, als
überflüssig und ohne Belang wieder über Bord werfen wollen. Don und Pieter
de Hooch bewegten fich in einem ebenso beschränkten Kreise von Gestalten wie
Defregger. Aber sie wissen durch coloristische Feinheiten und pikante Lichteffeete
der Gefahr der Monotonie geschickt zu entgehen, während Defregger, nachdem
er den Vorrath seiner Gestalten mehrere Male erschöpft hat, bereits anfängt,
einförmig zu werden.

Im Jahre 1873, als die zweite Episode aus dem Franzosenkriege „Das
letzte Aufgebot" entstand, war freilich davon noch nichts zu merken. Trotz seiner
coloristischen Mängel hat dieses Bild unter allen Defreggerschen Schöpfungen
die nachhaltigste Wirkung hervorgerufen, die nach meinem Gefühl nicht einmal
von dem über Gebühr gepriesenen Hoferbilde erreicht worden ist. Sie wird in
erster Linie wiederum der außerordentlichen, fast auf die Spitze getriebenen
Energie in der Charakteristik und der echt tragischen, von jedem sentimentalen
oder larmoyanten Beigeschmack freien Grundstimmung verdankt. In der Frühe
eines Septembermorgens schreitet eine Schaar von wetterharten Greisen unter
Anführung eines Genossen die Straße eines Tiroler Dorfes entlang. Ein furcht¬
barer Ernst prägt sich in ihren Mienen aus. Der Beschauer hat das sichere
Gefühl, daß es sich hier um einen Kampf handelt, der nur mit Sieg oder Tod
ein Ende nimmt. Das sieht er an den furchtbaren Waffen, mit denen sich die
Alten bewehrt haben, an den aufgerichteten Sensen, deren Stöcke mit spitzen
Stacheln beschlagen sind, an den seltsamen Büchsen, mit denen man gewöhnlich
den Gamsbock nicht schießt, das sieht er an dem Abschied, den einer der Greise
von seinein Eheweibe nimmt. Thränenlos steht sie vor ihm, sie drückt ihm
krampfhaft die Hand, sie weiß, daß er nicht wiederkommt, aber sie weiß auch,
daß es so und nicht anders sein kann. Vergrämte Weiber mit ihren Kindern,
ein Krüppel an der Krücke — alle sind sie auf die Straße geeilt, ihren letzten
Vertheidigern mit thränenlosen Angen den letzte,: Abschiedsgruß zuzuwinken.
Ihre Thränen sind versiegt, seitdem die Blüthe der Jugend, die Kraft der
Männer vom Feinde niedergemäht worden. Auf dem Treppenpodest vor einem
Hause sitzt ein schwer verwundeter junger Mann, von den Seinigen umgeben.


Grenzboten II. 18S0.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146654"/>
          <p xml:id="ID_434" prev="#ID_433"> große malen, weil er über so eminente coloristische und zeichnerische Fähigkeiten<lb/>
gebietet, daß auch die an sich uninteressantesten und gleichgiltigsten Partien<lb/>
eines Gemäldes malerisch interessant werden können. Defregger geht dieser<lb/>
Vorzug fast völlig ab. Auch diejenigen seiner Genrebilder, auf denen eine ge¬<lb/>
ringere Fignrenzcchl geringere technische Schwierigkeiten bereitet, fesselten stets<lb/>
mehr durch den Reiz des Gegenständlichen, als durch technische Vorzüge, die wir<lb/>
heute nicht mehr missen können, wenn anders wir nicht die malerischen Finessen,<lb/>
welche Rembrandt und die holländischen Sittenmaler, die Ostade, Don, Pieter<lb/>
de Hooch, van der Meer von Delft u. a,, in die Kunst eingeführt haben, als<lb/>
überflüssig und ohne Belang wieder über Bord werfen wollen. Don und Pieter<lb/>
de Hooch bewegten fich in einem ebenso beschränkten Kreise von Gestalten wie<lb/>
Defregger. Aber sie wissen durch coloristische Feinheiten und pikante Lichteffeete<lb/>
der Gefahr der Monotonie geschickt zu entgehen, während Defregger, nachdem<lb/>
er den Vorrath seiner Gestalten mehrere Male erschöpft hat, bereits anfängt,<lb/>
einförmig zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_435" next="#ID_436"> Im Jahre 1873, als die zweite Episode aus dem Franzosenkriege &#x201E;Das<lb/>
letzte Aufgebot" entstand, war freilich davon noch nichts zu merken. Trotz seiner<lb/>
coloristischen Mängel hat dieses Bild unter allen Defreggerschen Schöpfungen<lb/>
die nachhaltigste Wirkung hervorgerufen, die nach meinem Gefühl nicht einmal<lb/>
von dem über Gebühr gepriesenen Hoferbilde erreicht worden ist. Sie wird in<lb/>
erster Linie wiederum der außerordentlichen, fast auf die Spitze getriebenen<lb/>
Energie in der Charakteristik und der echt tragischen, von jedem sentimentalen<lb/>
oder larmoyanten Beigeschmack freien Grundstimmung verdankt. In der Frühe<lb/>
eines Septembermorgens schreitet eine Schaar von wetterharten Greisen unter<lb/>
Anführung eines Genossen die Straße eines Tiroler Dorfes entlang. Ein furcht¬<lb/>
barer Ernst prägt sich in ihren Mienen aus. Der Beschauer hat das sichere<lb/>
Gefühl, daß es sich hier um einen Kampf handelt, der nur mit Sieg oder Tod<lb/>
ein Ende nimmt. Das sieht er an den furchtbaren Waffen, mit denen sich die<lb/>
Alten bewehrt haben, an den aufgerichteten Sensen, deren Stöcke mit spitzen<lb/>
Stacheln beschlagen sind, an den seltsamen Büchsen, mit denen man gewöhnlich<lb/>
den Gamsbock nicht schießt, das sieht er an dem Abschied, den einer der Greise<lb/>
von seinein Eheweibe nimmt. Thränenlos steht sie vor ihm, sie drückt ihm<lb/>
krampfhaft die Hand, sie weiß, daß er nicht wiederkommt, aber sie weiß auch,<lb/>
daß es so und nicht anders sein kann. Vergrämte Weiber mit ihren Kindern,<lb/>
ein Krüppel an der Krücke &#x2014; alle sind sie auf die Straße geeilt, ihren letzten<lb/>
Vertheidigern mit thränenlosen Angen den letzte,: Abschiedsgruß zuzuwinken.<lb/>
Ihre Thränen sind versiegt, seitdem die Blüthe der Jugend, die Kraft der<lb/>
Männer vom Feinde niedergemäht worden. Auf dem Treppenpodest vor einem<lb/>
Hause sitzt ein schwer verwundeter junger Mann, von den Seinigen umgeben.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 18S0.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0149] große malen, weil er über so eminente coloristische und zeichnerische Fähigkeiten gebietet, daß auch die an sich uninteressantesten und gleichgiltigsten Partien eines Gemäldes malerisch interessant werden können. Defregger geht dieser Vorzug fast völlig ab. Auch diejenigen seiner Genrebilder, auf denen eine ge¬ ringere Fignrenzcchl geringere technische Schwierigkeiten bereitet, fesselten stets mehr durch den Reiz des Gegenständlichen, als durch technische Vorzüge, die wir heute nicht mehr missen können, wenn anders wir nicht die malerischen Finessen, welche Rembrandt und die holländischen Sittenmaler, die Ostade, Don, Pieter de Hooch, van der Meer von Delft u. a,, in die Kunst eingeführt haben, als überflüssig und ohne Belang wieder über Bord werfen wollen. Don und Pieter de Hooch bewegten fich in einem ebenso beschränkten Kreise von Gestalten wie Defregger. Aber sie wissen durch coloristische Feinheiten und pikante Lichteffeete der Gefahr der Monotonie geschickt zu entgehen, während Defregger, nachdem er den Vorrath seiner Gestalten mehrere Male erschöpft hat, bereits anfängt, einförmig zu werden. Im Jahre 1873, als die zweite Episode aus dem Franzosenkriege „Das letzte Aufgebot" entstand, war freilich davon noch nichts zu merken. Trotz seiner coloristischen Mängel hat dieses Bild unter allen Defreggerschen Schöpfungen die nachhaltigste Wirkung hervorgerufen, die nach meinem Gefühl nicht einmal von dem über Gebühr gepriesenen Hoferbilde erreicht worden ist. Sie wird in erster Linie wiederum der außerordentlichen, fast auf die Spitze getriebenen Energie in der Charakteristik und der echt tragischen, von jedem sentimentalen oder larmoyanten Beigeschmack freien Grundstimmung verdankt. In der Frühe eines Septembermorgens schreitet eine Schaar von wetterharten Greisen unter Anführung eines Genossen die Straße eines Tiroler Dorfes entlang. Ein furcht¬ barer Ernst prägt sich in ihren Mienen aus. Der Beschauer hat das sichere Gefühl, daß es sich hier um einen Kampf handelt, der nur mit Sieg oder Tod ein Ende nimmt. Das sieht er an den furchtbaren Waffen, mit denen sich die Alten bewehrt haben, an den aufgerichteten Sensen, deren Stöcke mit spitzen Stacheln beschlagen sind, an den seltsamen Büchsen, mit denen man gewöhnlich den Gamsbock nicht schießt, das sieht er an dem Abschied, den einer der Greise von seinein Eheweibe nimmt. Thränenlos steht sie vor ihm, sie drückt ihm krampfhaft die Hand, sie weiß, daß er nicht wiederkommt, aber sie weiß auch, daß es so und nicht anders sein kann. Vergrämte Weiber mit ihren Kindern, ein Krüppel an der Krücke — alle sind sie auf die Straße geeilt, ihren letzten Vertheidigern mit thränenlosen Angen den letzte,: Abschiedsgruß zuzuwinken. Ihre Thränen sind versiegt, seitdem die Blüthe der Jugend, die Kraft der Männer vom Feinde niedergemäht worden. Auf dem Treppenpodest vor einem Hause sitzt ein schwer verwundeter junger Mann, von den Seinigen umgeben. Grenzboten II. 18S0.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/149
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/149>, abgerufen am 22.07.2024.