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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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zur Deckung von Zahlungen ins Ausland ausführt, müssen natürlich, falls sie
nicht unterwegs verloren gehen, irgendwo anders eingeführt werden, und werden
dort, wo es auch sein mag, mit ihrem dortigen Werthe auf der Einfuhrliste
figuriren, ohne daß dafür irgend etwas auf die dortige Ausfuhrliste zu kommen
braucht. Irgendwo wird demnach auch der Ueberschuß der Einfuhr über die
Ausfuhr vergrößert, d. h. die Handelsbilanz ungünstiger gemacht. Ob dieser
Factor indessen in den Jmportlisten gerade der reicheren Länder Europas, also
Englands, Hollands, Belgiens, Frankreichs, Deutschlands, die während der letzten
Jahre durch die Massenhciftigkeit des Ueberschusses ihrer Einfuhr hervorragten,
sehr viel ausmacht, ist doch noch fraglich.*) Denn in den genannten Ländern
ist wegen des verhältnißmäßig niedrigen Zinsfußes, der dort und namentlich in
England herrscht, unter den Capitalien die Gewohnheit sehr verbreitet, ihre
überflüssigen Capitalien in besser verzinslichen auswärtigen Unternehmungen
anzulegen. Den eingeführten Capitalien stehen also auch ausgeführte gegenüber.
Ebenso wie Waaren, um Zahlungen zu leisten, hinausgehen, kommen auch Waaren
zu ähnlichem Zwecke zurück; oder, was wohl das gewöhnlichste ist, ein Import
von Waaren, der zur Deckung einer Schuld stattfinden sollte, wird gleich von
vornherein anderswohin abgelenkt. Ein Beispiel möge den Hergang veran¬
schaulichen.

Nehmen wir an, eine englische Gesellschaft wolle in Mexiko ein industrielles
Unternehmen anfangen und habe dazu eine Million Mark vorräthig. Nehmen
wir weiter an, ein amerikanisches Haus habe gerade für Waaren, die es nach
Mexiko geschickt, Forderungen im Werthe von einer Million dort stehen. Die
Engländer können nun nichts Bequemeres thun, als auf dem Londoner Markte
fällige oder demnächst fällige Coupons von amerikanischen Papieren in dem
genannten Betrage sammeln, dem Amerikaner damit seine Forderungen abkaufen
und die letzteren in Mexiko zu Geld machen. Amerika hat nun in Mexiko für
eine Million Waaren importirt und an England eine Million Zinsen bezahlt,
ohne daß man aus den Ein- und Ausfuhrlisten der betreffenden drei Länder
im geringsten merken könnte, was eigentlich geschehen ist. Auf die englischen
Listen kommt nichts, denn die fortgeschickten Coupons werden nicht eingeschrieben;
in den amerikanischen erscheint nur eine Ausfuhr, nämlich Waaren im Werthe
von einer Million (abzüglich des Gewinnes und der Unkosten des Kaufmanns),
in Mexiko aber zeigt sich nur eine Einfuhr im Werthe von einer Million.

Es ist wohl kaum möglich, auch nur annähernd zu ermitteln., wie viel



5) Die Milliardenzahlung hat jedoch ohne Zweifel auf die damaligen Handelsbilanzen
des deutschen Reichs sehr bedeutend eingewirkt. Unsere Handelsbilanzen von 1872 und 1873,
die an allen Ecken und Enden des Landes Schrecken hervorriefen, sind zum Theil den
Milliarden zu verdanken.

zur Deckung von Zahlungen ins Ausland ausführt, müssen natürlich, falls sie
nicht unterwegs verloren gehen, irgendwo anders eingeführt werden, und werden
dort, wo es auch sein mag, mit ihrem dortigen Werthe auf der Einfuhrliste
figuriren, ohne daß dafür irgend etwas auf die dortige Ausfuhrliste zu kommen
braucht. Irgendwo wird demnach auch der Ueberschuß der Einfuhr über die
Ausfuhr vergrößert, d. h. die Handelsbilanz ungünstiger gemacht. Ob dieser
Factor indessen in den Jmportlisten gerade der reicheren Länder Europas, also
Englands, Hollands, Belgiens, Frankreichs, Deutschlands, die während der letzten
Jahre durch die Massenhciftigkeit des Ueberschusses ihrer Einfuhr hervorragten,
sehr viel ausmacht, ist doch noch fraglich.*) Denn in den genannten Ländern
ist wegen des verhältnißmäßig niedrigen Zinsfußes, der dort und namentlich in
England herrscht, unter den Capitalien die Gewohnheit sehr verbreitet, ihre
überflüssigen Capitalien in besser verzinslichen auswärtigen Unternehmungen
anzulegen. Den eingeführten Capitalien stehen also auch ausgeführte gegenüber.
Ebenso wie Waaren, um Zahlungen zu leisten, hinausgehen, kommen auch Waaren
zu ähnlichem Zwecke zurück; oder, was wohl das gewöhnlichste ist, ein Import
von Waaren, der zur Deckung einer Schuld stattfinden sollte, wird gleich von
vornherein anderswohin abgelenkt. Ein Beispiel möge den Hergang veran¬
schaulichen.

Nehmen wir an, eine englische Gesellschaft wolle in Mexiko ein industrielles
Unternehmen anfangen und habe dazu eine Million Mark vorräthig. Nehmen
wir weiter an, ein amerikanisches Haus habe gerade für Waaren, die es nach
Mexiko geschickt, Forderungen im Werthe von einer Million dort stehen. Die
Engländer können nun nichts Bequemeres thun, als auf dem Londoner Markte
fällige oder demnächst fällige Coupons von amerikanischen Papieren in dem
genannten Betrage sammeln, dem Amerikaner damit seine Forderungen abkaufen
und die letzteren in Mexiko zu Geld machen. Amerika hat nun in Mexiko für
eine Million Waaren importirt und an England eine Million Zinsen bezahlt,
ohne daß man aus den Ein- und Ausfuhrlisten der betreffenden drei Länder
im geringsten merken könnte, was eigentlich geschehen ist. Auf die englischen
Listen kommt nichts, denn die fortgeschickten Coupons werden nicht eingeschrieben;
in den amerikanischen erscheint nur eine Ausfuhr, nämlich Waaren im Werthe
von einer Million (abzüglich des Gewinnes und der Unkosten des Kaufmanns),
in Mexiko aber zeigt sich nur eine Einfuhr im Werthe von einer Million.

Es ist wohl kaum möglich, auch nur annähernd zu ermitteln., wie viel



5) Die Milliardenzahlung hat jedoch ohne Zweifel auf die damaligen Handelsbilanzen
des deutschen Reichs sehr bedeutend eingewirkt. Unsere Handelsbilanzen von 1872 und 1873,
die an allen Ecken und Enden des Landes Schrecken hervorriefen, sind zum Theil den
Milliarden zu verdanken.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/144>, abgerufen am 22.07.2024.