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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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gleichviel ob es wollte oder nicht, sich an dem darüber entbrennenden Streite
betheiligen. Dann aber würde, wenn Gladstonescher Fanatismus nicht eine
Weile schalten dürfte, was bei dem im Ganzen eminent praktischen Sinne der
Engländer sicher nicht lange währen könnte, das Staatsinteresse ohne Verzug
wieder den Vorrang vor dem "Interesse eivilisirender Evangelisirung", wie das
-1ourr>,a1 ass DSbats den Gedanken der Gladstoneschen Politik vortrefflich be¬
zeichnet hat, einnehmen, und die Liberalen würden dann wohl oder übel ein
Verfahren einzuschlagen genöthigt sein, das sich dem ihrer conservativen Vor¬
gänger im Wesentlichen annäherte und in seinen Folgen beinahe ganz mit ihm
zusammenfallen müßte. .

Von den radikalen Aeußerungen Gladstones, des äoetor 8uxrMs.wraIis,
reden wir nicht, so sehr auch die russische Presse sich an ihnen erbaut und be¬
geistert. Sie sind Excentritäten, die auf keine Verwirklichung Anspruch haben.
Hartington hat entschieden versichert, daß er niemals andere Ziele verfolgt
habe, als die der Regierung Beaconsfields; gemißbilligt habe er nur die von ihr
angewandten Mittel. Was er damit meinte, bleibe unerörtert. Es genügt vor¬
läufig, daß dies mit dem Obigen übereinstimmt, und daß das neue englische
Cabinet nach den Hartingtonschen Grundsätzen geleitet werden wird. Man
wird den Berliner Vertrag im Einklange mit der öffentlichen Meinung Europas
aufrecht zu erhalten versuchen, feste Bürgschaft für eine vernünftige Regierung
der Christen in Kleinasien und Armenien zu erlangen bemüht sein und die
Ansprüche Griechenlands auf eine bessere Nordgrenze unterstützen. Man wird
selbstverständlich die auf der Insel Cypern eingenommene Position nicht auf¬
geben. Man wird ferner in Afghanistan die durch Beaconsfild gewonnene
neue Grenze festhalten, im Uebrigen aber das Land sich selbst überlassen. Man
wird endlich in Südafrika eine vorsichtigere und weniger anspruchsvolle Haltung
beobachten als bisher.

Die Liberalen werden, was auch Gladstone, der umgekehrte Lord Feuer¬
brand, in der Hitze der Wahlagitation gesagt haben mag, nicht daran denken,
einen neuen antitürkischen Kreuzzug zuzulassen oder gar direkt zu Wege zu
bringen. Sie werden sich der Interessen der Balkanslaven mit ihren Thaten
schwerlich so annehmen wie mit ihren Reden, als sie noch Ihrer Majestät ge-
treueste Opposition waren, und vermuthlich nicht mehr Predigten voll Anerken¬
nung der edlen Absichten und der guten Werke Rußlands halten.' Aller dieser
unbequemen Leistungen werden sie von jetzt an, wo sie von der linken Seite
des Parlaments auf die rechte übergesiedelt und in ihren Führern Regierung
geworden find, überhoben sein. Und sie werden sich wahrscheinlich beeilen, von
dieser Erleichterung Gebrauch zu machen. Wir glauben nicht, daß wir uns
hierin täuschen können. Indeß nehmen wir einmal die Möglichkeit einer ähnlichen


gleichviel ob es wollte oder nicht, sich an dem darüber entbrennenden Streite
betheiligen. Dann aber würde, wenn Gladstonescher Fanatismus nicht eine
Weile schalten dürfte, was bei dem im Ganzen eminent praktischen Sinne der
Engländer sicher nicht lange währen könnte, das Staatsinteresse ohne Verzug
wieder den Vorrang vor dem „Interesse eivilisirender Evangelisirung", wie das
-1ourr>,a1 ass DSbats den Gedanken der Gladstoneschen Politik vortrefflich be¬
zeichnet hat, einnehmen, und die Liberalen würden dann wohl oder übel ein
Verfahren einzuschlagen genöthigt sein, das sich dem ihrer conservativen Vor¬
gänger im Wesentlichen annäherte und in seinen Folgen beinahe ganz mit ihm
zusammenfallen müßte. .

Von den radikalen Aeußerungen Gladstones, des äoetor 8uxrMs.wraIis,
reden wir nicht, so sehr auch die russische Presse sich an ihnen erbaut und be¬
geistert. Sie sind Excentritäten, die auf keine Verwirklichung Anspruch haben.
Hartington hat entschieden versichert, daß er niemals andere Ziele verfolgt
habe, als die der Regierung Beaconsfields; gemißbilligt habe er nur die von ihr
angewandten Mittel. Was er damit meinte, bleibe unerörtert. Es genügt vor¬
läufig, daß dies mit dem Obigen übereinstimmt, und daß das neue englische
Cabinet nach den Hartingtonschen Grundsätzen geleitet werden wird. Man
wird den Berliner Vertrag im Einklange mit der öffentlichen Meinung Europas
aufrecht zu erhalten versuchen, feste Bürgschaft für eine vernünftige Regierung
der Christen in Kleinasien und Armenien zu erlangen bemüht sein und die
Ansprüche Griechenlands auf eine bessere Nordgrenze unterstützen. Man wird
selbstverständlich die auf der Insel Cypern eingenommene Position nicht auf¬
geben. Man wird ferner in Afghanistan die durch Beaconsfild gewonnene
neue Grenze festhalten, im Uebrigen aber das Land sich selbst überlassen. Man
wird endlich in Südafrika eine vorsichtigere und weniger anspruchsvolle Haltung
beobachten als bisher.

Die Liberalen werden, was auch Gladstone, der umgekehrte Lord Feuer¬
brand, in der Hitze der Wahlagitation gesagt haben mag, nicht daran denken,
einen neuen antitürkischen Kreuzzug zuzulassen oder gar direkt zu Wege zu
bringen. Sie werden sich der Interessen der Balkanslaven mit ihren Thaten
schwerlich so annehmen wie mit ihren Reden, als sie noch Ihrer Majestät ge-
treueste Opposition waren, und vermuthlich nicht mehr Predigten voll Anerken¬
nung der edlen Absichten und der guten Werke Rußlands halten.' Aller dieser
unbequemen Leistungen werden sie von jetzt an, wo sie von der linken Seite
des Parlaments auf die rechte übergesiedelt und in ihren Führern Regierung
geworden find, überhoben sein. Und sie werden sich wahrscheinlich beeilen, von
dieser Erleichterung Gebrauch zu machen. Wir glauben nicht, daß wir uns
hierin täuschen können. Indeß nehmen wir einmal die Möglichkeit einer ähnlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/136>, abgerufen am 22.07.2024.