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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Das neue Ministerium in England.

Die Parlamentswahlen in England sind beendigt. Ihr Ergebniß heißt:
Rücktritt der Conservativen vom Staatsruder und Berufung der Liberalen zur
Steuerung des Schiffes nach seinen Zielen. Wenige Politiker werden sagen
können, daß dieser Ausgang der Sache sie nicht überrascht habe, so viele Um¬
stände schienen dem Lord Beaconssield und seinen Freunden den Sieg zu sichern.
Allerdings hatten vor seinein Amtsantritt eine vieljährige Regierung der Whig-
Partei und die Rührigkeit der Leute aus der Manchesterschule, der Quäker mit
dem nie verwelkenden, aber auch nie fruchttragenden Oelzweige, eine starke Ein¬
wirkung auf das politische Denken und Empfinden bes brittischen Volkes geübt,
und die Meinung, daß England sich möglichst wenig um die Bewegungen auf
dem europäischen Festlande kümmern, sich möglichst der Einwirkung auf dieselben
enthalten, die Dinge also gehen lassen müsse, wie sie wollten, war in sehr weiten
Kreisen der Nation zur Herrschaft gelangt. Indeß hatte die Art und Weise,
wie die Whigs diese Grundsätze in verschiedenen Fragen und zuletzt während
des deutsch-französischen Krieges vertraten, doch sehr deutlich gezeigt, wie weit
man mit dieser Politik kam. Das Selbstgefühl der Engländer begriff, daß es
so nicht weitergehen könne, wenn man nicht allen Einfluß auf die Gestaltung
der Geschicke Europas verlieren und mit diesem Verlust zugleich an seinen
materiellen Interessen zuletzt Schaden leiden wollte. Man begann sich zu schämen
und zu fürchten. An diese Gefühle anknüpfend, sie schürend, gewannen die Tories
allmählich die Oberhand und schließlich die Herrschaft, und die Erfolge, die sie
während der sechs Jahre ihrer Regierung auf dem Gebiete der auswärtigen
Politik errangen, ließen annehmen, daß ihr Sieg ein langdauernder sein würde.
Die mit nicht gewöhnlichem Geschick gepaarte Thatkraft des Führers der Con-
servativen hatte Erfolge zu Stande gebracht, im Hinblick auf welche man glauben
durfte, der leitende Gedanke Lord Beaconsfields, daß sich keine große Verände¬
rung politischer Art auf dem europäischen Continente ohne Mitarbeit und Zu¬
stimmung Großbritanniens vollziehen dürfe, werde in der öffentlichen Meinung


Grenzboten II. 1880. 17
Das neue Ministerium in England.

Die Parlamentswahlen in England sind beendigt. Ihr Ergebniß heißt:
Rücktritt der Conservativen vom Staatsruder und Berufung der Liberalen zur
Steuerung des Schiffes nach seinen Zielen. Wenige Politiker werden sagen
können, daß dieser Ausgang der Sache sie nicht überrascht habe, so viele Um¬
stände schienen dem Lord Beaconssield und seinen Freunden den Sieg zu sichern.
Allerdings hatten vor seinein Amtsantritt eine vieljährige Regierung der Whig-
Partei und die Rührigkeit der Leute aus der Manchesterschule, der Quäker mit
dem nie verwelkenden, aber auch nie fruchttragenden Oelzweige, eine starke Ein¬
wirkung auf das politische Denken und Empfinden bes brittischen Volkes geübt,
und die Meinung, daß England sich möglichst wenig um die Bewegungen auf
dem europäischen Festlande kümmern, sich möglichst der Einwirkung auf dieselben
enthalten, die Dinge also gehen lassen müsse, wie sie wollten, war in sehr weiten
Kreisen der Nation zur Herrschaft gelangt. Indeß hatte die Art und Weise,
wie die Whigs diese Grundsätze in verschiedenen Fragen und zuletzt während
des deutsch-französischen Krieges vertraten, doch sehr deutlich gezeigt, wie weit
man mit dieser Politik kam. Das Selbstgefühl der Engländer begriff, daß es
so nicht weitergehen könne, wenn man nicht allen Einfluß auf die Gestaltung
der Geschicke Europas verlieren und mit diesem Verlust zugleich an seinen
materiellen Interessen zuletzt Schaden leiden wollte. Man begann sich zu schämen
und zu fürchten. An diese Gefühle anknüpfend, sie schürend, gewannen die Tories
allmählich die Oberhand und schließlich die Herrschaft, und die Erfolge, die sie
während der sechs Jahre ihrer Regierung auf dem Gebiete der auswärtigen
Politik errangen, ließen annehmen, daß ihr Sieg ein langdauernder sein würde.
Die mit nicht gewöhnlichem Geschick gepaarte Thatkraft des Führers der Con-
servativen hatte Erfolge zu Stande gebracht, im Hinblick auf welche man glauben
durfte, der leitende Gedanke Lord Beaconsfields, daß sich keine große Verände¬
rung politischer Art auf dem europäischen Continente ohne Mitarbeit und Zu¬
stimmung Großbritanniens vollziehen dürfe, werde in der öffentlichen Meinung


Grenzboten II. 1880. 17
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[0133] Das neue Ministerium in England. Die Parlamentswahlen in England sind beendigt. Ihr Ergebniß heißt: Rücktritt der Conservativen vom Staatsruder und Berufung der Liberalen zur Steuerung des Schiffes nach seinen Zielen. Wenige Politiker werden sagen können, daß dieser Ausgang der Sache sie nicht überrascht habe, so viele Um¬ stände schienen dem Lord Beaconssield und seinen Freunden den Sieg zu sichern. Allerdings hatten vor seinein Amtsantritt eine vieljährige Regierung der Whig- Partei und die Rührigkeit der Leute aus der Manchesterschule, der Quäker mit dem nie verwelkenden, aber auch nie fruchttragenden Oelzweige, eine starke Ein¬ wirkung auf das politische Denken und Empfinden bes brittischen Volkes geübt, und die Meinung, daß England sich möglichst wenig um die Bewegungen auf dem europäischen Festlande kümmern, sich möglichst der Einwirkung auf dieselben enthalten, die Dinge also gehen lassen müsse, wie sie wollten, war in sehr weiten Kreisen der Nation zur Herrschaft gelangt. Indeß hatte die Art und Weise, wie die Whigs diese Grundsätze in verschiedenen Fragen und zuletzt während des deutsch-französischen Krieges vertraten, doch sehr deutlich gezeigt, wie weit man mit dieser Politik kam. Das Selbstgefühl der Engländer begriff, daß es so nicht weitergehen könne, wenn man nicht allen Einfluß auf die Gestaltung der Geschicke Europas verlieren und mit diesem Verlust zugleich an seinen materiellen Interessen zuletzt Schaden leiden wollte. Man begann sich zu schämen und zu fürchten. An diese Gefühle anknüpfend, sie schürend, gewannen die Tories allmählich die Oberhand und schließlich die Herrschaft, und die Erfolge, die sie während der sechs Jahre ihrer Regierung auf dem Gebiete der auswärtigen Politik errangen, ließen annehmen, daß ihr Sieg ein langdauernder sein würde. Die mit nicht gewöhnlichem Geschick gepaarte Thatkraft des Führers der Con- servativen hatte Erfolge zu Stande gebracht, im Hinblick auf welche man glauben durfte, der leitende Gedanke Lord Beaconsfields, daß sich keine große Verände¬ rung politischer Art auf dem europäischen Continente ohne Mitarbeit und Zu¬ stimmung Großbritanniens vollziehen dürfe, werde in der öffentlichen Meinung Grenzboten II. 1880. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/133>, abgerufen am 03.07.2024.