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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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ist es die Entwickelung dieser Zustände, welche das Hauptinteresse der römischen
Kaiserzeit ausmacht. Und nicht bloß dieser. Denn was in den Provinzen sich
ausbildete, das ist vielfach zur Vorgeschichte der modernen Völker geworden,
mögen sie nun von den romanisirten Einwohnern dieser Länder direct abstammen,
wie in Westeuropa und Italien, oder mögen die Stürme der Wanderzeit roma¬
nische Sitte und Sprache vernichtet haben. Dein: auch in diesem Falle ist der
Zusammenhang zwischen der Römerzeit und den Zuständen, wie sie etwa die
Einwanderung der Germanen ins Leben rief, niemals ganz unterbrochen worden.
Niemals haben die Eindringlinge die romanischen Einwohner völlig vertilgt,
allerorten haben sie die Namen zahlreicher Localitäten von ihnen übernommen
und eine Menge von Traditionen der wirthschaftlichen Arbeit, von Sitten und
Gebräuchen von ihnen empfangen, mochten auch nach und nach deren Träger
ihr Volksthum aufgeben und mit den Einwanderern verschmelzen.

Die allerverschiedensten Einflüsse sind es gewesen, durch die so weite Länder¬
strecken "romanisirt" worden sind, Einflüsse, die sich zum Theil noch der sicheren
Erkenntniß entziehen. Denn von einer erheblichen italischen Einwanderung, an
die zunächst gedacht werden müßte, ist keineswegs überall die Rede, und das,
was so oft als ein Haupthebel der Romanisirung betrachtet worden ist, das
römische Heerwesen, hat nur in festbegrenzten Strichen zumeist in den Grenz¬
landen eine tiefergreifende Wirksamkeit entfalten können, dagegen im Innern
Galliens und Spaniens z. B. verhältnißmäßig nur wenig. Aber da, wo feine
großartigen Institutionen auftraten, da haben sie allerdings besonders intensiv
gewirkt und nicht bloß Tausende und wieder Tausende von Provinziellen dem roma¬
nischen Wesen gewonnen, sondern ganze Reihen bürgerlicher Gemeinden haben
sich im Anschluß an die festen Standlager gebildet.

So entstanden an der Grenze der Civilisation, unter fremdsprachigen, rohen
Stämmen, Centren römischer Cultur. Von dem eigenartigen Leben, das sich
hier abspielte, wissen die Historiker, denen naturgemäß die Hauptstadt und die
Person des Herrschers im Vordergrunde des Interesses stehen, wenig zu be¬
richten; erst die epigraphische Forschung hat die Verbindung mit der oft be¬
spöttelten und doch vielfach so verdienstlichen localen Archäologie, welche alle
Ueberreste des römischen Lebens sammelt, keine Topsscherbe für zu unbedeutend
erachtet, die Möglichkeit einer genaueren Kenntniß geschaffen. Auf Grund
solcher Forschung zeichnete der zu früh verstorbene G. Wilmans in Straßburg
vor wenigen Jahren das Bild der nordafrikanischen Lagerstatt Lambäsa am
Fuße des Atlas, dessen Name jetzt ein elendes französisches Colonistendorf,
den berüchtigten Verbannungsort des zweiten Empire bezeichnet,*) während



*) Die römische Lagerstatt Afrikas, in den ciowmvvwtiones xuiloloMv in sonoren
1'n, Aommsoni. Berlin, 1876.
Grenzboten II. 1830. 2

ist es die Entwickelung dieser Zustände, welche das Hauptinteresse der römischen
Kaiserzeit ausmacht. Und nicht bloß dieser. Denn was in den Provinzen sich
ausbildete, das ist vielfach zur Vorgeschichte der modernen Völker geworden,
mögen sie nun von den romanisirten Einwohnern dieser Länder direct abstammen,
wie in Westeuropa und Italien, oder mögen die Stürme der Wanderzeit roma¬
nische Sitte und Sprache vernichtet haben. Dein: auch in diesem Falle ist der
Zusammenhang zwischen der Römerzeit und den Zuständen, wie sie etwa die
Einwanderung der Germanen ins Leben rief, niemals ganz unterbrochen worden.
Niemals haben die Eindringlinge die romanischen Einwohner völlig vertilgt,
allerorten haben sie die Namen zahlreicher Localitäten von ihnen übernommen
und eine Menge von Traditionen der wirthschaftlichen Arbeit, von Sitten und
Gebräuchen von ihnen empfangen, mochten auch nach und nach deren Träger
ihr Volksthum aufgeben und mit den Einwanderern verschmelzen.

Die allerverschiedensten Einflüsse sind es gewesen, durch die so weite Länder¬
strecken „romanisirt" worden sind, Einflüsse, die sich zum Theil noch der sicheren
Erkenntniß entziehen. Denn von einer erheblichen italischen Einwanderung, an
die zunächst gedacht werden müßte, ist keineswegs überall die Rede, und das,
was so oft als ein Haupthebel der Romanisirung betrachtet worden ist, das
römische Heerwesen, hat nur in festbegrenzten Strichen zumeist in den Grenz¬
landen eine tiefergreifende Wirksamkeit entfalten können, dagegen im Innern
Galliens und Spaniens z. B. verhältnißmäßig nur wenig. Aber da, wo feine
großartigen Institutionen auftraten, da haben sie allerdings besonders intensiv
gewirkt und nicht bloß Tausende und wieder Tausende von Provinziellen dem roma¬
nischen Wesen gewonnen, sondern ganze Reihen bürgerlicher Gemeinden haben
sich im Anschluß an die festen Standlager gebildet.

So entstanden an der Grenze der Civilisation, unter fremdsprachigen, rohen
Stämmen, Centren römischer Cultur. Von dem eigenartigen Leben, das sich
hier abspielte, wissen die Historiker, denen naturgemäß die Hauptstadt und die
Person des Herrschers im Vordergrunde des Interesses stehen, wenig zu be¬
richten; erst die epigraphische Forschung hat die Verbindung mit der oft be¬
spöttelten und doch vielfach so verdienstlichen localen Archäologie, welche alle
Ueberreste des römischen Lebens sammelt, keine Topsscherbe für zu unbedeutend
erachtet, die Möglichkeit einer genaueren Kenntniß geschaffen. Auf Grund
solcher Forschung zeichnete der zu früh verstorbene G. Wilmans in Straßburg
vor wenigen Jahren das Bild der nordafrikanischen Lagerstatt Lambäsa am
Fuße des Atlas, dessen Name jetzt ein elendes französisches Colonistendorf,
den berüchtigten Verbannungsort des zweiten Empire bezeichnet,*) während



*) Die römische Lagerstatt Afrikas, in den ciowmvvwtiones xuiloloMv in sonoren
1'n, Aommsoni. Berlin, 1876.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/13>, abgerufen am 22.07.2024.