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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Prosa. Der Verfasser des vorliegenden Werkes schwelgt förmlich in Phrase
und Schwulst. "Wir stehen ans einem jener Riesenschiffe, die uns Landratten
stets einen Aufschrei der Bewunderung entlocken, einem Kolosse aus Eisenplatten
zusammengenietet, auf welchen: der Mensch des Meeres Wellen mit Krastbewußt-
sein kühn und ernst durchfurcht, durcheilt, angetrieben von seines Geistes frucht¬
barsten Gedanken, welcher im Wasserdämpfe seinen Ursprung fand" -- mit
diesem brodelnden Wortschwall umschreibt Simons den einfachen Satz: "Wir
stehen auf einem großen Seedampfer". Will er ausdrücken: "Es ist der 1. Juni",
so schreibt er: "Des Heumvnds erster Tag begrüßt uns"; "Der Tag bricht an" wird
umschrieben: "Der Morgen rollt seinen Vorhang hoch"; anstatt: "Die Sonne ist
untergegangen" heißt es: "Das Tagesgestirn hat sich in den West eingesenkt".
Klingen einem nicht Casper von Lobenstein und Hoffmann von Hoffmcmnswaldau
in den Ohren?

Geradezu kläglich aber ist es nun, wenn man vollends dahinterkommt
-- und diese Entdeckung macht ein nicht ganz stumpfsinniger Leser bereits auf der
dritten Seite --, durch welche trivialen Mittelchen der Verfasser seiner Darstellung
diesen Schein poetischen Schwunges zu verleihen sucht. Drei Handgriffe sind es
hauptsächlich, die hier zu Tode gehetzt werden.

1) Der Genetiv wird fast immer vor das Wort gestellt, von dem er ab¬
hängt: An dieses Schiffes linker Flanke -- auf des Leuchtthurms weißer Stein¬
treppe -- in eines Kessels Bauch -- des Daseins Bewußtsein -- der Träger
und Rosselenker Schaar -- seines eignen Weihrauchs Düfte -- ihrer Zähne
Schmelz und ihrer dunkeln Augen Reize -- in des Chores Mitte u. f. w.
Wiederholt finden sich in einem Satze drei Beispiele dieser affectirter Wort¬
stellung, so S. 2: "Pei-Ho -- so sagt uns seiner Prora goldenes Schild, nennt
fremdländisch sich der Koloß, welcher des Abendlandes Produkte und Menschen
nach Indiens und Chinas Küsten zu tragen sich anschickt" -- S. 5: Blanke
Teller und Bestecke zieren des Tisches Bugspriet. Aufsätze mit des Südens
saftigen Früchten, und nicht minder (sie) mit Aepfeln, Birnen und Aprikosen
aus Marseilles berühmten Gärten und Geländen, erfreuen den Blick."

2) Das Prädicat eines Satzes wird an den Anfang gestellt, das Subject
dahinter: Gefüllt mit Kohlen^ sind die mächtigen Bulls -- Zum Klaarmachen
schrille des Hochbootsmanns Pfeife -- Fest hält schon der Steuermann sein
Steuer -- Flott nun schwankt Pei-Ho -- von einander scheiden die Schiffs¬
genossen -- Fest steht unser Fuß auf Cataloniens Boden u. s. w. Geradezu
abgeschmackt wird diese Manier, wenn der Verfasser, um die Verdrehung des
Satzes zu erreichen, gar noch ein impersonelles "Es" zu Hilfe nimmt, wie:
Es erkrankt und erblaßt sofort der hülflose Mensch -- es fällt an rasselnder
Kette der Anker -- Es entzünden sich die Papierlampen an den hoch aufge-


Grenzboten II. 1880. Is

Prosa. Der Verfasser des vorliegenden Werkes schwelgt förmlich in Phrase
und Schwulst. „Wir stehen ans einem jener Riesenschiffe, die uns Landratten
stets einen Aufschrei der Bewunderung entlocken, einem Kolosse aus Eisenplatten
zusammengenietet, auf welchen: der Mensch des Meeres Wellen mit Krastbewußt-
sein kühn und ernst durchfurcht, durcheilt, angetrieben von seines Geistes frucht¬
barsten Gedanken, welcher im Wasserdämpfe seinen Ursprung fand" — mit
diesem brodelnden Wortschwall umschreibt Simons den einfachen Satz: „Wir
stehen auf einem großen Seedampfer". Will er ausdrücken: „Es ist der 1. Juni",
so schreibt er: „Des Heumvnds erster Tag begrüßt uns"; „Der Tag bricht an" wird
umschrieben: „Der Morgen rollt seinen Vorhang hoch"; anstatt: „Die Sonne ist
untergegangen" heißt es: „Das Tagesgestirn hat sich in den West eingesenkt".
Klingen einem nicht Casper von Lobenstein und Hoffmann von Hoffmcmnswaldau
in den Ohren?

Geradezu kläglich aber ist es nun, wenn man vollends dahinterkommt
— und diese Entdeckung macht ein nicht ganz stumpfsinniger Leser bereits auf der
dritten Seite —, durch welche trivialen Mittelchen der Verfasser seiner Darstellung
diesen Schein poetischen Schwunges zu verleihen sucht. Drei Handgriffe sind es
hauptsächlich, die hier zu Tode gehetzt werden.

1) Der Genetiv wird fast immer vor das Wort gestellt, von dem er ab¬
hängt: An dieses Schiffes linker Flanke — auf des Leuchtthurms weißer Stein¬
treppe — in eines Kessels Bauch — des Daseins Bewußtsein — der Träger
und Rosselenker Schaar — seines eignen Weihrauchs Düfte — ihrer Zähne
Schmelz und ihrer dunkeln Augen Reize — in des Chores Mitte u. f. w.
Wiederholt finden sich in einem Satze drei Beispiele dieser affectirter Wort¬
stellung, so S. 2: „Pei-Ho — so sagt uns seiner Prora goldenes Schild, nennt
fremdländisch sich der Koloß, welcher des Abendlandes Produkte und Menschen
nach Indiens und Chinas Küsten zu tragen sich anschickt" — S. 5: Blanke
Teller und Bestecke zieren des Tisches Bugspriet. Aufsätze mit des Südens
saftigen Früchten, und nicht minder (sie) mit Aepfeln, Birnen und Aprikosen
aus Marseilles berühmten Gärten und Geländen, erfreuen den Blick."

2) Das Prädicat eines Satzes wird an den Anfang gestellt, das Subject
dahinter: Gefüllt mit Kohlen^ sind die mächtigen Bulls — Zum Klaarmachen
schrille des Hochbootsmanns Pfeife — Fest hält schon der Steuermann sein
Steuer — Flott nun schwankt Pei-Ho — von einander scheiden die Schiffs¬
genossen — Fest steht unser Fuß auf Cataloniens Boden u. s. w. Geradezu
abgeschmackt wird diese Manier, wenn der Verfasser, um die Verdrehung des
Satzes zu erreichen, gar noch ein impersonelles „Es" zu Hilfe nimmt, wie:
Es erkrankt und erblaßt sofort der hülflose Mensch — es fällt an rasselnder
Kette der Anker — Es entzünden sich die Papierlampen an den hoch aufge-


Grenzboten II. 1880. Is
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[0125] Prosa. Der Verfasser des vorliegenden Werkes schwelgt förmlich in Phrase und Schwulst. „Wir stehen ans einem jener Riesenschiffe, die uns Landratten stets einen Aufschrei der Bewunderung entlocken, einem Kolosse aus Eisenplatten zusammengenietet, auf welchen: der Mensch des Meeres Wellen mit Krastbewußt- sein kühn und ernst durchfurcht, durcheilt, angetrieben von seines Geistes frucht¬ barsten Gedanken, welcher im Wasserdämpfe seinen Ursprung fand" — mit diesem brodelnden Wortschwall umschreibt Simons den einfachen Satz: „Wir stehen auf einem großen Seedampfer". Will er ausdrücken: „Es ist der 1. Juni", so schreibt er: „Des Heumvnds erster Tag begrüßt uns"; „Der Tag bricht an" wird umschrieben: „Der Morgen rollt seinen Vorhang hoch"; anstatt: „Die Sonne ist untergegangen" heißt es: „Das Tagesgestirn hat sich in den West eingesenkt". Klingen einem nicht Casper von Lobenstein und Hoffmann von Hoffmcmnswaldau in den Ohren? Geradezu kläglich aber ist es nun, wenn man vollends dahinterkommt — und diese Entdeckung macht ein nicht ganz stumpfsinniger Leser bereits auf der dritten Seite —, durch welche trivialen Mittelchen der Verfasser seiner Darstellung diesen Schein poetischen Schwunges zu verleihen sucht. Drei Handgriffe sind es hauptsächlich, die hier zu Tode gehetzt werden. 1) Der Genetiv wird fast immer vor das Wort gestellt, von dem er ab¬ hängt: An dieses Schiffes linker Flanke — auf des Leuchtthurms weißer Stein¬ treppe — in eines Kessels Bauch — des Daseins Bewußtsein — der Träger und Rosselenker Schaar — seines eignen Weihrauchs Düfte — ihrer Zähne Schmelz und ihrer dunkeln Augen Reize — in des Chores Mitte u. f. w. Wiederholt finden sich in einem Satze drei Beispiele dieser affectirter Wort¬ stellung, so S. 2: „Pei-Ho — so sagt uns seiner Prora goldenes Schild, nennt fremdländisch sich der Koloß, welcher des Abendlandes Produkte und Menschen nach Indiens und Chinas Küsten zu tragen sich anschickt" — S. 5: Blanke Teller und Bestecke zieren des Tisches Bugspriet. Aufsätze mit des Südens saftigen Früchten, und nicht minder (sie) mit Aepfeln, Birnen und Aprikosen aus Marseilles berühmten Gärten und Geländen, erfreuen den Blick." 2) Das Prädicat eines Satzes wird an den Anfang gestellt, das Subject dahinter: Gefüllt mit Kohlen^ sind die mächtigen Bulls — Zum Klaarmachen schrille des Hochbootsmanns Pfeife — Fest hält schon der Steuermann sein Steuer — Flott nun schwankt Pei-Ho — von einander scheiden die Schiffs¬ genossen — Fest steht unser Fuß auf Cataloniens Boden u. s. w. Geradezu abgeschmackt wird diese Manier, wenn der Verfasser, um die Verdrehung des Satzes zu erreichen, gar noch ein impersonelles „Es" zu Hilfe nimmt, wie: Es erkrankt und erblaßt sofort der hülflose Mensch — es fällt an rasselnder Kette der Anker — Es entzünden sich die Papierlampen an den hoch aufge- Grenzboten II. 1880. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/125>, abgerufen am 22.07.2024.