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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Unterschied dazwischen ist, ob jemand aus eignem Antriebe und aus Liebe zur
Sache ein Buch schreibt, oder ob er es auf Bestellung liefert. Was für ein
liebenswürdiges, tüchtiges Buch sind die römischen Cnltnrbilder von Simons,
und was für eine unangenehme, seichte Schreiberei enthält dieses "Prachtwerk"
über Spanien! Offenbar hat sich der Verfasser seine Sache viel zu leicht ge¬
macht. Anstatt sich vor dem Antritt seiner spanischen Reisen gründlich in die
Geschichte, die Cultur-, Literatur- und Kunstgeschichte des Landes zu vertiefen,
begnügt er sich mit dürftigen und zusammenhangslosen Notizen, wie sie schlie߬
lich auch ein Reisehandbuch bietet, und verquickt diese mit seinen höchst ober¬
flächlich gebliebenen Touristeueindrückeu. Und wenn dieses Material nur wenig¬
stens leidlich geordnet vorgeführt würde, aber auch dies ist nicht der Fall.

Das erste Kapitel behandelt Barcelona, Von Ordnung, Zusammenhang,
Anschaulichkeit keine Spur. Stadtbeschreibung, ein paar kümmerliche Notizen
aus der Geschichte der Stadt, ein paar Mittheilungen über ihre gewerbliche
Thätigkeit und ein paar Skizzen aus dem Volksleben, dies alles zerbröckelt
und bunt durch einander geschüttelt -- das will eine Schilderung von Barcelona
sein. Wir haben das Kapitel dreimal aufmerksam gelesen -- die Confusion
blieb immer dieselbe. Einige Ordnung scheint einzutreten, da wo der Verfasser
zum ersten Male ansetzt -- denn er setzt verschiedene Male an --, die architek¬
tonische Physiognomie der Stadt zu schildern; da verspricht man sich doch einigen
Gewinn von der Lectüre. Augenscheinlich fehlt es aber dem Verfasser gerade
auf diesem Gebiete ganz besonders an der nöthigen Sachkenntniß. Die wenigen
klaren und sachlichen Zeilen, die Lübke in seiner "Geschichte der Architektur"
über die Kathedrale von Barcelona hat, sind viel instructiver als ganze
Folioseiten bei Simons. "Der Bau ist von vollendeter Architektur und Ge-
sammtwirkung", heißt es von Dome selbst, vom Kreuzgange: "er bietet sich dem
Beschauer als eine kostbare Perle architektonischer Grazie und Vollendung dar" --
was sind das für unklare, nichtssagende Phrasen!

Wozu die Unordnung im Texte führt, dafür nur ein Beispiel. S. 14 heißt
es: "Alles arbeitet hier und scheint zu prosperiren. Lungerer und Bettler sind
selten oder entziehen sich wenigstens dem Auge." Und vier Seiten später kommt
folgende eingehende Schilderung der "schmutzigen Bettler, welche, mit wirklichen
und fingirten Gebrechen behaftet, in allen Lagen und Stellungen Thore und
Hof (der Kathedrale) belagert halten":

"Fest in die Winkel und Ecken eingefügt, als gehörten sie mit zur Architektur,
auf den Treppenstufen am Eingang hockend, oder platt auf dem Bauche liegend,
in Mäntel, Fetzen und Lumpen gehüllt, den kleinsten Raum einnehmend, erregen sie
mehr unser Interesse als unser Mitleid. Lebenslange Müßiggänger und Tagediebe,
bilden sie in Spanien eine eigne Familie menschlicher Wesen, die von Generation


Unterschied dazwischen ist, ob jemand aus eignem Antriebe und aus Liebe zur
Sache ein Buch schreibt, oder ob er es auf Bestellung liefert. Was für ein
liebenswürdiges, tüchtiges Buch sind die römischen Cnltnrbilder von Simons,
und was für eine unangenehme, seichte Schreiberei enthält dieses „Prachtwerk"
über Spanien! Offenbar hat sich der Verfasser seine Sache viel zu leicht ge¬
macht. Anstatt sich vor dem Antritt seiner spanischen Reisen gründlich in die
Geschichte, die Cultur-, Literatur- und Kunstgeschichte des Landes zu vertiefen,
begnügt er sich mit dürftigen und zusammenhangslosen Notizen, wie sie schlie߬
lich auch ein Reisehandbuch bietet, und verquickt diese mit seinen höchst ober¬
flächlich gebliebenen Touristeueindrückeu. Und wenn dieses Material nur wenig¬
stens leidlich geordnet vorgeführt würde, aber auch dies ist nicht der Fall.

Das erste Kapitel behandelt Barcelona, Von Ordnung, Zusammenhang,
Anschaulichkeit keine Spur. Stadtbeschreibung, ein paar kümmerliche Notizen
aus der Geschichte der Stadt, ein paar Mittheilungen über ihre gewerbliche
Thätigkeit und ein paar Skizzen aus dem Volksleben, dies alles zerbröckelt
und bunt durch einander geschüttelt — das will eine Schilderung von Barcelona
sein. Wir haben das Kapitel dreimal aufmerksam gelesen — die Confusion
blieb immer dieselbe. Einige Ordnung scheint einzutreten, da wo der Verfasser
zum ersten Male ansetzt — denn er setzt verschiedene Male an —, die architek¬
tonische Physiognomie der Stadt zu schildern; da verspricht man sich doch einigen
Gewinn von der Lectüre. Augenscheinlich fehlt es aber dem Verfasser gerade
auf diesem Gebiete ganz besonders an der nöthigen Sachkenntniß. Die wenigen
klaren und sachlichen Zeilen, die Lübke in seiner „Geschichte der Architektur"
über die Kathedrale von Barcelona hat, sind viel instructiver als ganze
Folioseiten bei Simons. „Der Bau ist von vollendeter Architektur und Ge-
sammtwirkung", heißt es von Dome selbst, vom Kreuzgange: „er bietet sich dem
Beschauer als eine kostbare Perle architektonischer Grazie und Vollendung dar" —
was sind das für unklare, nichtssagende Phrasen!

Wozu die Unordnung im Texte führt, dafür nur ein Beispiel. S. 14 heißt
es: „Alles arbeitet hier und scheint zu prosperiren. Lungerer und Bettler sind
selten oder entziehen sich wenigstens dem Auge." Und vier Seiten später kommt
folgende eingehende Schilderung der „schmutzigen Bettler, welche, mit wirklichen
und fingirten Gebrechen behaftet, in allen Lagen und Stellungen Thore und
Hof (der Kathedrale) belagert halten":

„Fest in die Winkel und Ecken eingefügt, als gehörten sie mit zur Architektur,
auf den Treppenstufen am Eingang hockend, oder platt auf dem Bauche liegend,
in Mäntel, Fetzen und Lumpen gehüllt, den kleinsten Raum einnehmend, erregen sie
mehr unser Interesse als unser Mitleid. Lebenslange Müßiggänger und Tagediebe,
bilden sie in Spanien eine eigne Familie menschlicher Wesen, die von Generation


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[0123] Unterschied dazwischen ist, ob jemand aus eignem Antriebe und aus Liebe zur Sache ein Buch schreibt, oder ob er es auf Bestellung liefert. Was für ein liebenswürdiges, tüchtiges Buch sind die römischen Cnltnrbilder von Simons, und was für eine unangenehme, seichte Schreiberei enthält dieses „Prachtwerk" über Spanien! Offenbar hat sich der Verfasser seine Sache viel zu leicht ge¬ macht. Anstatt sich vor dem Antritt seiner spanischen Reisen gründlich in die Geschichte, die Cultur-, Literatur- und Kunstgeschichte des Landes zu vertiefen, begnügt er sich mit dürftigen und zusammenhangslosen Notizen, wie sie schlie߬ lich auch ein Reisehandbuch bietet, und verquickt diese mit seinen höchst ober¬ flächlich gebliebenen Touristeueindrückeu. Und wenn dieses Material nur wenig¬ stens leidlich geordnet vorgeführt würde, aber auch dies ist nicht der Fall. Das erste Kapitel behandelt Barcelona, Von Ordnung, Zusammenhang, Anschaulichkeit keine Spur. Stadtbeschreibung, ein paar kümmerliche Notizen aus der Geschichte der Stadt, ein paar Mittheilungen über ihre gewerbliche Thätigkeit und ein paar Skizzen aus dem Volksleben, dies alles zerbröckelt und bunt durch einander geschüttelt — das will eine Schilderung von Barcelona sein. Wir haben das Kapitel dreimal aufmerksam gelesen — die Confusion blieb immer dieselbe. Einige Ordnung scheint einzutreten, da wo der Verfasser zum ersten Male ansetzt — denn er setzt verschiedene Male an —, die architek¬ tonische Physiognomie der Stadt zu schildern; da verspricht man sich doch einigen Gewinn von der Lectüre. Augenscheinlich fehlt es aber dem Verfasser gerade auf diesem Gebiete ganz besonders an der nöthigen Sachkenntniß. Die wenigen klaren und sachlichen Zeilen, die Lübke in seiner „Geschichte der Architektur" über die Kathedrale von Barcelona hat, sind viel instructiver als ganze Folioseiten bei Simons. „Der Bau ist von vollendeter Architektur und Ge- sammtwirkung", heißt es von Dome selbst, vom Kreuzgange: „er bietet sich dem Beschauer als eine kostbare Perle architektonischer Grazie und Vollendung dar" — was sind das für unklare, nichtssagende Phrasen! Wozu die Unordnung im Texte führt, dafür nur ein Beispiel. S. 14 heißt es: „Alles arbeitet hier und scheint zu prosperiren. Lungerer und Bettler sind selten oder entziehen sich wenigstens dem Auge." Und vier Seiten später kommt folgende eingehende Schilderung der „schmutzigen Bettler, welche, mit wirklichen und fingirten Gebrechen behaftet, in allen Lagen und Stellungen Thore und Hof (der Kathedrale) belagert halten": „Fest in die Winkel und Ecken eingefügt, als gehörten sie mit zur Architektur, auf den Treppenstufen am Eingang hockend, oder platt auf dem Bauche liegend, in Mäntel, Fetzen und Lumpen gehüllt, den kleinsten Raum einnehmend, erregen sie mehr unser Interesse als unser Mitleid. Lebenslange Müßiggänger und Tagediebe, bilden sie in Spanien eine eigne Familie menschlicher Wesen, die von Generation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/123>, abgerufen am 22.07.2024.